Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Bayerisches Störfeuer sorgt für Streit bei Endlagersuche
Weil der Freistaat keinen Atommüll im Bayerischen Wald will, bröckelt der politische Konsens bundesweit
BERLIN - Der Appell an die Bundesländer ist deutlich: „Ich bitte Sie, sich für eine Zustimmung des Bundesrats zu diesem innovativen Gesetz am 15. Mai einzusetzen“, schreibt Bundeswirtschafts-Staatssekretär Ulrich Nußbaum am Mittwoch an die Wirtschaftsminister der Länder. „Lassen Sie uns die gute Zusammenarbeit fortsetzen und dieses Gesetz jetzt beschließen“, schließt er den Brief vom vergangenen Mittwoch, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt.
Der Wunsch bleibt wohl vergeblich: Am Freitag wird der Bundesrat trotz der Bitte Nußbaums wohl das Geologiedatengesetz ablehnen und es damit in den Vermittlungsausschuss überweisen. Denn trotz des eher spröden Namens und Inhalts enthält das Gesetz viel gesellschaftlichen Sprengstoff. Denn es geht um nicht weniger als die Frage, wo der deutsche Atommüll in den nächsten Millionen Jahren hin soll.
Denn während Deutschland sich von der Atomenergie verabschiedet, ist der Verbleib der strahlenden Hinterlassenschaften ungeklärt. Derzeit sucht die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bundesweit nach einem geeigneten Standort, Ende September will sie eine erste Liste mit grundsätzlich geeigneten Regionen vorlegen, in denen dann weitergesucht werden soll. Dafür braucht die Gesellschaft das Geologiedatengesetz zwar nicht, aber es könnte die Arbeit transparent machen.
Denn eigentlich soll das BGE mit einer „weißen Landkarte“starten, in der jede Region frei von politischen Einflüssen geologisch bewertet werden soll – und dies soll auch für misstrauische Bürger nachvollziehbar sein. Das war vor sieben Jahren in einem parteiübergreifenden „Atomkonsens“
festgelegt worden. So soll eine Wiederauflage der heftigen Proteste um das niedersächsische Atomlager Gorleben verhindert werden.
Doch der Konsens wackelt. Im April forderte das Bundesinnenministerium (BMI) von Horst Seehofer vom zuständigen Bundesumweltministerium, Granit als mögliches Wirtsgestein aus der Suche auszuschließen. Damit wäre die „weiße Landkarte“weniger weiß als bisher.
Anlass des Seehofer-Vorstoßes war eine „Intervention der Staatskanzlei München“, heißt es in einem internen Schreiben des SPD-Umweltministeriums an das Kanzleramt. Übersetzt: CSU-Ministerpräsident Markus Söder steckt hinter dem Sperrfeuer. Dem Vorschlag könne nicht gefolgt werden, „weil dies eindeutig gegen die gesetzlichen Bestimmungen des Standortauswahlgesetzes und den dahinterliegenden parteiübergreifenden Atomkonsens verstößt“, schrieb der erboste Umwelt-Staatssekretär
Jochen Flasbarth an Kanzleramtschef Helge Braun. Ohne Corona hätte das wohl einen veritablen Koalitionskrach ausgelöst.
Der Widerstand Bayerns kommt nicht von ungefähr. Granit gilt neben Ton und Salz als mögliches Wirtsgestein für ein Endlager – und kommt vor allem im Bayerischen Wald vor. Fällt das Gestein aus der Suche, blieben vor allem die mächtigen Salzformationen unter Niedersachsen (in denen alle westdeutschen Atomlager liegen) und die Tonvorkommen im Großraum der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg in der Auswahl – Bayern wäre wohl fein raus.
Der Versuch hat andere Bundesländer alarmiert. Denn es gibt zwar fachliche Vorbehalte gegen Granit, doch die gibt es bei Salz und Ton auch. Finnland hat sein Endlager beispielsweise in Granit gebaut, Frankreich und die Schweiz setzen hingegen auf Ton.
Der Streit überschattet nun auch das Geologiedatengesetz. Das soll den Umgang mit Daten aus geologischen Erforschungen in Deutschland regeln und hat nur auf den ersten Blick wenig mit der Endlagersuche zu tun. Tatsächlich aber extrem viel.
Denn nur mit öffentlich zugänglichen Daten kann das BGE begründen, warum es den einen und nicht den anderen Ort für ein Endlager vorschlägt. Bleibt nur der Hauch eines Zweifels, dass die Entscheidung nicht fachlich, sondern politisch gefällt wurde, wäre es wohl vor allem in der betroffenen Region aus mit dem Konsens – ein zweites Gorleben wäre wohl unweigerlich die Folge.
Gleichzeitig stammen viele Daten von Bergbau-, Gas- oder Ölfirmen und sind nicht nur privat, sondern bares Geld wert. Diese Unternehmen haben kein Interesse, der Konkurrenz wertvolle Informationen auf dem Silbertablett zu präsentieren. Doch wenn es für eine Region keine Daten gibt – wie soll man dann erkennen, ob sie geeignet für ein Endlager wäre?
Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) fordert bei der Endlagersuche größtmögliche Transparenz und hat deswegen in den Bundesratsausschüssen eine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlungsausschusses organisiert. Dem dürften die Bundesländer am Freitag wohl folgen.
Damit läge das fast fertige Gesetz zur Nachbesserung auch wohl wieder auf dem Tisch von Ulrich Nußbaum. Und dass der Ärger damit aufhört, ist nicht zu erwarten. Denn wenn im Herbst die ersten möglichen Endlager-Regionen benannt werden, geht das Rennen um das Endlager erst richtig los. Und es dürfte nicht vor 2031 enden. Dann soll der finale Standort ausgesucht sein.