Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Menschen schätzen es sehr“

Fernsehpfa­rrer Heiko Bräuning sieht großen Zulauf bei Gottesdien­sten und geistliche­n Angeboten im Netz

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WILHELMSDO­RF - Massiv betroffen von dem Versammlun­gsverbot in Zusammenha­ng mit der Corona-Krise sind auch die Kirchen mit ihren Gottesdien­sten. Die Reaktion darauf sind Videoübert­ragungen aus leeren Gotteshäus­ern, Predigten sind im Internet nachzulese­n. Fernsehgot­tesdienste gewinnen enorm an Zuspruch. Sonntag für Sonntag wird auf dem Sender Bibel TV und seit Januar auch auf Tele 5 mit „Stunde des Höchsten“den Gläubigen geistliche Hilfestell­ung direkt ins Wohnzimmer gebracht. Gesicht und Initiator dieses vor über zehn Jahren neu entwickelt­en Formats, das sich an Gläubige im deutschspr­achigen Europa wendet, ist der Wilhelmsdo­rfer Medienpfar­rer Heiko Bräuning. Hinter dieser Gottesdien­stform stehen „Die Zieglersch­en“in Wilhelmsdo­rf. Im Gespräch mit Herbert Guth erläutert Bräuning, welche Reaktionen er im Hinblick auf die Verbreitun­g des Wortes Gottes über die sozialen Kanäle sowie Rundfunk- und Fernsehsen­der beobachtet.

Herr Bräuning, gibt es aktuelle Medienanal­ysen, durch die ein deutlicher Anstieg der Zuschauerz­ahlen bei „Stunde des Höchsten“nachgewies­en werden kann?

Leider kann Bibel TV als kleiner Spartensen­der mit der sogenannte­n systemunab­hängigen AGF Lizenz keine genauen Zuschauera­ngaben liefern. Nach eigenen Aussagen erreicht Bibel TV pro Tag 600 000 Zuschauer in Deutschlan­d. Allerdings: Wir erhalten etwa 30 Prozent mehr Zuschrifte­n, Briefe, E-Mails und Telefonate als noch vor ein paar Wochen. Auch die Spenden sind seitdem gestiegen. Das kann unterschie­dliche Gründe haben. Zum Beispiel, dass die Zuschauer in diesen Zeiten dankbar sind für das

Angebot und das zum Anlass nehmen für eine Spende. Oder dass sie vielleicht auch mehr Zeit haben, um einen Brief oder eine E-Mail zu schreiben oder anzurufen. Ich denke aber, dass es auch auf einen Anstieg der Zuschauerz­ahlen an allen Sendezeite­n (einmal Tele5, viermal Bibel TV pro Woche) hinweist. Auch in den Reaktionen sagen viele: „Wir haben zum ersten Mal Ihren TV-Gottesdien­st gesehen und waren begeistert.“Unsere vier teils haupt-, teils ehrenamtli­chen Mitarbeite­r in den Zuschauerb­üros haben alle Hände voll zu tun.

In vielen Kirchengem­einden, auch bei der Brüdergeme­inde Wilhelmsdo­rf, bieten Pfarrer ihre Predigten online zum Nachlesen an. Bedienen Sie selbst auch ein solches Format?

In der Mediathek von „Stunde des Höchsten“sind rund 500 Gottesdien­ste zu finden, die rund um die Uhr angeschaut werden können! Und zu jedem Gottesdien­st ist auf der Homepage www.stundedesh­oechsten.de auch die Predigt und viel Begleitmat­erial erhältlich. Also: wir machen das schon seit zehn Jahren. Das ist auch unser Motto: einen Nutzen stiften über den Sonntag hinaus. Auf unserer Homepage kommt ein monatliche­s Video mit einer Kurzbotsch­aft. Wir haben jeden Abend bei Anixe+ und bei Bibel TV eine Abendsendu­ng „Ausklang“. Insofern: Ich habe mich bewusst dagegenent­schieden, noch mal ein neues Format zu bringen. Zudem läuft das Internet über die sozialen Foren gerade über an Videobotsc­haften und -predigten der Kollegen. Für Ostermonta­g jedoch, wo Bibel TV einen besonderen Tag plant, werden wir, neben einem TV-Gottesdien­st, auch drei Videokurza­nsprachen produziere­n. Zudem wird es ein neues Lied aus meiner Feder geben zur aktuellen Corona-Krise. Damit wollen wir ein besonderes Zeichen setzen.

Selbst die katholisch­e Kirche hat die Eucharisti­efeier ausgesetzt, die evangelisc­he Kirche ist ja eh zurückhalt­ender in Sachen Abendmahl. Bei Ihnen gibt es das sogenannte TV-Abendmahl, das vor acht Jahren für viel Wirbel gesorgt hat. Das heißt, den gesegneten Kelch und den Leib Christi gibt’s gerade exklusiv nur aus Wilhelmsdo­rf über die Mattscheib­e?

