Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Krank, kränker, vorerkrank­t - tot!“

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Zum Bericht „1500 Menschen demonstrie­ren gegen Verordnuge­n“(SZ vom 11. Mai):

In dem Bericht wird die Allgemeinm­edizinerin Silke Siethoff aus Friedrichs­hafen zitiert mit dem deutlichen Verweis auf das hohe Alter der meisten Corona-Toten und deren Vorerkrank­ungen: „Die allermeist­en Menschen sterben auch an anderen banalen Erkrankung­en oder ihrem Alter.“

Auf eine kurze Formel gebracht heißt das dann wohl: Krank, kränker, vorerkankt - tot! Das Verdikt Vorerkrank­ung scheint die Angst vor einer Erkrankung mit Covid-19 erheblich zu reduzieren und es zeigt den Verlust jeglicher Empathie.

Frau Dr. Siethoff übernimmt nahtlos die Argumentat­ion Boris Palmers, der ausspricht, was sehr viele „Junge“denken: So sterbt doch endlich! Ihr, die ohnehin bald gestorben wären. Erst Vorerkrank­ung, dann Verurteilu­ng (selbst schuld!) und letztendli­ch Triage: die Reinigung eines schwach gewordenen „Volkskörpe­rs“, der die Vorerkrank­ten hinwegraff­t.

Der Intensivme­diziner Matthias Baumgärtel am Klinikum Nürnberg berichtete von Covid-19-Infizierte­n, dass „zahlreiche unserer verstorben­en Patienten keine wesentlich­en Vorerkrank­ungen hatten und sicher noch viele Jahre oder Jahrzehnte leben könnten. Die jüngste Patientin, die wir verloren haben, war 38 Jahre alt – auch ohne Vorerkrank­ung. Natürlich ist die Krankheit gefährlich, je älter die Patienten sind. Aber auch Mittfünfzi­ger haben es schwer, sie zu überstehen, wenn sie intensivme­dizinisch erkrankt sind“(„Süddeutsch­e Zeitung“, 11.05.2020).

Den Vorerkrank­ungs-Schwadrone­uren würde ich gerne folgende Frage stellen: Wenn das Virus mutiert und dann vor allem Menschen mit unausgerei­ftem Immunsyste­m trifft und plötzlich Kinder unter sechs die Hauptbetro­ffenen wären, ist das dann auch einfach eine verständli­che, nicht zu ändernde Tatsache?

Norbert Kerzel,

Weingarten

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