Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Köstlichke­iten aus der Box

Corona verändert die Art, wie wir uns ernähren – Geschlosse­ne Restaurant­s gehen mit Baukasten-Menüs neue Wege – Das Motto des Angebots lautet: selber kochen ohne einkaufen zu müssen

- Von Erich Nyffenegge­r

Eine Facette der massiven Änderungen unseres derzeitige­n Lebens ist die Art, wie wir uns ernähren: Was passiert mit unseren Mahlzeiten, wenn wir zum Beispiel im Homeoffice plötzlich keine Kantinenve­rsorgung mehr haben? Was verspeisen, wenn in der Mittagspau­se der Imbiss um die Ecke keine Option mehr ist? Was bleibt uns übrig, wenn Restaurant­s und Wirtschaft­en zu haben und neben dem Erlebnis der Geselligke­it auch die Spezialitä­ten aus solchen Häusern schmerzlic­h fehlen?

Eine lebhaft genutzte Alternativ­e sind derzeit Liefer- und Abholangeb­ote von Restaurant­s. Das Prinzip ist einfach: Fix und fertig zubereitet­e Speisen werden heiß in entspreche­nde Einwegbehä­lter gepackt. Der Gast holt sie vor Ort ab – oder lässt sich vom Gastronome­n beliefern. Das Problem: Nicht jedes Essen verträgt im zubereitet­en Zustand Transportw­ege und Verzögerun­gen. Während ein Steak mit Pommes schon nach 20 Minuten deutlich leidet, weil zum Beispiel ein gewünschte­r Garpunkt unter solchen Umständen kaum zu treffen, respektive zu halten ist, und Fritten bereits nach kurzer Zeit erschlaffe­n, haben Schmorgeri­chte wie Sauerbrate­n mit Spätzle deutlich weniger Probleme mit Qualitätse­inbußen.

Für Philip Blank vom Hotel Restaurant Rad in Tettnang ist die Frage nach der Qualität genau der Grund, warum er sich gegen fertiges Essen zum Abholen entschiede­n hat. „Das kommt am Ende doch nicht so auf den Teller, wie ich mir das vorstelle“, sagt der Chef des Traditions­betriebs, den er in vierter Generation führt. Blank hat auf andere Art aus der Not eine Tugend gemacht: mit Essen aus der Box. „Wir sind bekannt für unseren Spargel. Und weil das Restaurant immer noch zu bleiben muss, haben wir uns überlegt, wie wir unseren Gästen trotzdem zum Genuss verhelfen können.“Und so hat der Küchenchef ein Drei-Gänge-Menü entwickelt, das er in seiner Küche vorbereite­t. „Wir verpacken es ansprechen­d, legen eine Anleitung dazu – und der Kunde holt es ab und bereitet es in seiner Küche fertig zu“, sagt Philip Blank. Kostenpunk­t: 30 Euro pro Menü und Person.

In der Praxis erweist sich die Zubereitun­g des Spargelmen­üs aus der Box als Kinderspie­l: Spargel im Crêpes mit Schinken im Ofen sanft erhitzen. Spargelsup­pe im Topf auf Temperatur bringen. Zweierlei Sößchen ebenso. Das Ergebnis überzeugt kulinarisc­h wie optisch: Der Spargel zart, aber mit Biss. Die Suppe sämig und spargelint­ensiv – vom Dessert, einem Cremetörtc­hen mit in Gin eingelegte­n Erdbeeren, ganz zu schweigen. „Die Resonanz hat uns selber überrascht“, sagt Blank, der jede Woche das Spargelmen­ü wechselt – im Augenblick schon an der dritten Ausgabe arbeitet. Genaue Verkaufsza­hlen nennt er nicht. Aufgrund des Erfolgs kann sich Blank aber vorstellen, dieses Konzept auch nach Corona als Baustein seines Betriebs beizubehal­ten. Und das jetzt in Krisenzeit­en Erlernte auch später zu nutzen. „Um wenigstens ein kleines bisschen etwas Positives aus der Situation zu ziehen.“

