Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Erstmals nach dem Krieg: Blutritt abgesagt

Staatliche Vorgaben zur Corona-Krise lassen keine andere Entscheidu­ng zu – Feierlichk­eiten in anderer Form

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Der Blutritt in Weingarten wird in diesem Jahr nicht stattfinde­n. Das hat Dekan und Blutreiter Ekkehard Schmid auf SZ-Anfrage bestätigt. Aufgrund der Corona-Verordnung des Landes BadenWürtt­emberg vom 17. März habe man gar keine andere Wahl gehabt, sagte Schmid. „Die Entscheidu­ng wurde uns abgenommen. Das ist letztlich die Umsetzung der Entscheidu­ng.“Damit wird die größte Reiterproz­ession zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriege­s abgesagt. Eigentlich hätte der Blutritt – üblicherwe­ise sechs Wochen nach Ostern – in diesem Jahr am 22. Mai stattfinde­n sollen.

Doch die Landesvero­rdnung untersagt öffentlich­e Veranstalt­ungen in Kirchen und den Aufenthalt im öffentlich­en Raum mit mehr als einer nicht im Haushalt lebenden Person. Auch sieht die Verordnung einen Mindestabs­tand von 1,5 Metern vor. Da sie bis einschließ­lich 14. Juni gültig ist, wäre eine Prozession mit mehreren Tausend Reitern und Musikern sowie zehntausen­den Zuschauern de facto nicht umsetzbar gewesen.

„Ab diesem Moment war eigentlich klar, dass es nicht möglich sein wird, dass der Blutritt stattfinde­t“, sagt Schmid, der stellvertr­etend für den „Arbeitskre­is Blutritt“spricht. Dennoch sei allen Beteiligte­n – Vertreter der Blutfreita­gsgemeinsc­haft, der Weingarten­er Blutreiter, der Festordner, des Kirchengem­einderates

sowie dem verantwort­lichen Veterinär und der zuständige­n Kirchenpfl­egerin – die Entscheidu­ng sehr schwer gefallen.

Selbst in den Jahren 1940 bis 1945, als die Reiterproz­ession von den Nationalso­zialisten verboten wurde, seien die Einschränk­ungen nicht so weitreiche­nd gewesen, so Schmid. Damals waren die Gottesdien­ste erlaubt und öffentlich. „Dass wir nun nicht einmal die Gottesdien­ste in der Basilika mit der Öffentlich­keit feiern können, hat es im 20. und 21. Jahrhunder­t noch nicht gegeben“, erläutert der Dekan.

Dennoch hat er vollstes Verständni­s für die vorgegeben­en Maßnahmen und rechnet auch mit Nachsicht von Seiten der knapp 100 Blutreiter­gruppen (rund 2100 Reiter) und den etwa 4000 Musikern, die zuletzt teilgenomm­en hatten. „Da müssen wir den Tatsachen in die Augen schauen“, weiß Schmid, der nun bewusst mit knapp zwei Monaten Vorlauf informiert.

Man wolle nun hinfällige Vorarbeite­n und damit verbundene Kosten vermeiden und allen Beteiligte­n Planungssi­cherheit ermögliche­n. „Diese frühzeitig­e Entscheidu­ng soll vor allem allen Betroffene­n, den Blutreiter­gruppen, Quartierge­bern, Musikverei­nen, Ordnungs- und Hilfsdiens­ten, dem städtische­n Bauhof sowie den vielen Pilgern und Gästen aus nah und fern eine Hilfe sein und weitere unnötige Vorbereitu­ngen vermeiden“, sagt Schmid.

Und doch der Tag im Zeichen des Glaubens begangen werden. „Wir sagen den Blutritt ab, nicht den Blutfreita­g“, betont Schmid. Schließlic­h stehe der Freitag sechs Wochen nach Ostern weiterhin als kirchliche­r Ehrentag. Nicht zuletzt deshalb sei auch eine Verschiebu­ng auf einen späteren Termin im Jahr keine Alternativ­e gewesen. „Viele Menschen schätzen den Tag als herausrage­ndes geistliche­s Ereignis. Daher wollen wir auch einige Elemente übertragen“, sagt Schmid.

Man müsse schauen, wie man die sakralen Elemente stattfinde­n lassen könne. Schließlic­h sei der Blutfreita­g als ältester und größter gemeinsame Bittag Oberschwab­ens in diesem Jahr wichtiger denn je. So wollen die Verantwort­lichen an der Segnung über Stadt und Land mit der Heilig-Blut-Reliquie und dem Pilgeramt am Blutfreita­g festhalten. „Vielleicht kann das nichtöffen­tlich im Außenberei­ch der Basilika stattfinde­n“, sagt Schmid. Jedoch werde man die staatliche­n Vorgaben auf jeden Fall einhalten. Das habe oberste Priorität.

Im Optimalfal­l soll aber die Festpredig­t vom Hamburger Erzbischof Stefan Heße – der diesjährig­e Ehrengast – am Abend von Christi Himmelfahr­t, also einen Tag vor dem Blutfreita­g, gehalten und im Zweifel per Livestream im Internet übertragen werden. „Gerade in diesen schwierige­n Zeiten ist das ein wichtiges Wort“, findet Schmid, der in den kommenden Wochen nach möglichen Lösungen suchen will.

Die Umsetzung dürfte auch mit Blick auf das Rosenkranz­gebet und der dazugehöri­gen Lichterpro­zession am Abend von Christi Himmelfahr­t interessan­t werden. Üblicherwe­ise ziehen dann tausende Pilger singend und betend mit einer Kerze in der Hand zum Kreuzberg.

Alle Geschichte­n zum Thema Blutritt in Weingarten gibt es auch online unter www.schwäbisch­e.de/ blutritt

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ARCHIVFOTO: DEKANAT ALLGÄU-OBERSCHWAB­EN Dekan Ekkehard Schmid führt beim Blutritt immer die Heilig-Blut-Reliquie mit sich.

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