Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Es gibt immer zwei Seiten
Die zwei chinesischen Schriftzeichen für das Wort Krise setzen sich aus dem Zeichen für „Gefahr“und aus dem Zeichen für „Chance“zusammen. Treffender könnte man die Corona-Krise nicht bezeichnen, in der wir uns alle befinden. Die Situation ist beängstigend, in der wir leben. Zurzeit sind wir in unseren gewohnten Freiheiten sehr stark eingeschränkt. Keine Freunde treffen, kein grenzenloses Reisen mehr und die Wirtschaft muss derzeit wie lange nicht mehr leiden. Viele Menschen fürchten um ihre Einkünfte oder gar ihre Arbeitsplätze – auch hier in Oberschwaben.
Das darf auch nicht kleingeredet werden, weil es in dieser Krise um Existenzen geht. Und um Menschenleben. Das ist bitter, und es bleibt zu hoffen, dass die Anstrengungen der Ärzte, der Pflegekräfte, der Wissenschaft, der Regierungen und auch die eines jeden Einzelnen dazu beitragen, dass die Auswirkungen nicht zu schlimm werden. Aber – und das ist das Schöne, was uns die chinesischen Zeichen zeigen – alles hat ein Ende und es gibt immer zwei Seiten einer Medaille. Denn irgendwann wird die Welt diese Krise hinter sich lassen, wie schon andere schwere Krisen in der Vergangenheit.
Unsere Gesellschaft wird zweifelsohne von dieser Krise profitieren, wenn es wieder bergauf geht. Beispiel Homeoffice: So war doch in vielen Unternehmen ein digitaler Arbeitsplatz zu Hause bis vor Kurzem nicht denkbar oder wurde zumindest skeptisch gesehen. Jetzt arbeiten so viele Menschen wie noch nie im Homeoffice. Und mittlerweile ist es schon gefühlte Normalität.
Geschäftsreisen in die Welt werden abgesagt, weil sie nicht möglich
ANZEIGE sind. Stattdessen gibt es Skype-Konferenzen, die auch funktionieren. Können wir diese gewonnene Erkenntnis nicht auch in der Zukunft anwenden und auf die ein oder andere Reise verzichten? Das erspart den Unternehmen Kosten und obendrein verringert das den CO2-Ausstoß. Es entstehen Kooperationen, wo sie vorher nicht denkbar waren. Bargeldloses Bezahlen ist im Bargeldland Deutschland plötzlich erwünscht – auch bei kleinen Beträgen. Dabei ist diese schnelle Zahlmethode in anderen Ländern schon seit Jahren Standard. Mittlerweile hat (hoffentlich) der letzte Skeptiker begriffen, wie wichtig Digitalisierung und schnelles Internet bis an jede Milchkanne Oberschwabens ist.
Und dann kommen wir zu den kleinen Dingen des Lebens: Plötzlich hat man mehr Zeit, weil man auf vieles verzichten muss, und ist gezwungen, sich andere Beschäftigungen zu suchen oder seinen Alltag neu zu strukturieren. Man kann die Freunde nicht mehr treffen, das Bier in der Kneipe fehlt. Das gemeinsame Mittagessen mit Kollegen in der Stadt. Der Gottesdienst am Sonntag. Die Bedeutung von zwischenmenschlichen Kontakten wird jetzt, in Zeiten des Verzichts, erst richtig bewusst. Man könnte geradezu von einer uns allen auferlegten Fastenzeit sprechen.
Menschen, die sich nicht kannten, helfen einander, gründen Initiativen, suchen den Kontakt beim Gespräch über die Straße oder durchs Fenster. Und man selbst? Man kocht, liest, denkt, malt, genießt die Ruhe, überlegt sich, was man wirklich im Leben und im Alltag braucht, und telefoniert mit Menschen, die man schon lange nicht mehr gehört hat.
In diesem Sinne ein schönes und gesundes Wochenende! (Und halten Sie Abstand!)