Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Es gab nie Kompetenzgerangel“
Margita Geiger, neue Geschäftsführerin des Medizin-Campus Bodensee, zieht erste Bilanz
WEINGARTEN / FRIEDRICHSHAFEN - Margita Geiger ist seit 1. Januar Geschäftsführerin am Medizin-Campus Bodensee, zu dem auch das Weingartener Krankenhaus 14-Nothelfer gehört. Martin Hennings hat sich mit ihr über die aktuelle Situation unterhalten.
Normalerweise werden einem ja in einem neuen Amt 100 Tage Schonfrist gewährt. Das lief bei Ihnen nicht so, es ging sofort von 0 auf 100. Der Start verlief anders als Sie sich das vorgestellt hatten, oder? Dass die Aufgabe hier keine einfache ist, war schon vorher klar. Ich würde sagen, dass es zu meinen Stärken gehört, organisiert und strukturiert mit dringlichen Situationen umzugehen. Keine schlechte Voraussetzung. Ich habe den MCB jetzt unter Stress erlebt und hatte so die Chance, ganz schnell zu erkennen, wo unsere Stärken sind und wo wir noch nachbessern können. Und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, mich in dieser Ausnahmesituation zu beobachten. Ich konnte ganz schnell mit vielen Leuten interagieren und gemeinsam für unser wichtiges Ziel kämpfen.
Sind das Häfler Klinikum und der MCB insgesamt mit Blick auf die Corona-Pandemie gut aufgestellt? Unser Krisenstab fand einen guten Weg und war schneller als die Fachgesellschaften, weil hier Außergewöhnliches gedacht und Ungewöhnliches überlegt wurde. Wir sind sehr gut aufgestellt, haben sehr schnell und sehr gründlich reagiert und gearbeitet.
Was ist alles passiert in den vergangenen Wochen?
Viel! Zum Beispiel haben wir eine dritte Intensivstation aufgebaut und diese – auch dank der Unterstützung durch den Landkreis – mit zwölf zusätzlichen Beatmungsgeräten ausgestattet. Wir haben eine Intermediate Care Station (IMC) geschaffen, eine Überwachungseinheit für CoronaPatienten, die keine Intensivbetreuung benötigen. Als wir feststellten, dass das 14 Nothelfer Weingarten wegen staatlicher Vorgaben hinsichtlich planbarer Operationen nicht mehr sinnvoll betrieben werden kann, haben wir das Haus vorübergehend geschlossen, damit es dem Land im Notfall als Corona-Klinik zur Verfügung steht. Unsere Mitarbeitenden aus Weingarten haben innerhalb kürzester Zeit vor allem im pflegerischen Bereich die Teams in Friedrichshafen und Tettnang ergänzt und sind dort mit offenen Armen aufgenommen worden. So konnten wir unsere Intensivstationen und die IMC ohne Fremdpersonal bewältigen und der Krise also auch etwas Positives abgewinnen.
Haben Sie genug Schutzbekleidung?
Derzeit ja. Weil wir rechtzeitig eingekauft und großzügige Spenden erhalten haben. Und weil wir einen gewieften Einkäufer haben, der mit seinen Kollegen Möglichkeiten auftut, die andere nicht erkennen. Man muss allerdings manchmal schon die Faust in der Tasche ballen und die Zähne zusammenbeißen, wenn man sich die aktuellen Wucherpreise anschaut und die vielen unseriösen Angebote.
Wie viele Intensivbetten haben Sie aktuell? Und wie viele Beatmungsplätze?
Wir haben derzeit in Friedrichshafen und Tettnang etwa 105 Intensivbetten und 48 Beatmungsplätze.
Müssen wir Angst vor Zuständen wie in Bergamo haben?
Im Augenblick sind wir von solchen Zuständen weit entfernt. Wir wären aber auch für einen solchen Ansturm gerüstet, weil wir zwei bis drei Wochen mehr Zeit hatten als zum Beispiel Italien.
Wie haben Sie das Engagement der MCB-Mitarbeiter erlebt?
Es wäre deutlich schwerer geworden, wenn es im MCB nicht so viele engagierte Leute gäbe. Unter Zwang hätte es weniger gut und viel langsamer funktioniert. Ich bin heilfroh, dass ich diese Krise am MCB erleben durfte und nicht in einem anderen Krankenhaus.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im medizinischen Bereich und den Behörden?
Es hat natürlich manchmal geruckelt – kein Wunder, das war für alle eine neue Situation. Wir mussten erst ein „gemeinsames Wörterbuch“finden, haben uns aber gut aufeinander eingeschwungen. Auch deshalb, weil alle Beteiligten immer ernsthaft an Lösungen im Sinne der Patienten interessiert waren. Es gab nie Kompetenzgerangel, alle Aktivitäten waren vom Geist durchdrungen, diese Krise gemeinsam zu meistern.
Ihnen ist viel Hilfe angeboten worden, zumindest verbal. Ist die auch angekommen?
Oh ja, da ist eine ganze Menge angekommen. Die vorhin erwähnte Schutzbekleidung zum Beispiel. Aber auch ganz viel emotionale Unterstützung, von der Osterpost bis zum selbst gebackenen Kuchen. Und nicht zu vergessen: die vielen freiwilligen Helfer. Es war schon toll, zu erleben, dass sich so viele Unternehmen und so viele Bürger Gedanken über unsere Arbeit machen.
