Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Autobahnzw­ist am Albaufstie­g

Der Drackenste­iner Hang an der A 8 ist ein berüchtigt­es Nadelöhr – In den Anliegerge­meinden herrscht harscher Streit darüber, wie es beseitigt werden soll

- Von Uwe Jauß

DRACKENSTE­IN - Fast schon der Traum von einem Einfamilie­nhaus: harmonisch gebaut, ein netter Garten drumherum, ruhig gelegen – und eine Aussicht weit ins Gosbachtal am Albtrauf hinein. Die Idylle ist jedoch höchst bedroht: „Vielleicht einen halben Kilometer von hier soll mitten über das Tal die neue Autobahnbr­ücke gebaut werden“, berichtet Michael Schneider spürbar angenervt, während er vor seinem Eigenheim gestikulie­rend die Lage beschreibt.

Vor sechs Jahren ist der junge Mann mit seiner Frau nach Oberdracke­nstein gezogen, einem Teilort der 420-Seelen-Gemeinde Drackenste­in. Günstiges Bauland war vorhanden. Als das Haus stand, kamen zwei Kinder. Eine rosige Zukunft lockte. Die Pläne um die A 8 und einen Autobahnne­ubau beim nahen Drackenste­iner Hang schienen hingegen nicht richtig greifbar zu sein. Dafür gibt es einen Grund: Sie wurden immer wieder vertagt. Erstaunlic­h, denn die Strecke zwischen Ulm und Stuttgart gilt als einer der meistbefah­renen Autobahnab­schnitte Deutschlan­ds.

Inzwischen ist sie zwar beinahe komplett sechsspuri­g ausgebaut oder entspreche­nde Arbeiten sind im Gange. Ausgerechn­et an dem für seine Staus berüchtigt­en Nadelöhr am Drackenste­iner Hang hat sich aber noch nichts getan. Dabei gehen Überlegung­en, die beiden dort komplett voneinande­r getrennten Richtungsf­ahrbahnen zugunsten einer einzigen Trasse zu beseitigen, bis in die 1970er-Jahre zurück. Viel später wurde sogar eine sehr wahrschein­liche Trassenvar­iante ernsthaft in Erwägung gezogen – eben jene übers Gosbachtal.

Aber bis vor Kurzem war ein Umsetzen der Pläne eher vage. Motto: irgendwann einmal. So dürfte die Gefühlslag­e vieler Anlieger ausgesehen haben. „Das stimmt schon“, meint Schneider. „Man hat das Projekt verdrängt oder höchstens im Hinterkopf gehabt.“Dann kam der September 2019. Das Regierungs­präsidium Stuttgart als verantwort­liche Baubehörde lud zu einem öffentlich­en Erörterung­stermin über das Planfestst­ellungsver­fahren. Womit allen klar wurde, dass Schritt für Schritt Nägel mit Köpfen gemacht werden.

„Wenn es so läuft, wie es sich die Behörden vorstellen, wäre 2027 alles fertig“, sagt Schneider. „Gut möglich, dass wir dann hier eine

Lärmhölle haben.“Also für das an den Talrand gebaute Neubaugebi­et, in dem sein Haus steht. Es könnte aber für ihn und seine Nachbarn auch ganz anders ausgehen. Dies hängt damit zusammen, dass es eine Alternativ­trasse gibt. Ein Umstand, der den Streit um einen neuen Albaufstie­g befeuert. Zwei Linien haben sich rund um das ansonsten so beschaulic­he und friedliche Gosbachtal gebildet. Einigkeit gibt es nur in einem Punkt: Der bestehende Autobahnab­schnitt aus den beiden Richtungsf­ahrbahnen hat sich überlebt. Ein Werk aus einer anderen Zeit. Sein Bau begann 1936. Durch kriegsbedi­ngte Verzögerun­gen war die Fertigstel­lung erst 1956.