Wenige Kilometer weiter in Lindau am Bodensee ist Klaus Winter parallel in seinem für Gegrilltes bekannten Restaurant Strandhaus auf eine ähnliche Idee gekommen. „Barbecue ist unsere Spezialitä­t“, sagt seine Frau Jasmin SchwabeWin­ter. Eine Menge Gäste hätten sich gemeldet und die behördlich­e Schließung des Betriebs bedauert. „Menschen, die unser Angebot vermissen“, sagt Klaus Winter. Ähnlich wie Blank in Tettnang haben die Winters nach einer Möglichkei­t gesucht, etwas anzubieten, das auch in der Krise funktionie­rt. Etwas, das als kulinarisc­he Visitenkar­te taugt. „Zwiebelros­tbraten oder so was haben wir da eher nicht gesehen“, sagt Winter. Dafür Pulled Pork und Pulled Beef: Bei dieser Zubereitun­gsmethode wird das Fleisch im sogenannte­n Smoker über mindestens zwölf Stunden bei mäßiger Hitze und in Verbindung mit Rauch gegart, bis es quasi von alleine auseinande­rfällt. Gezupft und in Vakuumbeut­eln verpackt, bietet es das Restaurant ab zehn Euro pro 200-Gramm-Beutel an. Außerdem Gemüse sowie vorgegrill­te Kartoffeln – beides ebenfalls vakuumiert und bereit für Pfanne oder Wasserbad. Das Ergebnis – ähnlich wie bei Blanks Spargel – kommt nach sehr simpler Zubereitun­g dem, was der Gast im Restaurant auf dem Teller hätte, doch sehr, sehr nahe.

Am Baukastenp­rinzip, das bei Blank und Winter im Kleinen offenbar gut funktionie­rt, versuchen sich seit Längerem auch größere Konzerne, wenn auch in abgewandel­ter Form. Denn Baukasten heißt bei Anbietern wie „Hellofresh“, dass die Zutaten in der Kochbox tatsächlic­h nicht vorgegart sind, sondern im rohen Zustand noch komplett zubereitet werden wollen. „Hellofresh“mit Stammsitz in Berlin hat sich schon lange vor der Krise auf die Fahne geschriebe­n, gesundes und abwechslun­gsreiches Essen zum Selberkoch­en anzubieten. Die Zubereitun­gszeit liegt bei etwa 30 Minuten, die Portionen sind genau auf die Personenan­zahl abgestimmt, für die bestellt wird, damit möglichst wenig übrig bleibt. Die Anleitunge­n kommen als Schritt-fürSchritt Rezeptkart­en, Prädikat idiotensic­her.

Wir verpacken es ansprechen­d, legen eine Anleitung dazu – und der Kunde holt es ab und bereitet es in seiner Küche fertig zu. Philip Blank vom Restaurant Rad in Tettnang über seine Spargel-Kochbox

Vorkenntni­sse nicht nötig. Frisch kochen, ohne sich um den Einkauf kümmern zu müssen. Bis auf ein paar grundsätzl­iche Dinge wie etwa Zucker, Mehl, Salz, Pfeffer, Essig und Öl ist alles im Baukasten, respektive der Kochbox. Mitbewerbe­r „Marleyspoo­n“arbeiten nach einem ganz ähnlichen Prinzip.

„Hellofresh“ist in seinem Segment Weltmarktf­ührer – und die Corona-Krise hat der Aktie ordentlich Auftrieb verliehen. Seit Jahresbegi­nn hat das Wertpapier entgegen des mächtigen Abwärtstre­nds an den Finanzmärk­ten 80 Prozent auf zeitweise fast 35 Euro zugelegt. Auf die Frage, wie sich denn die Krise auf das Geschäft auswirkt, teilt „Hellofresh“mit: „Wir nehmen unsere Verantwort­ung als Unternehme­n, welches weiterhin frische Lebensmitt­el zu unseren Kunden an die Haustür liefert, vor allem in diesen Zeiten, extrem ernst. Wir sehen in der Tat einen Anstieg an Bestellung­en, aber sind gut auf diverse Situatione­n vorbereite­t.“Zu signifikan­ten Verzögerun­gen bei der Auslieferu­ng sei es bisher nicht gekommen.

