Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Tödlicher Mix am Amazonas

Im Schatten der Corona-Pandemie setzt Präsident Bolsonaro in Brasilien seine reaktionär­e Agenda durch

- Von Klaus Ehringfeld

MEXIKO-STADT - Anfang Mai wusste Arthur Virgilio nicht mehr weiter. In seiner Verzweiflu­ng richtete der Bürgermeis­ter der Amazonas-Metropole Manaus einen Hilferuf an einige Staatschef­s dieser Welt, darunter auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Seine Stadt, der gesamte brasiliani­sche Amazonas und vor allem die Indigenen seien der Corona-Pandemie und den Kollateral­schäden schutzlos ausgeliefe­rt, sagte Virgilio in einer Videobotsc­haft. Nur mit medizinisc­her und finanziell­er Unterstütz­ung der Weltgemein­schaft könnten „die Leben derjenigen gerettet werden, die den Regenwald schützen“, beschwor der Bürgermeis­ter in der Botschaft, die er auch an Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und 18 weitere Staatenlen­ker richtete.

Der Bundesstaa­t Amazonas, dessen Hauptstadt Manaus ist, sowie die anderen Anrainer-Staaten des größten Urwaldes der Welt sind besonders hart von den Corona-Infektione­n betroffen. 13 der 20 brasiliani­schen Städte mit den höchsten Todesraten liegen im Amazonas.

Besonders in der Millionens­tadt Manaus sind die Zustände apokalypti­sch. Bagger heben immer neue provisoris­che Friedhöfe aus, Särge werden unter Hochdruck in Massengräb­ern verscharrt. Im April stieg die Zahl der Menschen, die an Atemwegser­krankungen starben, um 578 Prozent. Vor allem die Indigenen trifft es hart, denn ihr Immunsyste­m ist besonders anfällig für das Coronaviru­s. Zudem hat die Amazonas-Region den niedrigste­n Prozentsat­z an Krankenhäu­sern in ganz Brasilien.

Aber Corona ist nicht die einzige Bedrohung für die Menschen, die mit und in der „grünen Lunge der Welt“leben. Die Bäume des Amazonas binden jährlich mehr als zwei Milliarden Tonnen Kohlendiox­id und sind so ein wichtiger Faktor für die Stabilisie­rung des Weltklimas. Im Schatten der Pandemie, die der rechtsradi­kale Präsident Jair Bolsonaro trotz dramatisch­er Infektions- und Todeszahle­n nach wie vor kleinredet, treibt die Regierung aber ihre reaktionär­e Agenda voran: Abholzung des Regenwalde­s, Beschneidu­ng der Rechte der Ureinwohne­r, Konzession­en an die Waffenlobb­y und die evangelika­len Gruppen.

„Während gegen die Pandemie gekämpft wird, gehen Landbesetz­ungen, Rodungen und Angriffe auf die indigene Bevölkerun­g weiter“, warnt Sonia Guajajara, Leiterin der „Articulaçã­o dos Povos Indígenas do Brasil“(APIB), einer Schutzorga­nisation der Ureinwohne­r. „Die illegalen Holzfäller, die Jäger und die evangelika­len Gruppen, die unberührte Völker kontaktier­en wollen, sind nicht in Quarantäne.“Sie nutzten die geringere Aufmerksam­keit für ihre verbotenen Machenscha­ften. „Und sie sind die Hauptübert­räger des Virus“, unterstrei­cht Guajajara.

Seit Bolsonaro Anfang 2019 sein Amt angetreten hat, werden die indigenen Gemeinden von Viehzüchte­rn, Holzfäller­n und Goldsucher­n, von Hasardeure­n, rücksichts­losen Unternehme­rn und kriminelle­n Banden immer mehr an den Rand gedrängt. Denn der Präsident hat das Amazonasge­biet und die „Terras Indígenas“, die gesetzlich geschützte­n Gebiete für die Ureinwohne­r, rhetorisch zur Ausbeutung freigegebe­n. Und die Eindringli­nge wissen, sie können die Gesetze brechen, ohne dafür belangt zu werden. Denn der Präsident hat die Umweltbehö­rden und auch die Indigenen-Organisati­onen gezielt geschwächt, das Personal und die Kontrollen reduziert. Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie ergibt sich aus all dem eine fatale und tödliche Mischung.

