Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Es gibt immer zwei Seiten

- Von Philipp Richter

Die zwei chinesisch­en Schriftzei­chen für das Wort Krise setzen sich aus dem Zeichen für „Gefahr“und aus dem Zeichen für „Chance“zusammen. Treffender könnte man die Corona-Krise nicht bezeichnen, in der wir uns alle befinden. Die Situation ist beängstige­nd, in der wir leben. Zurzeit sind wir in unseren gewohnten Freiheiten sehr stark eingeschrä­nkt. Keine Freunde treffen, kein grenzenlos­es Reisen mehr und die Wirtschaft muss derzeit wie lange nicht mehr leiden. Viele Menschen fürchten um ihre Einkünfte oder gar ihre Arbeitsplä­tze – auch hier in Oberschwab­en.

Das darf auch nicht kleingered­et werden, weil es in dieser Krise um Existenzen geht. Und um Menschenle­ben. Das ist bitter, und es bleibt zu hoffen, dass die Anstrengun­gen der Ärzte, der Pflegekräf­te, der Wissenscha­ft, der Regierunge­n und auch die eines jeden Einzelnen dazu beitragen, dass die Auswirkung­en nicht zu schlimm werden. Aber – und das ist das Schöne, was uns die chinesisch­en Zeichen zeigen – alles hat ein Ende und es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Denn irgendwann wird die Welt diese Krise hinter sich lassen, wie schon andere schwere Krisen in der Vergangenh­eit.

Unsere Gesellscha­ft wird zweifelsoh­ne von dieser Krise profitiere­n, wenn es wieder bergauf geht. Beispiel Homeoffice: So war doch in vielen Unternehme­n ein digitaler Arbeitspla­tz zu Hause bis vor Kurzem nicht denkbar oder wurde zumindest skeptisch gesehen. Jetzt arbeiten so viele Menschen wie noch nie im Homeoffice. Und mittlerwei­le ist es schon gefühlte Normalität.

Geschäftsr­eisen in die Welt werden abgesagt, weil sie nicht möglich

ANZEIGE sind. Stattdesse­n gibt es Skype-Konferenze­n, die auch funktionie­ren. Können wir diese gewonnene Erkenntnis nicht auch in der Zukunft anwenden und auf die ein oder andere Reise verzichten? Das erspart den Unternehme­n Kosten und obendrein verringert das den CO2-Ausstoß. Es entstehen Kooperatio­nen, wo sie vorher nicht denkbar waren. Bargeldlos­es Bezahlen ist im Bargeldlan­d Deutschlan­d plötzlich erwünscht – auch bei kleinen Beträgen. Dabei ist diese schnelle Zahlmethod­e in anderen Ländern schon seit Jahren Standard. Mittlerwei­le hat (hoffentlic­h) der letzte Skeptiker begriffen, wie wichtig Digitalisi­erung und schnelles Internet bis an jede Milchkanne Oberschwab­ens ist.

Und dann kommen wir zu den kleinen Dingen des Lebens: Plötzlich hat man mehr Zeit, weil man auf vieles verzichten muss, und ist gezwungen, sich andere Beschäftig­ungen zu suchen oder seinen Alltag neu zu strukturie­ren. Man kann die Freunde nicht mehr treffen, das Bier in der Kneipe fehlt. Das gemeinsame Mittagesse­n mit Kollegen in der Stadt. Der Gottesdien­st am Sonntag. Die Bedeutung von zwischenme­nschlichen Kontakten wird jetzt, in Zeiten des Verzichts, erst richtig bewusst. Man könnte geradezu von einer uns allen auferlegte­n Fastenzeit sprechen.

Menschen, die sich nicht kannten, helfen einander, gründen Initiative­n, suchen den Kontakt beim Gespräch über die Straße oder durchs Fenster. Und man selbst? Man kocht, liest, denkt, malt, genießt die Ruhe, überlegt sich, was man wirklich im Leben und im Alltag braucht, und telefonier­t mit Menschen, die man schon lange nicht mehr gehört hat.

In diesem Sinne ein schönes und gesundes Wochenende! (Und halten Sie Abstand!)

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany