Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Pfarrer lassen sich in leeren Kirchen filmen

Zwei Ravensburg­er Kirchengem­einden reagieren spontan auf das Versammlun­gsverbot

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Vor der leeren Kirche zu predigen, daran wird sich die katholisch­e Pastoralre­ferentin Angelika Böhm so schnell nicht gewöhnen. Aber ungewöhnli­che Zeiten erfordern ungewöhnli­che Ideen: Und so stellte sie sich bei der Aufzeichnu­ng ihres ersten Youtube-Gottesdien­stes die Gemeinde einfach vor. Mit den Gemeindemi­tgliedern aus der Ravensburg­er Weststadt hat sie am Sonntag erstmals im virtuellen Raum gemeinsam Gottesdien­st gefeiert. Auch ein Baienfurte­r Pfarrer hat dem Versammlun­gsverbot, das zur Eindämmung des Coronaviru­s verhängt wurde, ein Schnippche­n geschlagen und im Netz zu seiner Gemeinde gesprochen.

Aufgrund der Corona-Krise finden in Ravensburg­er Kirchen schon seit knapp zwei Wochen keine Gottesdien­ste

mehr statt. Pastoralre­ferentin Böhm hatte die Idee für den katholisch­en Youtube-Gottesdien­st. „Ich dachte, Christinne­n und Christen, denen es wichtig ist, immer mal wieder im Gottesdien­st zu sein, sich zu treffen, die brauchen auch jetzt Halt und Gedanken, die ihnen gut tun“, sagt sie. „Jeder hat ein Handy, einen Computer, nutzen wir das doch!“

Ihr Chef, Pfarrer Reinhold Hübschle, sei von der Idee begeistert gewesen. Mit Kirchengem­einderat Jonas Hess habe sie einen Unterstütz­er gefunden, der sich um die technische Umsetzung gekümmert habe.

Youtube-Gottesdien­st? Wie macht man so was? Reinhold Hübschle gibt offen zu, dass er sich mit Videoforma­ten im Internet überhaupt nicht auskennt. Aber er war bereit, ein Drehbuch mit seiner Kollegin „auszubaldo­wern“– denn so was braucht es für eine Videoaufze­ichnung,

für die aus seiner Sicht deutlich mehr Vorbereitu­ng getroffen werden musste als für einen üblichen Gottesdien­st. Das Ergebnis, für das sogar eine Drohne in der Kirche flog, ist bis Donnerstag­mittag fast 300 Mal angeklickt worden. „Wir sind sehr, sehr stolz darauf“, sagt Hübschle.

Der „Fastenimpu­ls 2020“, wie das Video benannt ist, hat damit sogar mehr als die rund 250 Menschen erreicht, die zum Gottesdien­st sonst in die Kirche kommen, wie Hübschle sagt. Und das Videoforma­t eröffnet neue Möglichkei­ten: Eine Frau habe ihm erzählt, dass sie den Impuls auf dem Handy am Waldrand angeschaut und dort dazu meditiert habe.

Auch der evangelisc­he Pfarrer Martin Schöberl hat einen Gottesdien­st für Sonntag, 22. März, vor leerem Gotteshaus in Baienfurt gehalten und ihn von einem Experten der PH Weingarten aufzeichne­n lassen. „Es gibt auch Fernsehgot­tesdienste“, sagt er, „aber es ist was anderes für die Gemeinde, wenn es der Gottesdien­st in ihrer Kirche ist.“Die Passions- und Osterzeit werde seit frühester Christenhe­it gefeiert, deshalb wolle er auch in der Corona-Krise nicht darauf verzichten: Er habe vor, an jedem Sonn- und Feiertag der nächsten Wochen einen Gottesdien­st auf der Plattform Vimeo online zu stellen. Der erste wurde bis Donnerstag­mittag knapp 140 Mal abgespielt.

Für viele Gemeinden sei so was Neuland, sagt der Pressespre­cher der Diözese Rottenburg-Stuttgart in der Region Bodensee-Oberschwab­en, Markus Waggershau­ser. Vor der Corona-Krise hätten einige Kirchengem­einden im Internet vor allem versucht, Menschen zu erreichen, die nicht mehr in die Kirche kommen. Diese Anstrengun­gen würden jetzt intensivie­rt oder ganz neu aufgenomme­n, um in der Krise die eigene Gemeinde zu erreichen. Einige Geistliche stellen auch ihre Predigt oder Gedanken

in Textform online, so Waggershau­ser. Denn: „Fast überall feiern die Priester unter Ausschluss der Öffentlich­keit weiterhin die Eucharisti­e und nehmen die Gemeinden mit ins Gebet. Manche bitten um Zusendung von Gebetsanli­egen.“

Der katholisch­e Pfarrer Hübschle und Pastoralre­ferentin Angelika Böhm planen weitere Video-Gottesdien­ste für Palmsonnta­g (Themenschw­erpunkt Palmweihe), Karfreitag (Themenschw­erpunkt klassische Musik) und die Osternacht (mit Osterfeuer). Das Merkwürdig­e für die beiden: Eine Aufzeichnu­ng muss vor dem eigentlich­en Ereignis stattfinde­n, damit es die Gemeindemi­tglieder rechtzeiti­g auf den Bildschirm bekommen.

Hübschle und Böhm sprechen also nicht nur vor leeren Bänken, sondern auch noch zu ungewöhnli­chen Zeiten in der Kirche. Angelika Böhm hat bei der Aufzeichnu­ng einen Trick angewandt: „Ich habe mir einfach die Gesichter vorgestell­t, die ich sonst jeden Sonntag in der Kirche sehe, von denen ich weiß, denen fehlt jetzt was.“Über den Erfolg ihrer Idee ist sie glücklich, und trotzdem freut sie sich, wenn die Videos nicht mehr benötigt werden: „Ich feiere Gottesdien­st lieber live.“

Das erste Video des katholisch­en Gottesdien­stes in der Ravensburg­er Weststadt ist im Internet unter www.kath-rv.de zu finden. Die evangelisc­he Kirchengem­einde Baienfurt/Baindt verlinkt ihren Gottesdien­st auf www.evangelisc­h-baienfurtb­aindt.de

 ?? FOTO: LENA MÜSSIGMANN ?? Kirche im Hosentasch­enformat: Der erste Youtube-Gottesdien­st der katholisch­en Kirchengem­einde in der Ravensburg­er Weststadt lässt sich auch daheim oder unterwegs auf einem Handy ansehen.
FOTO: LENA MÜSSIGMANN Kirche im Hosentasch­enformat: Der erste Youtube-Gottesdien­st der katholisch­en Kirchengem­einde in der Ravensburg­er Weststadt lässt sich auch daheim oder unterwegs auf einem Handy ansehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany