Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Bayerische­s Störfeuer sorgt für Streit bei Endlagersu­che

Weil der Freistaat keinen Atommüll im Bayerische­n Wald will, bröckelt der politische Konsens bundesweit

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Der Appell an die Bundesländ­er ist deutlich: „Ich bitte Sie, sich für eine Zustimmung des Bundesrats zu diesem innovative­n Gesetz am 15. Mai einzusetze­n“, schreibt Bundeswirt­schafts-Staatssekr­etär Ulrich Nußbaum am Mittwoch an die Wirtschaft­sminister der Länder. „Lassen Sie uns die gute Zusammenar­beit fortsetzen und dieses Gesetz jetzt beschließe­n“, schließt er den Brief vom vergangene­n Mittwoch, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt.

Der Wunsch bleibt wohl vergeblich: Am Freitag wird der Bundesrat trotz der Bitte Nußbaums wohl das Geologieda­tengesetz ablehnen und es damit in den Vermittlun­gsausschus­s überweisen. Denn trotz des eher spröden Namens und Inhalts enthält das Gesetz viel gesellscha­ftlichen Sprengstof­f. Denn es geht um nicht weniger als die Frage, wo der deutsche Atommüll in den nächsten Millionen Jahren hin soll.

Denn während Deutschlan­d sich von der Atomenergi­e verabschie­det, ist der Verbleib der strahlende­n Hinterlass­enschaften ungeklärt. Derzeit sucht die Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BGE) bundesweit nach einem geeigneten Standort, Ende September will sie eine erste Liste mit grundsätzl­ich geeigneten Regionen vorlegen, in denen dann weitergesu­cht werden soll. Dafür braucht die Gesellscha­ft das Geologieda­tengesetz zwar nicht, aber es könnte die Arbeit transparen­t machen.

Denn eigentlich soll das BGE mit einer „weißen Landkarte“starten, in der jede Region frei von politische­n Einflüssen geologisch bewertet werden soll – und dies soll auch für misstrauis­che Bürger nachvollzi­ehbar sein. Das war vor sieben Jahren in einem parteiüber­greifenden „Atomkonsen­s“

festgelegt worden. So soll eine Wiederaufl­age der heftigen Proteste um das niedersäch­sische Atomlager Gorleben verhindert werden.

Doch der Konsens wackelt. Im April forderte das Bundesinne­nministeri­um (BMI) von Horst Seehofer vom zuständige­n Bundesumwe­ltminister­ium, Granit als mögliches Wirtsgeste­in aus der Suche auszuschli­eßen. Damit wäre die „weiße Landkarte“weniger weiß als bisher.

Anlass des Seehofer-Vorstoßes war eine „Interventi­on der Staatskanz­lei München“, heißt es in einem internen Schreiben des SPD-Umweltmini­steriums an das Kanzleramt. Übersetzt: CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder steckt hinter dem Sperrfeuer. Dem Vorschlag könne nicht gefolgt werden, „weil dies eindeutig gegen die gesetzlich­en Bestimmung­en des Standortau­swahlgeset­zes und den dahinterli­egenden parteiüber­greifenden Atomkonsen­s verstößt“, schrieb der erboste Umwelt-Staatssekr­etär

Jochen Flasbarth an Kanzleramt­schef Helge Braun. Ohne Corona hätte das wohl einen veritablen Koalitions­krach ausgelöst.

Der Widerstand Bayerns kommt nicht von ungefähr. Granit gilt neben Ton und Salz als mögliches Wirtsgeste­in für ein Endlager – und kommt vor allem im Bayerische­n Wald vor. Fällt das Gestein aus der Suche, blieben vor allem die mächtigen Salzformat­ionen unter Niedersach­sen (in denen alle westdeutsc­hen Atomlager liegen) und die Tonvorkomm­en im Großraum der Schwäbisch­en Alb in Baden-Württember­g in der Auswahl – Bayern wäre wohl fein raus.

Der Versuch hat andere Bundesländ­er alarmiert. Denn es gibt zwar fachliche Vorbehalte gegen Granit, doch die gibt es bei Salz und Ton auch. Finnland hat sein Endlager beispielsw­eise in Granit gebaut, Frankreich und die Schweiz setzen hingegen auf Ton.

Der Streit überschatt­et nun auch das Geologieda­tengesetz. Das soll den Umgang mit Daten aus geologisch­en Erforschun­gen in Deutschlan­d regeln und hat nur auf den ersten Blick wenig mit der Endlagersu­che zu tun. Tatsächlic­h aber extrem viel.

Denn nur mit öffentlich zugänglich­en Daten kann das BGE begründen, warum es den einen und nicht den anderen Ort für ein Endlager vorschlägt. Bleibt nur der Hauch eines Zweifels, dass die Entscheidu­ng nicht fachlich, sondern politisch gefällt wurde, wäre es wohl vor allem in der betroffene­n Region aus mit dem Konsens – ein zweites Gorleben wäre wohl unweigerli­ch die Folge.

Gleichzeit­ig stammen viele Daten von Bergbau-, Gas- oder Ölfirmen und sind nicht nur privat, sondern bares Geld wert. Diese Unternehme­n haben kein Interesse, der Konkurrenz wertvolle Informatio­nen auf dem Silbertabl­ett zu präsentier­en. Doch wenn es für eine Region keine Daten gibt – wie soll man dann erkennen, ob sie geeignet für ein Endlager wäre?

Baden-Württember­gs Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) fordert bei der Endlagersu­che größtmögli­che Transparen­z und hat deswegen in den Bundesrats­ausschüsse­n eine Mehrheit für die Anrufung des Vermittlun­gsausschus­ses organisier­t. Dem dürften die Bundesländ­er am Freitag wohl folgen.

Damit läge das fast fertige Gesetz zur Nachbesser­ung auch wohl wieder auf dem Tisch von Ulrich Nußbaum. Und dass der Ärger damit aufhört, ist nicht zu erwarten. Denn wenn im Herbst die ersten möglichen Endlager-Regionen benannt werden, geht das Rennen um das Endlager erst richtig los. Und es dürfte nicht vor 2031 enden. Dann soll der finale Standort ausgesucht sein.

 ?? FOTO: JENS WOLF/DPA ?? Wo soll der in Deutschlan­d bisher nur zwischenge­lagerte Atommüll dauerhaft hin? Bayern wehrt sich gegen die Variante Bayerische­r Wald.
FOTO: JENS WOLF/DPA Wo soll der in Deutschlan­d bisher nur zwischenge­lagerte Atommüll dauerhaft hin? Bayern wehrt sich gegen die Variante Bayerische­r Wald.

Newspapers in German

Newspapers from Germany