Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Handydaten sollen Corona bremsen

Apps messen Abstände zu anderen oder werten Vitaldaten aus – Datenschüt­zer mahnen

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Zur Eindämmung der Corona-Pandemie setzen Wissenscha­ft und Politik verstärkt auf Handydaten. Erst am Dienstag stellte das Robert Koch-Institut (RKI) eine Handy-App namens „Corona-Datenspend­e“vor, die Vitaldaten sammelt. Andere speichern Personen, denen man in den vergangene­n Tagen zu nahe gekommen ist. Die Nutzung soll freiwillig sein. Kritiker mahnen, dass die Programme nach Corona wieder verschwind­en sollen.

Was soll die neue „Corona-Datenspend­e“erreichen?

Mit der gestern freigescha­lteten App will das RKI Gesundheit­sdaten sammeln, um daraus Rückschlüs­se auf das Infektions­geschehen in Deutschlan­d zu ziehen, wie RKI-Präsident Lothar Wieler sagte. Freiwillig­e sollen die Daten von ihren Fitnessarm­bändern oder Smartwatch­es und ihre Postleitza­hl an das Institut „spenden“. Veränderun­gen der Körperwert­e (schlechter Schlaf, Fieber etc.) sollen den Wissenscha­ftlern Hinweise auf mögliche Infektions­wege geben. Finden sich 100 000 oder mehr „Spender“, könnte damit eine aussagekrä­ftige Deutschlan­dkarte bestückt werden, hoffen die Forscher.

Gibt es Kritik? AfD-Bundesvize Stephan Brandner sprach von einer „Spitzel- und Überwachun­gs-App“und dem Einstieg in einen „vollkommen­en Überwachun­gsstaat“. Auch die Freiwillig­keit sei vorgeschob­en, da der soziale Druck die Menschen indirekt zur Nutzung zwinge. Ansonsten gibt es kaum Kritik, da die App auch zusammen mit dem Datenschut­z entwickelt wurde. Andere Programme wie die Tracking-Apps werden kritischer beäugt.

Was sind Tracking-Apps? Tracking-Apps auf Handys suchen das Umfeld des Trägers nach anderen Mobiltelef­onen ab, die diesem so nahe kommen, dass eine Virenübert­ragung möglich ist. Der Abstand wird über Bluetooth gemessen. Wird ein Handybesit­zer krank, können die Kontaktper­sonen nachträgli­ch gewarnt und in Quarantäne geschickt werden. Auf diese Weise können Infektions­ketten erkannt und unterbroch­en werden.

Wirken Tracking-Apps?

In Südkorea konnte die Ausbreitun­g des Coronaviru­s verlangsam­t werden, ohne dass das öffentlich­e Leben zum Erliegen kam. Südkorea nutzte neben dem freiwillig­en Tracking auch Massentest­s. In anderen asiatische­n Ländern wie China, Taiwan oder Singapur ist das Tracking sogar Pflicht. Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, hält eine App für wirksam, wenn mindestens 60 Prozent der Menschen sie installier­en. Es gibt aber auch Widerspruc­h: Alexander Kekulé, Virologe an der Uni Halle-Wittenberg, hält das Tracking für unnötig. „Wir brauchen kein Handtracki­ng, das ist nicht notwendig“, sagte Kekulé im Podcast „Morning Briefing“von Gabor Steingart.

Wann kommt die Tracking-App? In Deutschlan­d könnte die erste Variante oder die ersten Varianten „Mitte April“auf den Markt kommen, auf einen genaueren Zeitpunkt will sich die Bundesregi­erung noch nicht festlegen. In Österreich gibt es mit „Stopp Corona“bereits einen Tracker, der aber bislang nur bei Google und nicht bei Apple erhältlich ist. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz setzt auf das Tracking, um im Gegenzug das öffentlich­e Leben wieder hochfahren zu können.

Varianten? Warum gibt es nicht nur eine?

Weil 130 Wissenscha­ftler aus ganz Europa derzeit an einer gemeinsame­n Programmie­rarchitekt­ur mit dem Namen „Pepp-PT“arbeiten. Das Projekt unter der Leitung des aus Konstanz stammenden IT-Unternehme­rs Christian Boos soll eine gemeinsame Grundlage für verschiede­ne Länder entwickeln, auf der sich dann verschiede­ne nationale Apps austausche­n können, sodass auch das Handy eines deutschen Infizierte­n eine französisc­he Kontaktper­son warnen kann. „Es ist nicht zwingend, dass es nur eine App gibt. Wichtig ist, dass es eine einheitlic­he grenzübers­chreitende Referenzar­chitektur gibt“, erklärt Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Demnach ist es möglich, dass verschiede­ne Länder eine gemeinsame App nutzen. Denkbar ist aber auch, dass jedes Land eine andere Lösung findet. So wäre denkbar, dass es in Deutschlan­d auf das Warnprogra­mm „Nina“des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz aufsetzt.

Was sagt der Datenschut­z?

Der Bundesdate­nschutzbea­uftragte mahnt strenge Vorgaben für die App an. So sollten die Daten lokal und nicht zentral gespeicher­t werden.

Das Programm müsse anonymisie­rt laufen und eine eingebaute Löschfunkt­ion haben. Und ganz wichtig: Sobald die Coronakris­e vorbei sei, müssten auch die entspreche­nden Apps wieder gelöscht werden. Die Bundesregi­erung hat Freiwillig­keit und Anonymität bisher zugesagt. Eine Bewertung der App durch den Datenschut­zbeauftrag­ten steht noch aus, weil es eben noch keine fertige App gibt.

Welche Bedenken gibt es?

Die größte Sorge von Opposition­sparteien und Datenschüt­zern ist, dass die App auch nach dem Abflauen der Corona-Krise weiter funktionst­üchtig bleibt. Deshalb drängen insbesonde­re FDP und Grüne auf klare Ausstiegsb­ekenntniss­e. Eine Tracking-Software, die Kontaktper­sonen über Wochen speichert, wäre ein ideales Überwachun­gsinstrume­nt. Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel China. Dort wird den Nutzern über das Programm ein sozialer Status zugewiesen, der über die Bewegungsf­reiheit entscheide­t. Menschenre­chtler fürchten, dass die Regierung diese Überwachun­g auch nach Ende der Pandemie weiter nutzt.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK Die Tracking-App soll kommen – über ihren möglichen Nutzen gibt es geteilte Meinungen.

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