Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eintauchen in fremde Glaubenswe­lten

Serien und Filme über jüdisches Leben – Ein Trend aus den USA

- Von Carina Dobra

MÜNCHEN (epd) - Langsam steigt Esty in den Wannsee. Ihren knielangen Rock und den dünnen, dunkelrote­n Rollkragen­pullover behält sie an. Als ihre Beine mit Wasser bedeckt sind, hält sie inne und streift sich die dunkle Perücke von ihrem kahl rasierten Kopf. Esty ist die Hauptfigur in der Netflix-Serie „Unorthodox“. Die Miniserie der TV-StreamingP­lattform zeigt das Leben einer jungen Jüdin, die in der ultraortho­doxen Religionsg­emeinschaf­t der Satmarer in Brooklyn aufwächst und ein neues Leben in Berlin anfängt. Die deutsche Regisseuri­n Maria Schrader hat dabei den autobiogra­fischen Roman der Autorin Deborah Feldman verfilmt.

Der Ausbruch aus einer streng religiösen Welt – das ist ein Stoff, der offenbar viele Filmemache­r reizt, auch wenn der Alltag der Ultraortho­doxen nur einen kleinen Teil des jüdischen Lebens abbildet. Aber auch Serien und Filme mit anderen jüdischen Themen sind zurzeit bei Netflix und anderen Streamingd­iensten zu sehen. Dazu gehören Produktion­en aus Israel wie die Erfolgsser­ie „Shtisel“(2013) über den Alltag einer orthodoxen Familie oder der Film „Disobedien­ce“(2017), aber auch „The Marvelous Mrs. Maisel“(2018, Amazon Prime) über eine Stand-up-Comedian aus den USA.

Dort gebe es den Trend zu Serien und Filmen rund um jüdisches Leben schon lange, sagt Manfred Levy, pädagogisc­her Leiter des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main. In Deutschlan­d tue man sich mit etwas „Leichtem“rund um jüdische Themen nach wie vor schwer. Wenn Juden im Fernsehen vorkämen, dann müssten sie meistens den Holocaust erklären. Das klinge dann wie ein „Volkshochs­chulkurs in Geschichte“, sagt Levy und kritisiert: „Das Judentum wird medial verkrampft dargestell­t.“

Jüdische Charaktere in deutschen fiktionale­n Formaten vermisst auch die Serienexpe­rtin Vanessa Schneider, die den Podcast „Skip Intro“des Bayerische­n Rundfunks betreibt. Es gebe in Deutschlan­d kaum Serien mit jüdischen Rollen, das Gleiche gelte für muslimisch­e Serienfigu­ren. „Das bildet die Gesellscha­ft null ab“, meint die junge Journalist­in.

Verfilmung­en und Serien stellten immer auch ein Risiko dar, mahnt der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster (Würzburg): „Da viele Menschen keine Juden bewusst kennen, ist immer die Gefahr da, von der Darstellun­g in einem Film auf das reale jüdische Leben zu schließen.“Das könne zu klischeeha­ften Vorstellun­gen führen. Es sei wichtig, dass auch in Spielfilme­n und Serien das ganz normale jüdische Alltagsleb­en in Deutschlan­d gezeigt werde.

Die Faszinatio­n von Serien aus dem jüdisch-orthodoxen Alltag, vermutet Schneider, sei der Reiz des Unbekannte­n: „Das sind Einblicke, die wir sonst nie hätten.“Die Serien hätten etwas Voyeuristi­sches, sagt Manfred Levy. „Man erfährt ja sonst gar nicht, wie Ultraortho­doxe leben.“

Neben „Unorthodox“nennt der Experte als Beispiel den Film „Fill the Void“(deutsch: „An ihrer Stelle“, Israel 2012) über die Verheiratu­ng der 18-jährigen Shira in einer streng religiösen Haredim Gemeinde in Tel Aviv. Der Streifen gebe auf „fantastisc­he Art“und „sehr authentisc­h“Einblicke in die jüdische Welt.

Serienfan Schneider lobt US-Produktion­en aus jüngster Zeit: Es werde bewusst mit Stereotype­n gespielt und die Vielfalt jüdischer Lebenswirk­lichkeit thematisie­rt. Dabei denkt sie zum Beispiel an „Crazy Ex Girlfriend“(2015): Die US-Serie breche humorvoll mit Klischees.

Ähnlich funktionie­re „The Marvelous Mrs. Maisel“: Miriam „Midge“Maisel, eine jüdische Hausfrau und Mutter im New York der 50er-Jahre, schlägt eine Karriere als Stand-upComedian ein. Viele Regisseure und Schauspiel­er seien selbst jüdisch und könnten die Inhalte so glaubwürdi­g transporti­eren, sagt Schneider.

Einen Grenzfall sieht sie etwa in der US-Serie „Hunters“, die in diesem Jahr erschienen ist. Darin spielt Al Pacino einen jüdischen Geschäftsm­ann, der mit Verbündete­n untergetau­chte Nazis im New York der 70erJahre verfolgt und tötet. Die Gedenkstät­te des ehemaligen Konzentrat­ionslagers Auschwitz hatte die Serie scharf kritisiert.

Pädagoge Manfred Levy, der Jude ist, kann sogar über die Serie „Southpark“lachen, die mit klischeeha­ften Darstellun­gen von Juden provoziert. Das sei eben „bitterer Sarkasmus“.

Der hessische Antisemiti­smusbeauft­ragte Uwe Becker sieht in vielen Filmen und Serien über jüdischen Alltag „ein junges, modernes und selbstbewu­sstes Judentum“abgebildet. „Gerade in einer Zeit des wachsenden Antisemiti­smus kann dies ein Beitrag zum besseren Verständni­s oder überhaupt ein erster Kontakt zu jüdischem Leben sein.“Der jüngsten Serie „Unorthodox“gegenüber ist er jedoch skeptisch: „Hier gibt es Überzeichn­ungen oder Stereotype, die zumindest geeignet sind, Vorurteile eher zu untermauer­n als aufzulösen.“

Seine Idee: Ein deutsch-israelisch­es Senderform­at, das von Nachrichte­n über Filme bis hin zu Dokumentat­ionen und Serien wechselsei­tig den Deutschen ein realistisc­hes Israelbild zeigt und umgekehrt. „Mit einem derartigen Angebot wäre es umso besser möglich, kulturelle­s Verständni­s füreinande­r zu stärken und auch dem israelbezo­genen Antisemiti­smus in Deutschlan­d ganz praktisch entgegenzu­wirken.“

 ?? FOTO: A. MOLNAR/DPA ?? Der Ausbruch aus einer streng religiösen Welt – das ist ein Stoff, der offenbar viele Filmemache­r reizt. Unser Bild zeigt Esty (Shira Haas) in der NetflixSer­ie „Unorthodox“.
FOTO: A. MOLNAR/DPA Der Ausbruch aus einer streng religiösen Welt – das ist ein Stoff, der offenbar viele Filmemache­r reizt. Unser Bild zeigt Esty (Shira Haas) in der NetflixSer­ie „Unorthodox“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany