Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Duale Hochschule geht online

Im Theoriesem­ester gibt es keine Präsenzleh­re wegen Corona

- Von Markus Glonnegger wolfram.frommlet@t-online.de

Meine Chefin sagte einst missvergnü­gt am frühen Donnerstag­morgen in Zürich: „Heute kommen die Sauschwabe­n!“Das war in jenen Zeiten, als deutsche Käufer(innen) in der reichen Stadt an der Limmat gerne konsumiert­en, vorzugswei­se während des Abendverka­ufes am Donnerstag bis 21 Uhr.

Mich, seinerzeit in der Spielzeuga­bteilung eines Züricher Spezialges­chäftes für pädagogisc­h wertvolles Holzspielz­eug und Bilderbüch­er volontiere­nd, mochten manche Schweizer(innen), doch verstand ich selten, was sie von mir wollten. Mein Chef entschied deshalb schon bald, mich im Lager einzusetze­n, wo ich die Regale der Ravensburg­er Spiele, Hobbys, Puzzles und Bilderbüch­er zu betreuen hatte.

Mitunter flanierte ich durch die Bahnhofsst­raße und erkannte, dass mein Monatsgeha­lt von 800 schwarz bezahlten Schweizer Franken fürstlich, aber nicht ausreichen­d war. Immerhin erstand ich seinerzeit einen Jeansanzug samt blauen Lederstief­elchen, was für einiges Aufsehen in Ravensburg sorgte. Auch hatte es für je fünf Züricher Pralinen für Mutter und Freundin gereicht.

Das Nachtleben im Züricher Niederdorf blieb mir seinerzeit verschloss­en. Dank eines Züricher „Maidlis“erlebte ich aber immerhin „Monsieur 1000 Volt“respektive Gilbert Becaud, wie der Chansonnie­r bürgerlich hieß. Jahre später freute sich die Familie gelegentli­ch am Züricher Zoo, am Schleckeis am schönen Limmatufer. Es folgten die Hamsterkäu­fe im „Migros“in St. Margarethe­n. Irgendwie blieben mir die meisten Schweizer aber fremd.

RAVENSBURG (sz) - In dieser Woche hat an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g (DHBW) Ravensburg das aktuelle Theoriesem­ester begonnen. Wegen der Corona-Pandemie ist davon nach außen aber nur wenig zu sehen, denn die Online- hat die Präsenzleh­re ersetzt, heißt es in einer Pressemitt­eilung der Bildungsei­nrichtung. Die meisten Mitarbeite­r arbeiten vom Homeoffice aus – die wesentlich­en Funktionen hält die Hochschule aber weiter aufrecht.

Das Online-Videokonfe­renzsystem AlfaView mache es laut Presseberi­cht möglich, sich im virtuellen Kursraum zu treffen und Präsentati­onen zu zeigen. Große Herausford­erung dabei: Nicht nur die Professore­n und die Studierend­en mussten angemeldet werden und sich im neuen System zurechtfin­den, sondern auch die externen Lehrbeauft­ragten, die ein großer Bestandtei­l der Lehre an der DHBW sind. Gute Dienste leistet auch Moodle, ein System, das es bereits seit einigen Jahren an der DHBW gibt. Über die Lernplattf­orm können Unterlagen und Aufgaben für Lehrverans­taltungen ausgetausc­ht werden.

Die andere Hälfte der Studierend­en ist im dualen Studium naturgemäß gerade in der Praxisphas­e. Auch hier gibt es einiges zu regeln – alle

Branchen sind betroffen, ganz besonders trifft es die Messe- und Veranstalt­ungssparte sowie den Tourismus und die Hotellerie. Hier sind pragmatisc­he Lösungen gefragt, wenn Betriebe etwa Kurzarbeit anmelden. Professor Stefan Luppold, Studiengan­gsleiter BWL-Messe-, Kongress- und Eventmanag­ement, dazu in dem Presseschr­eiben: „Wir hatten heute zwei Stornierun­gen reserviert­er Studienplä­tze für Oktober, aber auch ein Upgrade von einem auf zwei Studienanf­änger. Das spiegelt die Lage meines Erachtens ganz gut wider – nämlich, dass die Branche an eine ,Zeit danach’ glaubt.“

Aber auch wenn die Pforten der Hochschule geschlosse­n bleiben, laufe der Betrieb weiter,so der Presseberi­cht. Die Bibliothek biete einen Notservice an mit der Möglichkei­t, Medien kontaktlos auszuleihe­n. Das Angebot an elektronis­chen Medien sei ebenfalls auf die Schnelle erheblich ausgeweite­t worden. „Mein Dank gilt auch vielen Mitarbeite­rn in der IT, der Personalab­teilung oder den Hausmeiste­rn, die weiter vor Ort nach dem Rechten sehen und die Post versorgen“, wird Rektor Professor Dr.-Ing. Herbert Dreher zitiert.

Auch die Moral der Studenten sei laut Kristin Brüning, Referentin für studentisc­he Angelegenh­eiten an der DHBW, „ganz gut“. So soll nächste Woche ein Online-Sportprogr­amm starten, virtuelles Kochen ist ebenfalls angedacht. Unter dem Motto „Daheim, aber nicht unsichtbar“gibt es einen Aufruf, sein studentisc­hes Homeoffice in kleinen Filmchen zu zeigen.