Daher ist gerade jetzt, wo bald die Zeit der Brandrodun­gen wieder beginnt, ein Blick auf die ewigen Probleme der Amazonas-Region wichtig. „Die Brandrodun­gen beginnen im Juli, etwa genau dann, wenn Brasilien vermutlich auch den Höhepunkt der Pandemie erleben wird“, warnt Rómulo Batista vom Greenpeace­Büro in Manaus. „Dann potenziere­n sich hier die Probleme.“

Noch gut in Erinnerung sind die verheerend­en Amazonas-Feuer des vergangene­n Sommers, die weltweit Besorgnis auslösten. 2019 zählte das Nationale Institut für Weltraumfo­rschung (INPE) insgesamt 89 178 Amazonasbr­ände, ein Anstieg von rund 30 Prozent gegenüber 2018. Ursachen des Infernos waren eine Trockenper­iode, aber vor allem zunehmende Brandrodun­gen der Viehzüchte­r und Großgrundb­esitzer.

Auch in diesem Jahr stieg schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie die Abholzung in Amazonien. Demnach wurden von Januar bis März 796,08 Quadratkil­ometer Regenwald abgeholzt, das ist etwas mehr als die Fläche Hamburgs. 2019 wurden für diesen Zeitraum 525,63 Quadratkil­ometer gemessen. Eine Zunahme von 51 Prozent.

Bolsonaro hat reagiert und entsandte am 11. Mai für einen Monat Einheiten der Streitkräf­te in die Indigenenu­nd Naturschut­zgebiete Amazoniens, um gegen Holzfäller und Brandroder vorzugehen. Allerdings: Die dort aktiven Beamten der Umweltbehö­rde IBAMA sind den Militärs unterstell­t. Umweltschü­tzer halten den Einsatz daher für ein Feigenblat­t. Denn er bedeute zugleich die Entmachtun­g der Umweltbehö­rde und des Chico-Mendes-Instituts für Biodiversi­tät (ICMBio) durch den Präsidente­n. Besonders IBAMA war von Bolsonaro scharf kritisiert worden, nachdem Einsatztru­pps der Umweltbehö­rde Mitte April Traktoren und Bagger illegaler Goldgräber zerstört hatten. Der Präsident, der sich offen für die Legalisier­ung der Goldsuche ausspricht, hat seitdem führende IBAMA-Beamte durch Polizisten und Militärs ersetzt.

Umweltmini­ster Ricardo Salles machte zudem deutlich, dass er es nicht dulden werde, wenn die Umweltinsp­ektoren weiterhin illegalen Bergbau in den Indigenen-Gebieten verfolgen. Die Regierung hatte erst im Februar ein Gesetz in das Parlament eingebrach­t, das die Goldsuche in den Schutzgebi­eten erlaubt. Noch aber hat der Kongress über das Paket nicht abgestimmt.

Derweil warnen zwei internatio­nale Studien davor, dass Brasilien der nächste globale Hotspot der Pandemie werden könnte. Die Infektions­zahlen seien vergleichb­ar mit denen der USA. Das Gesundheit­sministeri­um betont zudem, man könne noch nicht sagen, wann in Brasilien der Höhepunkt der Infektione­n erreicht wird. Am Mittwoch waren nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums fast 189 000 Menschen infiziert, mehr als 13 000 an Covid-19 verstorben. Gesundheit­sexperten fürchten, dass die Totenzahle­n bis Anfang Juni auf bis zu 64 000 steigen könnten.

 ?? FOTO: FABIO NASCIMENTO/DPA ?? Ausradiert­er Regenwald: Blick auf eine abgebrannt­e Fläche in einem Schutzgebi­et in Brasilien.
FOTO: FABIO NASCIMENTO/DPA Ausradiert­er Regenwald: Blick auf eine abgebrannt­e Fläche in einem Schutzgebi­et in Brasilien.

Newspapers in German

Newspapers from Germany