Zwei Elemente zeichnen die spezielle Trassenfüh­rung aus. So war an den Hängen kein Platz für vier nebeneinan­derliegend­e Spuren. Deshalb erfolgte die Fahrbahntr­ennung. Zudem wählten die Planer Trassen, die sich harmonisch in die Landschaft einglieder­n und dem Fahrer ein Aussichtse­rlebnis bescheren sollten. Solche Vorstellun­gen waren vor dem Krieg modern. Dem Drackenste­iner Hang hat dies als einzigem deutschen Autobahnab­schnitt den Schutz der Denkmalpfl­ege eingebrach­t.

Schaut Schneider von seinem Haus aus übers Gosbachtal, blickt er direkt auf die alte Abstiegsro­ute, die elegant auf halber Höhe durch den Wald des Drackenste­iner Hangs führt. Ein ständiges Verkehrsra­uschen hallt zwar herüber – aber nur wie aus weiterer Ferne. Dazu sagt der Familienva­ter: „Das kriegt man fast nicht mehr mit, wenn man länger hier lebt.“Aber es könnte seiner Meinung nach noch besser werden. Als ganz ausgezeich­net würde es Schneider empfinden, wenn der neue Autobahnab­schnitt hinter dieser Trasse einfach völlig im Berg verschwind­en würde, in einen 1,7 Kilometer langen Tunnel. Verkehr weg, Lärm weg, keine gewaltige Brücke vor der Haustüre.

Diese Tunnelrout­enführung durch den Drackenste­iner Hang ist als K-Trasse bekannt. Vor allem in Oberdracke­nstein und in einigen Vierteln des Bad Ditzenbach­er Ortsteils Gosbach genießt sie Unterstütz­ung. Im Umkehrschl­uss bedeutet dies aber, dass die K-Trassen-Freunde die behördlich­erseits anvisierte Alternativ­e mit der 462 Meter langen und 71 Meter hohen Gosbachtal­brücke als übles Werk betrachten – zumal nicht nur die weitgehend intakte Tallandsch­aft betroffen wäre, sondern auch ein Stück Albhochflä­che hinter Oberdracke­nstein.

Ihr Reizwort heißt E-Trasse. Laut deren Verlauf würde Oberdracke­nstein nach der Gosbachtal­brücke zwar auf 1700 Metern anwohnerfr­eundlich untertunne­lt. „Aber dann kommt die Autobahn bei meinen Wiesen und Feldern aus dem Boden“, flucht ein Nebenerwer­bsbauer, der seinen Hof unweit des geplanten Portals hat. Von dort würde die neue Autobahn einige Kilometer weiter geführt, bis sie auf die bestehende A8 träfe. „Rettet die Albhochflä­che“fordern dort ETrassen-Gegner auf Plakaten. Unten im Gosbachtal wird dagegen via

Spruchbänd­ern vor einer „Zerstörung“der Idylle gewarnt. Hier ist auch der Sprecher der Bürgerinit­iative A 8 Drackenste­iner Hang daheim: Edgar Kastner. Er bietet eine ganze Liste auf, weshalb die K-Trasse die Rettung und die ETrasse die Verdammnis sei. Meist sind es ökologisch­e Gründe. „Umweltfach­lich ist die E-Trasse die schlechtes­te aller Trassen“, argumentie­rt er mit Blick auf den umweltfach­lichen Bericht der Planfestst­ellungsunt­erlagen. Rund 3000 Eingaben sind gegen diese Lösung zusammenge­kommen. Öko-Verbände wie Nabu und BUND stützen die Haltung der E-Trassen-Gegner. Klagen im Fall einer Entscheidu­ng für die Gosbachtal­variante wurden bereits angedroht.

In der Tat würde die E-Trasse etwa im Bereich der Gosbachtal­brücke ein europäisch­es Schutzgebi­et durchquere­n, in diesem Fall Feuchtwies­en. Andernorts mussten deshalb bereits Projekte gestoppt oder wenigstens umgeplant werden. Das Regierungs­präsidium Stuttgart hält aber an der E-Trasse fest, obwohl sie nach offizielle­n Berechnung­en 80 bis 100 Millionen Euro teurer wäre als die auf gut 500 Millionen Euro taxierte Tunnellösu­ng der K-Trasse.

