Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Polen, Ungarn und Tschechien hätten Asylbewerber aufnehmen müssen
Drei mitteleuropäische Länder haben EU-Recht gebrochen – Deren Regierungen wollen daraus keine Konsequenzen ziehen
LUXEMBURG (dpa) - Im jahrelangen Streit über die Verteilung von Asylbewerbern haben Polen, Ungarn und Tschechien eine schwere Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof erlitten. Die drei mitteleuropäischen Länder durften sich nach einem Urteil der Luxemburger Richter vom Donnerstag nicht weigern, Italien und Griechenland während der Flüchtlingskrise Asylbewerber abzunehmen. Damit hätten sie gegen EURecht verstoßen.
Wie der Streit begann: Italien und Griechenland hatten am Andrang von Asylsuchenden 2015 besonders schwer zu tragen. Deshalb entschieden die EU-Staaten in zwei Mehrheitsentscheidungen die Umverteilung von bis zu 160 000 Asylbewerbern aus den beiden Ländern. Ungarn, Polen und Tschechien weigerten sich jedoch beharrlich, die Beschlüsse umzusetzen – obwohl der EuGH ihre Rechtmäßigkeit später bestätigte. Ungarn und Polen nahmen im Rahmen der Beschlüsse keinen einzigen Asylbewerber auf, Tschechien zwölf. Deshalb klagte die EU-Kommission gegen die drei Länder. Mittlerweile sind die Programme
beendet, tatsächlich umgesiedelt wurden nach Angaben der EU-Kommission nur knapp 35 000 Menschen.
Das Urteil: Polen und Ungarn hatten argumentiert, die Umsiedlung gefährde die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung. Die obersten EU-Richter stellten nun klar, dass die beiden Länder mit dieser Begründung nicht pauschal die Aufnahme aller Asylbewerber ablehnen durften. Stattdessen hätte jeder Fall einzeln geprüft werden müssen.
Keine Einsicht: Keines der drei Länder misst dem Urteil irgendeine Bedeutung bei. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis sagte: „Wir haben diese juristische Auseinandersetzung zwar verloren, aber das ist nicht wichtig.“Entscheidend sei, „dass wir keine Migranten aufnehmen werden und dass das Quotenprojekt in der Zwischenzeit beendet wurde – und das hauptsächlich dank uns.“Auch aus Sicht der polnischen und ungarischen Regierung hat das Urteil keine Konsequenzen.
Breite Zustimmung: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sprach von einem wichtigen Urteil. Es beziehe sich zwar auf die Vergangenheit, gebe aber Orientierung für die Zukunft. „Das Gericht ist sehr klar was die Verantwortung der Mitgliedsstaaten angeht.“Zum weiteren Vorgehen äußerte sie sich nicht. Auch sonst erfuhr das Urteil über Parteigrenzen hinweg viel Zustimmung – außer von der AfD. Die EU-Abgeordnete Lena Dupont von der CDU sagte etwa: „Das Urteil, das sich auf die Lage 2015 bezieht, ist folgerichtig und macht deutlich, dass europäische Solidarität grundsätzlich keine Einbahnstraße ist.“
Die EU und ihre Asylreform: Seit Jahren ist klar: Die Asyl- und Migrationspolitik der EU muss reformiert werden. Staaten wie Griechenland und Italien wollen die Dublin-Regeln ändern. Danach ist meist jener Staat für einen Asylantrag zuständig, dessen Boden der Schutzsuchende zuerst in Europa betreten hat. Ungarn, Polen, Tschechien und auch Österreich lehnen eine verpflichtende Umverteilung von Asylbewerbern jedoch strikt ab. Nach Ostern will die EU-Kommission einen neuen „Migrationspakt“vorlegen.