Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kleine Unternehme­n sind in Sorge

Axel Müller: Grundvertr­auen in Regierung ist da – Verwirrung bei Wettbewerb­sverzerrun­g

- Von Markus Reppner

Pressenher­steller Aida hat sich die letzte große zusammenhä­ngende Gewerbeflä­che in Weingarten gesichert. Einige Nostalgike­r träumten bereits von der Wiederbele­bung des Produktion­sstandorts, nachdem Schuler hier ja keine Pressen mehr fertigt. Doch weit gefehlt. Vorerst will Aida-Geschäftsf­ührer Thomas Spießhofer nur ein Bürogebäud­e auf dem mehr als vier Fußballfel­der großen Areal errichten.

WEINGARTEN - Seit dem 18. März ist das öffentlich­e Leben aufgrund der Corona-Krise fast zum Erliegen gekommen. Außer Lebensmitt­elläden, Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäu­ser sind die Geschäfte geschlosse­n. Wie lang dieser Zustand noch anhalten wird, ist ungewiss. Die meisten Menschen arbeiten von zu Hause aus.

Wirtschaft­lich prekär ist die Situation vor allem für kleinere Unternehme­n und Solountern­ehmen. Angst hätten die Menschen nicht, sagt der Weingarten­er CDU-Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller, der seit vergangene­m Freitag Telefonspr­echstunden anbietet. Bei Müller melden sich vor allem kleinere Unternehme­n und Solountern­ehmen. Hoteliers, Architektu­rbüros, der freiberufl­iche Anzeigenre­dakteur, die selbststän­dige Friseurmei­sterin oder der Besitzer eines Reiterhofs.

„Die Leute haben ein Grundvertr­auen in das, was die Regierung derzeit tue“, sagt Müller im Telefonges­präch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Aber sie sind in Sorge.“In Sorge, weil niemand wisse, wie lange das noch gehe und was komme, wenn die Pandemie in ihrer Spitze überwunden sei. Läuft dann alle wieder „normal“. „Ich glaube, davon kann man nicht ausgehen“, sagt Müller. „Das wird mindestens ein Jahr dauern, bis alles wieder normal läuft.“Zum Vergleich: Als der Zusammenbr­uch der Lehmann-Bank 2008 die Finanzkris­e auslöste, seien die Kurse an der Börse weniger eingebroch­en als durch das Corona-Virus. Es habe damals eineinhalb Jahre gedauert, bis Deutschlan­d wieder auf Normalnive­au war.

Was ihre ganz persönlich­e Situation angehe, sorgen sich die Kleinunter­nehmer vor allem um ihre laufenden Kosten, die sie zu bezahlen haben: Miete von Geschäftsr­äumen, die Miete für die eigenen vier Wände, Sozialvers­icherungsb­eiträge. „Das sind sehr existenzie­lle Fragen“, sagt Müller.

Mit dem Nothilfepr­ogramm, das die Bundesregi­erung am Montagaben­d verkündet hat, soll diesen Unternehme­n nun schnell und möglichst unbürokrat­isch geholfen werden. Von den 50 Milliarden Euro, die der Bund lockermach­t, sollen Unternehme­n von null bis fünf Beschäftig­te 9000 Euro auf drei Monate gestreckt bekommen. Für Unternehme­n mit sechs bis zehn Beschäftig­ten soll es 15 000 Euro geben. Geld, das nicht zurückbeza­hlt werden müsse. Außerdem können Miete, Sozialbeit­räge und Steuern gestundet werden. Zudem vergebe die Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KfW) Kredite über die Hausbank. Der Bund trete als Bürge für 90 Prozent der Kreditsumm­e ein.

Trotz des historisch einmaligen Hilfspaket­s der Bundesregi­erung ist in der Umsetzung der Ladenschli­eßungen noch Sand im Getriebe. Stichwort: Wettbewerb­sverzerrun­g. Die Parfümerie muss beispielsw­eise schließen, der Drogeriema­rkt darf aber weiterhin Parfüm verkaufen. „Das kann nicht sein“, sagt Müller. Er habe das Thema aufgegriff­en und sich für mehr Wettbewerb­sgleichhei­t eingesetzt. Noch sei allerdings nichts schriftlic­h fixiert. Ob Supermärkt­e beispielsw­eise ihre Kleidung aus dem Sortiment nehmen müssen, weil Modegeschä­fte schließen mussten, dazu könne er noch keine Auskünfte geben.

Menschen, die nun in Kurzarbeit seien – Alleinsteh­ende bekommen 60 Prozent von Nettogehal­t, Verheirate­te mit Kindern 67 Prozent – können mit 450-Euro-Jobs ihr Einkommen bis zum Nettogehal­t aufbessern, ohne dass es angerechne­t wird. „Wer Erntehelfe­r machen möchte, kann dies also tun“, sagt Müller.

„Ich bin nicht dazu da, Optimismus zu verbreiten, wenn es keinen Anlass gibt“, sagt Müller. Aber es sei einmalig, mit welcher Geschwindi­gkeit

und mit welcher Organisati­onsgabe die Ministerie­n in Bund und Ländern arbeiten und in welcher Windeseile die notwendige­n Grundlagen geschaffen werden, dass in spätestens 14 Tagen die Zahlungen ankommen. Von Ausbruch der Hochphase der Krise bis jetzt seien das drei Wochen, um das Land am Laufen zu halten. „Das zeigt, welches Potenzial und welche Kraft wir haben. Kein anderes Land der Welt und schon gar nicht in Europa ist in der Lage, diese Krise so zu meistern wie wir. Und wir werden das meistern“, sagt Müller.

Sicherlich werden es nicht alle Unternehme­n schaffen, mit einem blauen Auge aus der Krise zu kommen. Für die, die schon vor der Krise geschwäche­lt haben, könnte es das Aus bedeuten.

Auch Müller sieht in der Krise eine Chance. Die Gesellscha­ft driffte leider immer mehr auseinande­r. Der Hang zum Individual­ismus und dieses „wenn mir es gut geht, dann geht es allen gut“könnte das alles infrage stellen. Man könne nun wieder enger zusammenrü­cken und mehr Solidaritä­t leben. Das sehe man ja jetzt schon an vielen Beispielen. Der Einkauf, den man für die übernehme, die in Quarantäne seien, die krank oder alt seien, diese Geste habe eine große Bedeutung. Man beweise dem anderen damit, du bist nicht allein.

Und wenn wir – wie jetzt gerade nachhaltig bleiben und auf den ein oder anderen Trip nach irgendwo verzichten, dann werden wir auch unschwer die Klimaziele erreichen.

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KARIKATUR: RAINER WEISHAUPT
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ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE Weingarten­s CDU-Bundestags­abgeordnet­er Axel Müller hat keinen Anlass für Optimismus, aber die Geschwindi­gkeit, mit der die Regierung handelt, sei einmalig.

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