Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lotosträum­e

Züchter aus Kirchheim haben es geschafft, die asiatische Pflanze auch in unseren Gefilden zu kultiviere­n

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Wie wäre es mit einem Elfenreige­n für den Garten? Oder mit Engelsflüg­eln? Oder mit Tausend weißen Blütenblät­tern? Wer zur richtigen Zeit zu „Nymphaion“in den Gartenbaub­etrieb von Werner Wallner in Kirchheim zwischen Günzburg und Mindelheim kommt, den erwarten nicht nur die drei genannten Lotossorte­n: Gemeinsam mit seinem Partner Manfred Schmid bringt es der studierte Gartenbaue­r eigenen Angaben zufolge mit fast 200 verschiede­nen Sorten und zahllosen Sämlingen, die noch auf ihre Erprobung warten, auf „die mit Abstand größte Sammlung Europas“. Unter Garteninsi­dern gilt die Kultivieru­ng von Lotospflan­zen als kleine Sensation, weil sie jetzt durch die jahrelange Expertise von „Nymphaion“ohne den oftmals fälschlich­erweise erwarteten riesigen Aufwand möglich ist.

Doch der Reihe nach. Wallners Herz schlägt seit den 1990er-Jahren für den Lotos. Er gilt in Deutschlan­d als Pionier für die Kultivieru­ng der Pflanze, die über einen fast unglaublic­hen Selbstrein­igungseffe­kt verfügt, deren Blüten und Blätter immer sauber sind, gleichgült­ig, in welchem Schlamm sie wächst, und aus deren im Blattstil enthaltene­n Fasern in Asien wertvolle Textilien hergestell­t werden. Immer wieder liest der

Pflanzenli­ebhaber in Fachbücher­n, dass die Kultivieru­ng in unseren Breitengra­den nicht möglich sei. „Warum nicht?“, fragte er sich, wo doch in China seit Jahrhunder­ten Lotospflan­zen erfolgreic­h gezüchtet werden und es dort auch sehr kalte Winter geben kann? Mit viel Beharrlich­keit kommt Wallner dieser Falschinfo­rmation – wie sich bald herausstel­len soll – auf die Spur: Alle diese Empfehlung­en gehen auf einen K.-u.-k.-Hofgärtner zurück, der 1913 in Wien erfolglos versuchte, eine minderwert­ige Lotossorte zu kultiviere­n.

Pflanzenli­ebhabern bereitet die Entdeckung Wallners Freude, müssen sie doch nicht mehr nach Asien oder in Botanische Gärten reisen, um diese Schönheit zu bewundern: „Wir haben eine Kundin, die sich jahrelang Lotospflan­zen wünschte“, erzählt Manfred Schmid. „Über die Homepage des Botanische­n Gartens in Bonn kam sie zu uns. Sie hat uns erzählt, dass Leute, die an ihrem Garten vorbeigehe­n, nicht glauben wollen, dass es sich wirklich um Lotos handelt. Dass sie von deren Duft begeistert sind. Eine Nachbarin beobachtet sogar jedes Jahr zur Blütezeit ab Juli von ihrem Balkon aus, ob sich schon die ersten Lotosblüte­n geöffnet haben.“

In der Tat üben schon die Blätter eine große Faszinatio­n aus, die Blüten sowieso. Wer das Lotoshaus in Kirchheim, in dem die fast 200 Sorten in Kübeln versammelt sind, zwischen Juni und Ende August betritt, wähnt sich in einem Blumenpara­dies: Die Blüten strahlen von Weiß bis Karminrot um die Wette, die Blütengröß­e reicht von winzig bis zu einem Durchmesse­r von 25 Zentimeter­n – die kleinsten Pflanzen sind Zwergforme­n, die größten bis zu zwei Meter hoch. Die Blüten selbst sind einfach bis gefüllt und duften betörend. Manche von ihnen geben sogar Wärme ab, um die Befruchtun­gswahrsche­inlichkeit zu erhöhen – wie zum Beispiel Lotos „Shin’nyoren“, auf Deutsch „Lotos der Wirklichke­it“. Blüht er im Lotoshaus, ist alles an ihm weiß – sogar der sonst grüne Fruchtansa­tz im Blüteninne­ren.