Brauchen Sie noch Hilfe? Was können Bürger tun, die helfen wollen? Was die Ausstattung anbelangt: im Augenblick nichts. Wir freuen uns aber weiter über Kuchen, Äpfel und jede andere Form des Zuspruchs. Sehr sogar.
Wie gehen denn Ihre Mitarbeiter mit der besonderen Belastung um? Zum Glück haben wir wenige Corona-Patienten, und wichtig dabei ist auch, dass wir in der Belegschaft nur sehr geringe Infektionszahlen mit Corona haben. So wurde unser psychologisches Hilfsangebot bislang selten genutzt. Die Klinikseelsorger sind viel unterwegs und die Kollegen unterstützen sich auch gegenseitig.
Verraten Sie uns die Zahl?
Das kann ich nicht. Unsere Mitarbeiter sind nicht dazu verpflichtet, einen Abstrich machen zu lassen – den wir natürlich Mitarbeitenden mit Symptomen anbieten. Andere wenden sich an ihren Hausarzt, der alles Weitere regelt – bis hin zur Krankschreibung.
Alle blicken auf Corona: Ist auch für andere Patienten genug Kapazität da, egal ob Geburt oder Herzinfarkt?
Auf alle Fälle. Jeder dringliche Fall wird genauso versorgt wie in der
Zeit vor Corona. Täglich laufen in Friedrichshafen drei bis vier Operationssäle, sonst sind es sechs, und in Tettnang zwei bis drei, von ebenfalls sechs OP-Sälen. So erreichen wir bislang etwa 30 bis 40 Prozent unseres üblichen Operationsvolumens, weil die medizinisch gebotenen Fälle in der Regel eher aufwendigere Eingriffe sind.
Muss ich Angst vor einer CoronaInfektion haben, wenn ich derzeit ins Klinikum muss?
Ich denke, dass man aktuell nirgendwo sicherer ist vor einer Ansteckung als im Krankenhaus. Wir achten hier von Haus aus ganz besonders auf Hygiene, die Corona-positiven Patienten sind komplett isoliert. Ich kann die Angst der Menschen verstehen, aber Patienten mit einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall gehören weiterhin sofort in die Klinik. Und auch der Blinddarm muss nicht warten, bis er dann durchgebrochen ist.
Welche Folgen wird die Krise für den MCB haben?
Zunächst schieben wir eine Bugwelle von jetzt abgesagten elektiven Operationen vor uns her. Die werden wir in den nächsten Monaten abarbeiten. Wirtschaftlich werden die umfangreichen Maßnahmen rund um die Corona-Epidemie nicht kostendeckend abzurechnen sein. Gesundheitsminister Spahn hat 560 Euro pro Tag für jedes Bett zugesagt, das wegen Corona im Vergleich zum Vorjahr nicht belegt ist. Das klingt nach viel, reicht aber nicht, hilft allenfalls dabei, im Moment zahlungsfähig zu bleiben. Wir erwirtschaften mit einem Bett unter normalen Bedingungen mehr als 560 Euro. Hinzu kommen all die abgesagten ambulanten Leistungen. Dieser Ausfall taucht bis jetzt in keiner Rechnung auf. Ein weiteres großes Fragezeichen gibt es auch bei der Re-Finanzierung der von der Regierung geforderten zusätzlichen Intensivbetten. Eines kostet mit allen nötigen technischen Geräten rund 85 000 Euro. Spahn will jedes Bett mit 50 000 Euro fördern. Wir sind gespannt auf die weitere politische Diskussion.
Ihre Aufgabe war es eigentlich, das neue Konzept am Medizin-Campus Bodensee Konzept voranzubringen. Das Thema ruht im Moment, oder?
In der ganz akuten Phase haben wir alle Kräfte in dieses Projekt gesteckt. Jetzt sind wir zu 100 Prozent vorbereitet, haben wenige Corona-Patienten und haben unsere strategischen Themen wieder auf der Tagesordnung.
Mit welchem Ergebnis?
Ich bitte um Ihr Verständnis: Es gibt einen Aufsichtsrat und der wird zuerst informiert.
Gibt es einen Zeitrahmen für weitere Schritte?
Es gibt verschiedene Pläne, Szenarien und Überlegungen. Alles ist derzeit mit ganz vielen „Wenns“verknüpft. Deshalb ist es nicht möglich, eine Aussage zu Zeitplänen zu machen. Die strategische Neuausrichtung ist ein mittel- bis langfristiges Projekt, das uns in den nächsten Jahren beschäftigen wird.
Wann, denken Sie, werden die MCB-Kliniken wieder in ganz normalem Modus laufen?
Wenn die Bundesregierung sagt, dass wir das tun dürfen. Nachdem derzeit mit einem Ausnahmezustand bis Ende August zu rechnen ist, gehen wir davon aus, dass sich bis dahin auch die deutschen Krankenhäuser im Ausnahmezustand befinden. Mindestens.
Frau Geiger, vielen Dank für das Gespräch.
Darf ich noch ein Dankeschön loswerden?
Natürlich.
Mein Dank gilt allen, die in dieser Situation so gut mit uns zusammengearbeitet haben und zusammenarbeiten. Ich danke für die flachen Hierarchien, die uns allen das Leben erleichtert haben. Ich bedanke mich für alle Geschenke, für alle guten Gedanken, für die vielen Hilfsangebote und die tatsächliche Hilfe. Und ich bedanke mich bei allen fürs zuhause bleiben.