Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Hinterlassen hat er eine Schneise der Verwüstung“
2017 kracht ein Lastwagen von der B 30 bei Oberessendorf in eine Halle – Wie ein Polizist den Unfall erlebt hat
LAUPHEIM - 2. August 2017: Auf der B 30 bekommt ein Lastwagenfahrer gesundheitliche Probleme und verliert die Kontrolle über sein Fahrzeug. 32 Tonnen verselbstständigen sich, krachen bei Oberessendorf die Böschung hinunter und durchbohren eine Produktionshalle. Torsten Laufer ist Polizeioberkommissar, seine Dienststelle ist das Verkehrskommissariat in Laupheim. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er damals den Unfallhergang ermittelt. Im Gespräch mit Christoph Dierking schildert er, wie er die Ereignisse erlebte.
Herr Laufer, Unfälle gehören für Sie zum Alltag. Was geht Ihnen auf Einsatzfahrten durch den Kopf?
Es bringt nichts, sich irgendwelche Horrorszenarien auszumalen. Wir bleiben ruhig und sachlich, im Unfalldienst wird man mit der Zeit routiWie niert. Ich persönlich finde es einfacher, auf der Fahrt zum Einsatz erst mal vom Schlimmsten auszugehen. Dann ist man auf alles eingestellt.
Wie haben Sie die Situation erlebt? Das war ein Blaulichtmeer, viele Einsatzkräfte waren schon da, als wir angekommen sind. Die Lage war extrem unübersichtlich. Den LKW konnte man gar nicht sehen, er war irgendwo in der Halle verschwunden. Hinterlassen hatte er eine Schneise der Verwüstung. Autos auf dem Parkplatz waren nach rechts und links weggeschoben, wie Spielzeugautos. Niemand wusste, ob noch Arbeiter in der Halle sind, womöglich eingeklemmt unter irgendwelchen Trümmerteilen. Unklar war auch, ob Einsturzgefahr besteht. Die Rettungskräfte haben die Arbeiter, die schon draußen waren, befragt. viele wart ihr? Wer hat wo gestanden? Nach und nach hat sich herausgestellt, dass niemand mehr in der Halle war.
Wie gehen Sie bei solchen Ermittlungen vor? Worauf kommt es an? Grundsätzlich, das gilt für alle Einsätze, schauen wir, wo die beteiligten Fahrzeuge gefahren sind. Denn dort treten die Spuren auf. Bremsspuren, Driftspuren, Schleuderspuren, oder auch Spuren im Gras. Im konkreten Fall konnte man an der Grasnarbe sehr gut erkennen, wo der LKW von der Straße abgekommen war. Mein Kollege ist mit der Kamera ausgestiegen – er hat die Spuren mit Sprühkreide gekennzeichnet und aus verschiedenen Perspektiven fotografiert. Wir teilen uns immer auf: Der eine kümmert sich um die objektiven Spuren, der andere sucht das Gespräch mit
Rettungskräften und Zeugen. Klar ist natürlich, dass die Versorgung von Verletzten Vorrang hat. Da hilft die Polizei, wo sie kann. Aber manche Spuren sind vergänglich – wenn mir etwas auffällt, was für die Ermittlungen wichtig ist, mache ich mir sofort Notizen, gegebenenfalls ein Foto. Es läuft quasi alles parallel.
Was sind typische Unfallszenarien, mit denen Sie auf der B 30 immer wieder konfrontiert sind?
Bei vielen Unfällen sind überhöhte Geschwindigkeit und gewagte Überholmanöver die Ursache. Ab dem Jordan-Ei in Richtung Ravensburg ist die Straße mit Unterbrechungen einspurig – und wenn es zweispurig wird, preschen viele Autofahrer vor. Sie sehen einen LKW, der 500 Meter vor ihnen fährt, geben Gas, obwohl die Spur nach 800 Metern zu Ende ist. Dann entstehen an den Engstellen gefährliche Situationen, oft wird noch über die Sperrflächen überholt. Ein anderes Problem sind falsch eingeschätzte Geschwindigkeiten. Viele blicken vor dem Überholen nur flüchtig in den Rückspiegel, denken sich, dass das Auto auf der Überholspur noch weit weg ist, und scheren aus. So kommt es teilweise zu schweren Unfällen – zumal es an der Straße keine Mittelleitplanke gibt und die Fahrer oft in den Gegenverkehr ausweichen.
Was ergaben die Ermittlungen der Ereignisse von Oberessendorf?
Es gab einen Zeugen, der vor dem Unfall direkt hinter dem LKW hergefahren ist. Er hat ausgesagt, dass der Unfallverursacher ohne irgendeine Reaktion in der Kurve weiter geradeaus gefahren ist. Bremslichter habe er keine gesehen. Das war ein wichtiger
Hinweis, den man nicht aus den Spuren hätte herauslesen können. Es schien glaubhaft, dass der
Fahrer wegen eines internistischen Notfalls die Kontrolle verloren hatte, und nicht, weil er abgelenkt oder in Sekundenschlaf gefallen war – dann hätte er nämlich eine Reaktion gezeigt. Später haben auch die Ersthelfer am Führerhaus ausgesagt, dass er benommen war. Allerdings weniger vom Unfall, sondern eher, weil es ihm körperlich nicht gut ging. Und letztlich haben auch die Daten aus dem digitalen Kontrollgerät, das im LKW installiert war, gezeigt, dass der Unfallverursacher nicht gebremst hat. So fügten sich alle Puzzleteile zusammen.