Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Positive und negative Ergebnisse sammeln“
RAVENSBURG - In Baden-Württemberg sollen künftig auch Personen ohne Covid-19-Symptome getestet werden, unter anderem bei Erkrankungshäufungen in Unternehmen oder bei engem Kontakt zu positiv Getesteten. Ulrich Mendelin hat dazu den Ulmer Virologen Thomas Mertens befragt.
Mit seinem neuen Vorgehen bei der Testung asymptomatischer Menschen geht das Land über die Empfehlungen des Robert-KochInstituts hinaus. Halten Sie den Schritt dennoch für sinnvoll?
Wie bereits mehrfach gesagt, müssen wir unterscheiden zwischen einem kurzzeitigen Virusnachweis, also Feststellung einer zum Testzeitpunkt gerade ablaufenden Infektion, und Antikörperbestimmungen als Ausdruck einer durchgemachten Infektion (Wir wissen leider noch nicht genau, wie lange Antikörper nachweisbar bleiben). Es gibt vier Aspekte: erstens Gewinnung epidemiologischer Daten/Informationen, zweitens Kosten für die Testungen, drittens Verfügbare Testkapazität, viertens Information/ Diagnose für den Getesteten. Die Ermittlung von Kontaktpersonen bei Einzelkontakten oder bei Erkrankungshäufungen in Unternehmen gehören ja mit der Konsequenz einer Quarantäne zum wichtigsten Instrumentarium des Managements einer Epidemie. Virusnachweise sind in diesem Zusammenhang sinnvoll im Hinblick auf die Aspekte eins und vier Die zusätzlichen Informationen helfen auch bei der Handhabung eines „lokalen Ausbruches“. Sehr wichtig wäre es, grundsätzlich die positiven und die negativen Testergebnisse zu sammeln, anonym, aber möglichst im Zusammenhang mit Informationen über den „Ausbruch“und gegebenenfalls spätere Krankheitsverläufe. Dies sollte epidemiologisch ausgewertet werden. Wenn zuverlässige Tests zur Verfügung stehen, wären unter Umständen auch Antikörperbestimmungen im zeitlichen Verlauf sinnvoll, aber nicht zur Diagnostik der akuten Infektion.
Droht die Gefahr, dass durch massenhafte Tests asymptomatischer Menschen Ressourcen gebunden werden, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten?
Dies betrifft die oben genannten Aspekte zwei und drei. Es hängt letztlich von den dann anfallenden Untersuchungszahlen ab, die wir jetzt noch nicht kennen. Im Moment sehe ich das Problem nicht im Vordergrund, aber falls es zu Engpässen käme, müsste man nach festzulegenden Kriterien priorisieren, also die wichtigeren Untersuchungen vorziehen.
Mutmaßlich werden viele Menschen negativ auf das Virus getestet. Werden sie und ihr Umfeld damit nicht in falscher Sicherheit gewiegt? Sie könnten sich ja schon am selben Tag doch noch infizieren.
Die Aussage, was ein negativer Virusnachweis bedeutet, ist natürlich richtig. Hier muss man entsprechend intensiv darüber aufklären, welche Aussagen ein Test und ein Testergebnis erlauben, und was man nicht aus einem Ergebnis ableiten darf.
Alle Interview-Folgen mit dem Virologen Professor Thomas Mertens: www.schwäbische.de/mertens