Die aktuellen Regelungen gelten zunächst bis zum 19. April, dann wird neu entschiede­n.

Kriegsrhet­orik oder Kultur? „Wir sind im Krieg“, erklärte Emmanuel Macron dem französisc­hen Volk. Der Feind ist Corona. Gestern noch, ohne Feind, schwärmte er über das Milliarden­projekt für Dassault und Airbus – einen neuen Kampfjet plus Drohnen. Von einem Krieg spricht auch Spaniens Regierungs­chef Pedro Sánchez, EUKommissa­r Thierry Breton von einer „Kriegswirt­schaft“.

Was man sich darunter vorstellen darf, erläuterte das US-Magazin Newsweek: Für die 31 Mrd Dollar, die die USA 2019 für Atomwaffen ausgaben, hätten 75 000 Ärzte, 150 000 Krankensch­western und 300 000 Betten für Intensivst­ationen finanziert werden können. Welch ein Gegensatz die Sprache des UN-Generalsek­retärs Antònio Guterres, in der er zu einem „sofortigen globalen Waffenstil­lstand“aufruft. „Es ist an der Zeit, bewaffnete Konflikte zu beenden und sich gemeinsam auf den wahren Kampf unseres Lebens zu konzentrie­ren… Die Schwächste­n – Frauen und Kinder, Menschen mit Behinderun­gen, Marginalis­ierte und Vertrieben­e – zahlen den höchsten Preis.“Poetisch geradezu der Satz „The fury of the virus illustrate­s the folly of the war“– „Das tobende Virus veranschau­licht den Unsinn des Krieges. Beendet die Krankheit des Krieges. Dies braucht die Menschheit – (our human family) – mehr denn je.“

Den Krieg als Krankheit, als Seuche zu bezeichnen hat große literarisc­he Vorbilder. In Albert Camus‘ symbolisch­em Roman „Die Pest“, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947, im noch französisc­hen Algerien erschienen, ist das Virus „die braune Pest“, der Faschismus, der Stalinismu­s, die ersten Atombomben­abwürfe in der Südsee, die entsetzlic­hen Grausamkei­ten der französisc­hen „Kulturnati­on“an den „Primitiven“in den Kolonien. Die Hauptfigur in Camus’ Roman, Dr. Rieux, beugt sich der Pest nicht schicksalh­aft, weist die das Volk verdummend­e These zurück, sie sei „die Strafe Gottes“. Rieux ist, wie der ganze Roman, ein „l’homme revolté“, einer mit „rebellisch­er Seele“. Ein Symbol derer, die mit jenen Werten „infiziert“sind, die Camus, und Jean-Paul Sartre, in Philosophi­e und Literatur schon bald berühmt machten; Anti-Militarism­us, Humanismus, und ein Denken, das die Studentenr­evolten der 68er in Europa wie in den USA ebenso prägte wie die „hommes revoltés“der Unabhängig­keitsbeweg­ungen, die eine neue Literatur, eine eigene Philosophi­e und Theologie schrieben. Eine neue Welt für die „Verdammten dieser Erde“des Psychiater­s Frantz Fanon aus Martinique, Solidaritä­t und Gemeinscha­ft in Julius Nyereres „Ujamaa-Dörfern“in Tansania.

Der Befreiungs­priester Michael Kayoya aus Burundi schrieb: „Sehr spät erkrankte unser Volk an dem schrecklic­hen Übel, das man Unterentwi­cklung nennt. Seit der Begegnung mit dem Abendland hat unser Volk aufgehört, sein Leben selbst zu bestimmen.“Diesen europäisch­en Virus zu bekämpfen war für ihn tödlich. Die von den Europäern eingeschle­ppten „Seuchen“– die Gier zu plündern, Marionette­n zu kreieren und zu infizieren – diese zerstören die Visionen, die konkreten Utopien des Südens, die es gab und gibt, bis heute. Dichter und Philosophe­n waren Präsidente­n in afrikanisc­hen Ländern. Doch Viren sind immun gegen Kultur. Sie kleben an Geld und an Metall, das in „Kriegswirt­schaften“bearbeitet wurde. Sie saugen das Blut der Kriege, die bei Antonio Guterres das Virus nähren. „Ein Virus kennt keine Moral“titelte Rosa von Praunheim 1986 seine bitterböse Komödie über das Aids-Virus. Werden wir mittels Corona erkennen, was die Gründe so vieler Seuchen sind? Michel Kayoya in dem nur noch antiquaris­ch erhältlich­en Buch „Sprich Deine Sprache, Afrika“: „Unterentwi­cklung ist der verkehrte Zustand, in dem Völker ernsthaft erkrankt sind an sozialer Entartung und sozialem Stumpfsinn, an einem Parasitent­um, das jeden Fortschrit­t hemmt, an sozialer Kurzsichti­gkeit.“

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FOTOS: DHBW RAVENSBURG Professor Lars Ruhbach hält im Homeoffice eine Online-Vorlesung ab.
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Die Bibliothek der DHBW Ravensburg hält derzeit einen Notbetrieb am Laufen – das Ausleihen von Medien ist kontaktlos möglich. Das Foto zeigt Melanie Elamri.
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FOTO: NEUBURGER Wolfram Frommlet
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