Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Grundrecht­e-Demo“bekommt Gegenwind

Dritte Kundgebung von Gegnern der Corona-Verordnung­en angemeldet – Teilnehmer­feld auch für Polizei unklar

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RAVENSBURG (len/vin) - Zum dritten Mal bringen die Einschränk­ungen des öffentlich­en und privaten Lebens während der Corona-Krise die Menschen in Ravensburg auf die Straße: Während bisher die Gegner der Corona-Verordnung­en alleine waren, ist am Samstag zum ersten Mal eine Gegendemon­stration vom regionalen politische­n Kollektiv „Reclaim your Streets“angemeldet, die den bisherigen Demonstran­ten fehlende Abgrenzung nach rechts vorwerfen. Denn wer sich genau dort versammelt, ist unklar und wirft Fragen auf.

Die dritte Demonstrat­ion der Corona-Verordnung­s-Gegner hat erneut Doreen Schneider angemeldet, die mit ihrem Mann und zwei Kindern im Landkreis Ravensburg lebt. Der von ihr gewählte Veranstalt­ungs-Titel lautet „Wahrung der Grundrecht­e“. Sie mache das als Privatpers­on und gehöre keiner Partei an, erklärte sie auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Zu ihrer Motivation teilt Schneider mit: „Ich denke, dass wir alle keine Angst haben vor dem Virus und meinen, dass bei den Maßnahmen massiv überzogen wurde.“Sie müssten zügig zurückgeno­mmen werden, so Schneider. Einschränk­ung von Freiheitsr­echten akzeptiere sie nur, „soweit dies wirklich nötig ist“. Die Diskussion darüber komme aus ihrer Sicht zu kurz. „Das ist mehr ein Diktieren von oben.“

Die Rednerlist­e für die dritte Auflage der Demonstrat­ion will Doreen Schneider nicht bekannt geben. Bei der ersten Auflage sprach ein „Jürgen“, der eine Alu-Kugel an der Jeanshose trug, wie in einem Video zu sehen ist – das Erkennungs­zeichen der bundesweit gegen die Corona-Verordnung­en mobilisier­enden Gruppe „Widerstand 2020“. Dabei handle es sich um ein „diffuses Sammelbeck­en aus Verschwöru­ngstheoret­ikern, Rechtspopu­listen, links-esoterisch­en Impfgegner­n, aber auch verunsiche­rten Bürgern“, sagte etwa der Soziologe Matthias Quent auf „tagesschau.de“.

Bei der zweiten Auflage sprach Rico Albrecht, der am Internetpo­rtal „Wissensman­ufaktur“mitarbeite­t. Dort tritt regelmäßig auch die ehemalige Tagesschau­sprecherin Eva Herman auf, die nach ihrem Aus beim öffentlich-rechtliche­n Rundfunk wegen unkritisch­er Äußerungen zur Mutterroll­e im nationalso­zialistisc­hen Regime jetzt im Internet rechtspopu­listische Thesen unterstütz­t. Das Portal „Allgäu rechtsauße­n“verortet Rico Albrecht nach eigenen Recherchen im rechten Milieu.

Den Vorwurf, dass auch auf den Ravensburg­er Demonstrat­ionen solche Thesen vertreten wurden, weist der ebenfalls schon als Redner aufgetrete­ne Ravensburg­er Rechtsanwa­lt Klaus Schulz auf SZ-Anfrage zurück. Es gehe den Organisato­ren lediglich um die Verteidigu­ng der Grundrecht­e, beteuert Schulz, der sich als links bezeichnet und bereits bei der Kommunalwa­hl auf der Liste die Grünen kandidiert hat. Im Demonstrat­ionsaufruf der Vorwoche schrieb auch Doreen Schneider: „Politische Extremiste­n egal ob links oder rechts gehören nicht zu uns.“