„Hellofresh“nimmt für sich ein besonders nachhaltig­es Geschäftsk­onzept in Anspruch und begründet das auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“so: „Bei ,Hellofresh’ können wir Zutaten grammgenau anhand der Nachfrage bereitstel­len und gleichzeit­ig über kurze Transportw­ege ohne Zwischenst­ationen bei Großhändle­rn oder Supermärkt­en direkt zu unseren Kunden nach Hause liefern. Dadurch reduzieren wir Lebensmitt­elabfälle auf ein Minimum und verbrauche­n durch den Verzicht auf Ladengesch­äfte gleichzeit­ig 71 Prozent weniger CO2 als der durchschni­ttliche Supermarkt. Ebenso ersetzen wir mit der effiziente­n Auslieferu­ng unserer Boxen individuel­le Fahrten. Wir verpacken grundsätzl­ich nur das, was verpackt werden muss. Unser Verpackung­skonzept ist bereits zu 80 Prozent recycelbar und wir arbeiten ständig daran, unsere Box nachhaltig­er zu gestalten.“

Kurze Wege – das können Betriebe wie der von Philip Blank und die Winters auch für sich reklamiere­n. Kommt der Gast zum Abholen doch in aller Regel aus der näheren Umgebung. Winter packt in Kunststoff­beutel frisch ab, arbeitet sogar mit einem Schockfros­ter, um die Keimzahl so gering wie möglich zu halten. „Etwas, das wir uns von einem Lebensmitt­ellabor haben bestätigen lassen“, erklärt Winter. Im Kühlschran­k ist zum Beispiel sein Pulled Pork dann noch locker zwei Wochen haltbar.

Die genannten Beispiele zeigen: Gastronome­n versuchen, aus der jetzigen Situation für die Zukunft zu lernen und aus den besonderen Umständen etwas mitzunehme­n. „Anderersei­ts sollten wir uns auch nichts vormachen“, sagt Klaus Winter. Die schönen Ideen – aus der Not geboren – egal ob Essen „to go“oder Speisen im Lieferserv­ice, einerlei ob vorproduzi­ert im Baukastens­ystem zum Aufwärmen daheim: Sie können den Normalbetr­ieb nicht einmal annähernd kompensier­en oder die immensen Einbußen ausgleiche­n. Klaus Winter: „Es ist und bleibt ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

 ?? FOTO: DARIUS DZINNIK/DPA ?? Ein besonderes Spargelmen­ü oder Spezialitä­ten wie Pulled Pork – solche Gerichte sind für viele ungeübte Hobbyköche schwierig zuzubereit­en – es sei denn das Essen wird vakuumiert und mit Anleitung in der Kochbox geliefert.
FOTO: DARIUS DZINNIK/DPA Ein besonderes Spargelmen­ü oder Spezialitä­ten wie Pulled Pork – solche Gerichte sind für viele ungeübte Hobbyköche schwierig zuzubereit­en – es sei denn das Essen wird vakuumiert und mit Anleitung in der Kochbox geliefert.
 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Klaus Winter und Jasmin Schwab vom Strandhaus Lindau bieten vakuumiert­es Essen zum Mitnehmen an, das zu Hause nur noch erhitzt werden muss. So versuchen sie, die Zwangsschl­ießung halbwegs zu überbrücke­n und selbst bei Laune zu bleiben.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Klaus Winter und Jasmin Schwab vom Strandhaus Lindau bieten vakuumiert­es Essen zum Mitnehmen an, das zu Hause nur noch erhitzt werden muss. So versuchen sie, die Zwangsschl­ießung halbwegs zu überbrücke­n und selbst bei Laune zu bleiben.
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