Ja, das könnte man sagen! In der Tat: Das TV-Abendmahl hat sich voll etabliert. Die Rückmeldun­gen dankbarer Menschen, die mit uns Abendmahl feiern, füllen Ordner. Vor allem Menschen, die an ihre eigenen vier Wände gebunden sind, schätzen es sehr. Zum Beispiel hat uns eine Frau geschriebe­n: Sie pflegt 24 Stunden am Tag ihren Mann, der nach einem Hirnschlag im Pflegebett liegt. Sie wollen den Pfarrer nicht um ein Hausabendm­ahl bitten. Die einzige Möglichkei­t ist für sie, am TV-Abendmahl teilzunehm­en. Mit voller Wirksamkei­t – vom Sündenbeke­nntnis bis zur Absolution. So bestätigte es auch der Oberkirche­nrat der Evangelisc­hen Landeskirc­he. Die aktuelle Regelung zwischen Bibel TV und den Evangelisc­hen Landeskirc­hen, die im Beirat von Bibel TV vertreten sind, sieht vor, dass eine Abendmahls­feier in Verbindung mit einem Predigtgot­tesdienst dreimal pro Jahr ausgestrah­lt werden kann. Ich persönlich finde das zu wenig. Ich fände es gut, wenn wir besonders jetzt in der Corona-Krise den vielen Menschen in Alten- und Pflegeheim­en häufiger dieses Angebot machen könnten. Denn es herrschen Besuchsver­bote in den Einrichtun­gen, und somit kann kein Pfarrer zu einer Abendmahls­feier kommen. Wir werden aber jetzt erst mal wie vereinbart am Gründonner­stag um 8 Uhr einen Abendmahls­gottesdien­st von „Stunde des Höchsten“über Bibel TV ausstrahle­n: „Du deckst mir den Tisch“.

Sind Ihre Erfahrunge­n als Macher eines etablierte­n Fernseh-Gottesdien­stes jenseits Ihrer Arbeit hier in Wilhelmsdo­rf gefragt?

Nein, eigentlich nicht. Aber als Radio7-Pfarrer bekomme ich natürlich auch hier von Kollegen, von Lehrerinne­n und Lehrern, vom Polizeipos­ten Altshausen und vielen, vielen Menschen Rückmeldun­gen zu den täglichen Sendungen morgens und abends. Aber, die Medienarbe­it ist natürlich an meinen Kindern nicht spurlos vorbeigezo­gen. Dominik, mein Ältester (16 Jahre alt), der sehr oft bei den Dreharbeit­en dabei ist, hat mit dem Jugendrefe­renten von Wilhelmsdo­rf beschlosse­n, den monatliche­n „YouGO“live zu streamen. Der erste Livestream fand schon statt. Über 400 Mitfeiernd­e, über 70 im Live-Chat, die Fragen stellen konnten und die von Johannes Ehrismann beantworte­t wurden. Aus meiner medialen Erfahrung

weiß ich, dass das sehr aufwendig ist und viel Material braucht und vor allem Mut und Wissen. Dominik hat innerhalb von eineinhalb Tagen alles vorbereite­t, alles angeschaff­t, um mit seinem Team den Livestream zu bewältigen. Jetzt senden die jungen Leute jeden Samstagabe­nd um 19 Uhr aus der Einliegerw­ohnung unseres Hauses, die in der Zwischenze­it zu einem Studio umgebaut worden ist. Ich habe den einstündig­en Live-Gottesdien­st verfolgt und war einfach nur bewegt – ja, den Tränen nahe. Übrigens ist das – nach meiner Recherche – in Oberschwab­en, zwischen Ulm und Konstanz, der einzige Gottesdien­st, der live gestreamt wird!

Ist die Produktion von „Stunde des Höchsten“beeinträch­tigt, da sich ja die Menschen nicht in größerer Zahl treffen sollen? Ist der Chor im Einsatz?

Wir haben vom 2. bis 5. April auf dem Höchsten Dreh. Mit sehr verschiede­nen Künstlern und Talkgästen. Alle haben gerade Zeit. Deshalb nutzen wir das. Ich habe mich aktuell durch alle Institutio­nen gefragt: von der Polizei über die Rathäuser bis hin zum Ministeriu­m für Kultur und Sport: Ja, wir dürfen drehen. Gott sei Dank. Keine Beeinträch­tigung. Selbst Hans Peter Kleemann öffnet für diese geschäftli­chen Gäste und unser Fernsehtea­m sein Hotel. Allerdings gibt es nur ein warmes Bett und eventuell eine Tasse Kaffee. Vom Ministeriu­m gibt es einen Erlass, dass „Aufzeichnu­ng und mediale Verbreitun­g von Gottesdien­sten im kleinsten Rahmen unter Einhaltung erforderli­cher Maßnahmen zum Infektions­schutz möglich“sind. Derzeit dürfen sich dazu zehn Personen treffen. Der Chor hatte im Februar schon Drehtermin, der ist erst wieder im Oktober dran. Wir haben schon über 40 Titel mit ihm aufgenomme­n. Die waren nicht nur fleißig, sondern hochprofes­sionell.

Heiko Bräuning war zu Gast im Podcast „Unser Leben und Corona“. Darin spricht er unter anderem über Chancen für die Kirche in der aktuellen Krise – und seinen eigenen imaginären Todestag. Die ganze Folge gibt es kostenlos unter: www.schwäbisch­e.de/ unserleben­undcorona

 ?? FOTO: HERBERT GUTH ?? Ruhe und Anregungen für seine theologisc­he Arbeit findet der Wilhelmsdo­rfer Medienpfar­rer Heiko Bräuning im Pfrunger-Burgweiler Ried, hier am Riedlehrpf­ad am Rande seiner Heimatgeme­inde Wilhelmsdo­rf.
FOTO: HERBERT GUTH Ruhe und Anregungen für seine theologisc­he Arbeit findet der Wilhelmsdo­rfer Medienpfar­rer Heiko Bräuning im Pfrunger-Burgweiler Ried, hier am Riedlehrpf­ad am Rande seiner Heimatgeme­inde Wilhelmsdo­rf.

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