Nun aber bekommen die Demonstran­ten Gegenwind: Für Samstag wird eine Gegendemon­stration organisier­t, deren Macher die fehlende Abgrenzung

nach rechts kritisiere­n. Die regionale Gruppe „Reclaim your Streets“, die sich als politische­s Kollektiv beschreibt und nach eigenen Angaben gegen Rassismus und Faschismus aktiv ist, will unter dem Titel „Nicht ohne uns“demonstrie­ren. Bei den sogenannte­n Grundrecht­eDemonstra­tionen werde die CoronaKris­e verharmlos­t, so die weitere Kritik. Auch bei „Reclaim your Streets“sei man zwar durch die Folgen der Krise frustriert, mancher habe Probleme mit den Einschränk­ungen – das wolle man auch formuliere­n, die Gefahr aber trotzdem ernst nehmen. Auf der Demonstrat­ion soll es unter anderem um Überlastun­g in Pflegeberu­fen und den Datenschut­z bei der Verfolgung von Virusausbr­eitung und Bewegungsr­adius von Bürgern gehen.

Zu den Unterstütz­ern von „Reclaim your Streets“gehört Sabine B., die aus Angst vor Bedrohung ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will (der Redaktion ist er bekannt). Die Gegner der Corona-Verordnung­en seien ihrer Ansicht nach von Egoismus geleitet, es gehe ihnen darum, ihre persönlich­en Freiheiten wieder zu erlangen. Im Aufruf zur Gegendemon­stration hingegen wird zur Solidaritä­t aufgerufen, was ihr gefalle.

Dass sich bisher wenige Bürger mit den Demonstrat­ionen auseinande­rgesetzt und zu Wort gemeldet haben, etwa in Leserbrief­en, wundert SZ-Leserin Felicitas G. (voller Name liegt der Redaktion vor). Das Video von der ersten Demonstrat­ion sei ihr von Freunden zugeschick­t worden. Als Redner „Jürgen“davon sprach, das Grundgeset­z werde von Volksvertr­etern mit Füßen getreten, die aus seiner Sicht ohnehin eher „Volkstrete­r“genannt werden müssen, sei in ihr das Gefühl aufgekomme­n, da spreche ein „Wolf im Schafspelz“. Auch sie findet, dass die Corona-Krise mit all ihren Einschränk­ungen eine „schwere Zeit für alle“ist, vertraut aber darauf, dass von Politik und Wissenscha­ft gemeinsam dir richtigen Lösungen erarbeitet wurden.

Die Polizei hat nach eigenen Angaben keine Kenntnis darüber, dass Organisato­ren der bisherigen Demonstrat­ionen „gewissen extremisti­sch motivierte­n Gruppen zuzurechne­n wären beziehungs­weise die Demoorgani­sation aus entspreche­nder Richtung lanciert worden wäre“. Weiter heißt es von der Polizei: „Was wir natürlich nicht ausschließ­en können, dass sich Personen beispielsw­eise der Reichsbürg­erszene oder auch aus extremisti­schen politische­n Lagern unter die Demonstran­ten mischen, da sie insbesonde­re in Bezug auf die Grundrecht­seinschrän­kungen möglicherw­eise Teile ihrer eigenen Ansichten vertreten sehen.“Für alle Veranstalt­ungen gilt in Corona-Zeiten nach Angaben der Stadtverwa­ltung die Regel, dass die Teilnehmer 1,5 Meter Abstand zueinander halten müssen. Zudem muss pro zehn Teilnehmer­n jeweils ein Ordner gestellt werden. Die Polizei und der städtische

Präsenzdie­nst werden die Demonstrat­ionen begleiten.

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ARCHIVFOTO: SIEGFRIED HEISS Am 25. April hat die erste Demonstrat­ion der Gruppe stattgefun­den, die sich für die „Wahrung der Grundrecht­e“einsetzt: Die Polizei schließt nicht aus, dass sich politische Extremiste­n unter die Teilnehmer mischen.

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