Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erste Notbremsen
In drei Landkreisen ist die Zahl der Neuinfektionen zu hoch – 129 Corona-Fälle in einem Schlachtbetrieb in Nordrhein-Westfalen
BERLIN (dpa) - Mitten in der Lockerungsphase der Corona-Auflagen müssen die Behörden in drei Bundesländern bereits die Notbremse wegen zu hoher Infektionszahlen ziehen. In drei Kreisen in Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wurde der kritische Wert von 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten. Die Regierung in Düsseldorf griff am Freitag durch und schloss vorübergehend einen Schlachtbetrieb in Coesfeld, in dem sich besonders viele Mitarbeiter angesteckt hatten. Auch in Schleswig-Holstein war eine Schlachterei betroffen. Im Thüringer Landkreis Greiz hatten sich vor allem Bewohner und Personal von Altenheimen infiziert.
Mediziner und Politiker von SPD und Grünen zeigten sich besorgt, den Kreisen könnte die Lage entgleiten und forderten Hilfe vom Bund. Hintergrund für die Zuständigkeit ist ein Beschluss von Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder vom Mittwoch: Danach soll wegen der regional unterschiedlich hohen Infektionszahlen wieder stärker vor Ort über Maßnahmen entschieden werden. Die Länder sollen sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen sofort wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept
umgesetzt wird – eine Art „Notbremse“.
Im Kreis Coesfeld in NRW lag die Zahl nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) bei 52,7. Das Virus hatte sich zuletzt vor allem im Schlachtbetrieb Westfleisch in Coesfeld ausgebreitet. Dort wurden nach Angaben des Kreises 129 Infizierte erfasst. Alle 1200 Beschäftigten sollen nun getestet werden. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ließ den Betrieb vorerst schließen. Mehrere für den kommenden Montag vorgesehene Lockerungen der Schutzmaßnahmen werden um eine Woche auf den 18. Mai verschoben. Das betrifft vor allem die Lockerung der Kontaktbeschränkungen, die Öffnung von Gaststätten und Freizeitparks. Auch Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche dürften am kommenden Montag nicht öffnen.
Auch in Schleswig-Holstein ist ein Schlachthof betroffen. Die meisten Infizierten sind Beschäftigte eines Fleischbetriebs in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg). Ein Großteil der Ausländer, die dort arbeiten, sind auf dem Gelände einer Kaserne im Kreis Steinburg in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Der Kreis Steinburg lag mit 87 bestätigten aktuellen Fällen über dem Grenzwert.
Der Krisenstab des Thüringer Landkreises Greiz will Anfang der Woche über Auflagen entscheiden. Greiz registrierte nach Daten des Robert
Koch-Instituts 80,5 Infektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Die meisten Infizierten sind nach Angaben des Landratsamtes Bewohner und Personal von sechs Pflegeheimen und einer Geriatrie-Klinik.
Bund und Länder hatten sich am Mittwoch darauf verständigt, dass zahlreiche im Zuge der Corona-Krise verfügte Einschränkungen des öffentlichen Lebens wieder gelockert werden. Bei einer Überschreitung des Grenzwerts der Infektionen sollen aber rasch wieder Auflagen in Kraft treten.
Der Deutsche Landkreistag plädiert für eine zielgenaue Anwendung der Obergrenze bei Neuinfektionen. „So ist es regelmäßig nicht angezeigt, bei eindeutig isolierbaren Infektionsherden wie etwa Altenheimen oder einzelnen Schulen Maßnahmen für die Allgemeinheit anzuordnen oder bereits bestehende Lockerungen breit zurückzunehmen“, sagte Präsident Reinhard Sager.
In Graz haben sich Covid-19Patienten nach einer Behandlung mit dem Blutplasma geheilter Menschen erholt. Welche Patientengruppen könnten von dieser Methode profitieren?
In der 35. Folge dieser Kolumne vom 7. April sprachen wir über die äußerst naheliegende und sinnvolle Idee, Antikörper in Blutplasmen von Genesenen zur Therapie von Covid-19Patienten einzusetzen. Dieser Therapieansatz wird vielerorts intensiv verfolgt. Nach meiner Kenntnis sollen weltweit mindestens zehn Studien mit insgesamt mehr als 1400 behandelten Patienten in diesem Jahr abgeschlossen werden. Einige dieser Studien vergleichen die Therapieerfolge in der Gruppe der so Behandelten mit einer unbehandelten Vergleichsgruppe, was für die Beurteilung eines Therapieverfahrens sehr wichtig ist. Übrigens wird die erste derartige vom PEI genehmigte Studie (Studienname CAPSID) in Deutschland am Universitätsklinikum Ulm durch das Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik koordiniert. Von anderen Viruserkrankungen wissen wir, dass eine Behandlung mit antikörperhaltigen Blutplasmen oder daraus hergestellten Immunseren besonders gut funktioniert, wenn diese Immunseren möglichst frühzeitig nach der Infektion gegeben werden. So gesehen wäre es nicht ideal zu warten, bis ein Patient ganz schwer erkrankt ist, sondern besser, Risikopatienten eher früher zu behandeln. Die Frage, wer wann am besten behandelt werden sollte, soll mit den oben erwähnten Studien auch geklärt werden. Mehrere Pharmaunternehmen, die auf Therapeutika aus Blutplasmen spezialisiert sind, haben bereits damit begonnen, entsprechende „Sars-CoV-2Hyperimmunseren“herzustellen.
Die Universität London berichtet, dass sich das Virus offenbar viel früher im Jahr 2019 ungehindert ausbreiten konnte. Lassen sich diese Erkenntnisse zur Eindämmung von Sars-CoV-2 nutzen? Diese Ergebnisse weisen erneut darauf hin, dass es bei allen Infektionen – neuen und alten – extrem wichtig ist, das Auftreten, die Ausbrüche und die Ausbreitung möglichst früh zu erkennen. Dazu gehört auch, die Art und Dauer der Übertragung rasch zu untersuchen, sowie Krankheitsverläufe und mögliche Risikogruppen zu bestimmen. Dieses Wissen ist eine entscheidende Voraussetzung für alle Maßnahmen, die zur Eindämmung eingeführt werden können. Das Erkennen einer Infektion erfordert natürlich, dass diagnostische Verfahren zuvor sofort entwickelt und verfügbar gemacht werden.