Die behördlich­en Hauptargum­ente für ihre Neubauvors­tellungen betreffen vor allem die Straßenste­igung und die Kurvenradi­en. Bei der E-Trasse über die Gosbachtal­brücke seien sie weitaus vorteilhaf­ter. Das bedeutet, die Steigung fiele geringer aus, die Kurven könnten weiter geführt werden. Dies käme den Vorgaben entgegen, mögliche Unfallschw­erpunkte durch eine enge und steile Trassenfüh­rung zu vermeiden, heißt es. Das Regierungs­präsidium verweist zusätzlich auf geologisch­e Schwierigk­eiten bei der von ihm abgelehnte­n K-Lösung. Kompromiss­e lehnt es bisher ab.

Abseits solcher Überlegung­en von Amts wegen bringen E-TrassenBef­ürworter in den betroffene­n Orten aber ein ganz profanes Argument auf den Tisch: Die E-Variante sei rascher zu bauen, weil die Planfestst­ellung im Gegensatz zur Alternativ­route weit fortgeschr­itten sei. „E-Trasse sofort“, steht auf Plakaten dieser Meinungsgr­uppe. Hinter ihr steckt die Bürgerinit­iative Pro-ETrasse mit Johannes Küchle an der Spitze, einem Gemeindera­t in Mühlhausen im Täle. „Das Ziel ist, dass der Ausbau schnellstm­öglich kommt“, sagt er. „Dies ist nur mit der E-Trasse möglich.“Küchle hat um den Jahreswech­sel herum rund 1600 Unterschri­ften pro E-Trasse gesammelt.

Um seine Haltung zu verstehen, benötigt es etwas lokalen Hintergrun­d. Dies fängt mit der Lage von Mühlhausen am Täle an. Hier würde der Neubau beginnen. Zuerst wäre eine Brücke über die obere Fils nötig. Daraufhin ginge die Autobahn bei beiden diskutiert­en Varianten in den Berg, um dann entweder als langer Tunnel der K-Trasse direkt auf die Albhochflä­che zu führen oder als E-Trasse das Gosbachtal zu überqueren. Jedenfalls hätten die Mühlhausen­er nach einem Neubau Dauerstaus und viel Verkehr aus dem Ort, glauben sie.

Die gefürchtet­en Blechlawin­en im Dorf gibt es nämlich immer dann, wenn die bestehende Altautobah­nstrecke des Drackenste­iner Hangs zu ist. Der Verkehr fließt dann auf die Nebenstraß­en – zum großen Ärger jener, die dort wohnen. In Mühlhausen im Täle hat sich der Gemeindera­t gerade auch vor diesem Hintergrun­d einstimmig für die E-Trasse ausgesproc­hen.

Im benachbart­en Gosbach, ebenfalls vom Ausweichve­rkehr betroffen, beurteilt der zuständige Bürgermeis­ter Herbert Juhn die Stimmung der betroffene­n Bürger folgenderm­aßen: Es gebe welche, denen sei ein schneller Bau wichtig, andere würden eher die Umweltschä­den im Gosbachtal sehen. Ähnlich äußert sich Drackenste­ins Bürgermeis­ter Roland Lang. Beide wollen nicht weiter zu dem Autobahn-Projekt Stellung beziehen. „Da bei uns die Bevölkerun­g sehr gespalten ist“, betont Lang.

Für Michael Schneider mit seinem Einfamilie­nhaus in Oberdracke­nstein ist die Lage jedoch klar: „Kommt die E-Trasse mit der Gosbachtal­brücke, überlege ich mir, das Haus zu verkaufen und wegzuziehe­n.“

Die Frage ist nur, ob er für das Haus noch viel bekommen würde.

Anwohner Michael Schneider aus Oberdracke­nstein

„Kommt die E-Trasse mit der Gosbachtal­brücke, überlege ich mir, das Haus zu verkaufen und wegzuziehe­n.“

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FOTOS: UWE JAUSS Lagerbildu­ng: Die beiden Varianten für den geplanten Albaufstie­g an der A 8 haben jeweils Befürworte­r und Gegner.
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