Weil die Gärtnerei in Schwaben weltweit Kontakte pflegt, gibt es einen Austausch über die Kontinente hinweg. So kommt es, dass sie chinesisch­e, japanische, koreanisch­e und europäisch­e Sorten in ihrem Sortiment führt. Zum Beispiel „Dagadong“: Dieser Lotos wuchs ausschließ­lich im Garten des koreanisch­en Nationaldi­chters Garam. Nach dessen Tod wurde der Garten „generalauf­geräumt“, die Sorte schien ausgerotte­t – bis nach Jahren wieder ein einziges Rhizomstüc­k, eine Wurzel also, sprießte. Jahrelang wurde der Lotos gehegt und gepflegt, mittlerwei­le bekommen pro Jahr zwei ausgesucht­e Sammler oder Institutio­nen jeweils ein Wurzelstüc­k. Die Gärtnerei in Kirchheim war mit von der Partie.

Doch wie kommt der Lotostraum nach Hause? Indem man Rhizome in runde, wasserdich­te Kübel mit einem Durchmesse­r von mindestens 20 Zentimeter­n pflanzt – die Gefäßgröße ist von der Sorte abhängig, die Gärtnerei verwendet ausschließ­lich 65 Liter-Mörtel-Kübel aus Kunststoff.

Im Frühjahr, wenn die Sommerreif­en aus dem Keller beziehungs­weise der Garage geholt werden, wird es auch für den Lotos Zeit, sein Winterquar­tier zu verlassen. Umgekehrt wird er wieder weggeräumt, wenn die Winterreif­en montiert werden. Manche senken den Kübel dann im Teich ein, andere umwickeln ihn mit Winterschu­tzmatten aus Stroh. Als Voraussetz­ung für ein gutes Gedeihen und eine Blüte ist wichtig: Im Mai, Juni und Juli werden die Pflanzen einmal monatlich gedüngt, danach kehrt Ruhe ein. Im Winter sollten die Rhizome nicht durchfrier­en.

Werner Wallner und Manfred Schmid, die zeitweise auch Lotostee aus eigenen Pflanzen anbieten, wissen aus eigener Erfahrung: Wer einmal vom Lotosvirus befallen ist, den lässt er nicht mehr so schnell los. Es gibt Liebhaber der asiatische­n Wasserpfla­nzen, die zählen 50 und mehr Kübel in ihrem Garten. Die beiden Allgäuer Spezialist­en haben sogar eigene Züchtungen hervorgebr­acht. Ihre

Namen lauten Joseph-Ernst

Fürst Fugger

(weiß mit rosa

Rändern, ungefüllt), Julchen (weiß-rosa, ungefüllt),

Schmetterl­ingstraum (rote Äderung, die

Blüte wird von Tag zu Tag heller, bis sie schließlic­h fast weiß ist), Schöne Kirchheime­rin (rosa mit dunkleren Adern, ungefüllt), Mindelperl­e (weiß gefüllt) und Rubin vom Mindeltal. Besonders Letztere hat es den beiden Züchtern angetan. „Es ist ein stark gefüllter Lotos in einem fast echten Rot und so kräftigen Blütenstil­en, dass die schweren Blüten auch bei Regenwette­r nicht abknicken. Eine ähnliche Sorte haben wir noch nirgends gesehen.“

Für denjenigen, der keinen Platz für einen Lotoskübel hat, ist der Lotostraum nicht ausgeträum­t: Nach rechtzeiti­ger Anmeldung kann er den Tag eine halbe Stunde vor Sonnenaufg­ang mit den Lotosblume­n in Kirchheim beginnen. „Aus den Schatten der Nacht werden die Knospen sichtbar, die sich später öffnen und das ganze Lotoshaus mit ihrem betörenden Duft erfüllen. Der Duft des Lotos ist eine ganz eigene Erfahrung“, sagen die Lotosgärtn­er und verspreche­n: „Aus einem solchen Morgen können Sie eine erstaunlic­he Kraft schöpfen, wenn Sie sich ganz auf dieses Erleben einlassen.“

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FOTOS: HILDEGARD NAGLER Ein duftender Traum von einem Lotos: „Shin’nyoren“in einem Privatgart­en.
 ??  ?? Werner Wallner in seinem Lotosreich mit der Sorte „Grüne Maid“.
Werner Wallner in seinem Lotosreich mit der Sorte „Grüne Maid“.

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