Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zurück in alte Rollenmust­er

Corona-Krise trifft Frauen laut Studie doppelt – Forscherin­nen warnen vor langfristi­gen Gefahren für Erwerbsver­läufe

- Von AFP und Helena Golz

DÜSSELDORF - Weniger Einkommen, aber dafür mehr unbezahlte Sorgearbei­t vor allem für die Kinderbetr­euung zu Hause: Von der Corona-Krise sind einer Studie zufolge vor allem erwerbstät­ige Mütter doppelt betroffen. Die Pandemie lege nicht nur problemati­sche Ungleichhe­iten in den wirtschaft­lichen und sozialen Möglichkei­ten zwischen den Geschlecht­ern offen, „sie verschärft sie oft noch“, warnte Bettina Kohlrausch, Direktorin des Wirtschaft­sund Sozialwiss­enschaftli­chen Instituts (WSI) der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Demnach geht aus einer Befragung unter 7677 Erwerbstät­igen im April hervor, dass Mütter die Hauptlast tragen, wenn Eltern in Zeiten geschlosse­ner Kitas und Schulen einspringe­n müssen. So haben in Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren 27 Prozent der Frauen ihre Arbeitszei­t reduziert, um die Kinderbetr­euung zu stemmen – aber nur 16 Prozent der Männer.

Bei Haushalten mit geringerem oder mittlerem Einkommen fällt die Diskrepanz mit einem Abstand von rund zwölf beziehungs­weise 14 Prozentpun­kten noch größer aus. Das spreche dafür, dass finanziell­e Überlegung­en bei der Entscheidu­ng, wer von den Eltern Arbeitszei­t reduziert, eine wesentlich­e Rolle spielen, erklärten Bettina Kohlrausch, die wissenscha­ftliche Direktorin des WSI, und Mitautorin Aline Zucco.

Der Grund dafür ist demnach nachvollzi­ehbar: Familien mit wenig Geld könnten es sich häufig nicht leisten, auf das – meist höhere – Gehalt des Mannes zu verzichten. „Paare, die sich so verhalten, handeln individuel­l unter dem Druck der Krisensitu­ation kurzfristi­g oft rational“, erklärte Kohlrausch. „Sie sehen ja derzeit keine Alternativ­e.“

Die Forscherin­nen warnen zugleich aber vor langfristi­gen Gefahren für die Erwerbsver­läufe von Frauen. Da die ökonomisch­en Folgen der Krise noch länger spürbar sein würden, könne eine Rückkehr zur vorherigen Arbeitszei­t unter Umständen nicht möglich sein. Somit drohten auf längere Sicht „drastische Folgen für das Erwerbsein­kommen von Frauen“. Die Lohnlücke zwischen den Geschlecht­ern könnte sich damit durch die Corona-Krise weiter vergrößern.

Zu beobachten ist der Studie zufolge zudem eine Rückkehr zu einer traditione­llen Arbeitstei­lung innerhalb von Partnersch­aften. Auch in Familien mit einer vormals gleichbere­chtigten Verteilung unbezahlte­r

Arbeit werde die zusätzlich anfallende Sorgearbei­t nun vor allem von Frauen übernommen. Nur rund 60 Prozent der Paare mit Kindern unter 14 Jahren, die sich die Sorgearbei­t vor der Corona-Krise fair geteilt haben, tun dies demnach auch während der Krise. Bei den übrigen übernehmen in knapp 30 Prozent der Fälle die Frauen und in gut zehn Prozent der Fälle die Männer den Hauptteil der Sorgearbei­t.

Auch hier verschärfe­n laut der Studie finanziell­e Nöte die Unterschie­de: Bei Paaren mit einem Haushaltsn­ettoeinkom­men

unter 2000 Euro und zuvor ausgeglich­ener Arbeitstei­lung praktizier­ten aktuell sogar nur 48 Prozent weiterhin dieses Modell, erklärte das WSI. Dies zeige, dass Eltern, die finanziell stark unter Druck stünden, weniger Spielräume für eine faire Arbeitstei­lung blieben.

Um der Gefahr einer wachsenden Ungleichhe­it zwischen Frauen und Männern entgegenzu­wirken, sei deshalb zumindest für die unteren Einkommens­gruppen mehr finanziell­e Unterstütz­ung nötig, wenn wegen der Kinderbetr­euung in der Corona-Krise

Arbeitszei­t reduziert werden muss. Aus Sicht der Familien und insbesonde­re der Kinder und Frauen solle „eine schrittwei­se Öffnung der Kitas Priorität haben“. Zudem müssten die Möglichkei­ten für digitalen Unterricht ausgebaut und ärmere Haushalte bei der Ausstattun­g mit der nötigen Technik unterstütz­t werden.

In Bezug auf die Führungsro­lle von Frauen in der Corona-Krise hatte sich zuletzt die Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung des Hamburger Verlags Gruner und Jahr, Julia Jäkel, in einem Essay in der Zeitung „Die Zeit“geäußert. Sie warnte davor, dass Frauen in der Krise zurückstec­ken könnten und die Führung den Männern überlassen. „Die CoronaKris­e macht offensicht­lich, wer in Deutschlan­d wirklich, wirklich entscheide­t“, schrieb sie. Homeoffice bedeute für Tausende Frauen gerade vor allem home und wenig office. „Das ist auch deshalb bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden“, so Jäckel. Wer in der Krise Führungsqu­alitäten beweise, könne auf sich aufmerksam machen. „Und diesen Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – zurückstec­ken“, schrieb sie. Das Gebot der Diversität zähle offenbar nur an ruhigen Tagen, auch ihr eigenes Unternehme­n sei davon nicht ausgenomme­n.

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FOTO: UTE GRABOWSKY/IMAGO IMAGES Mütter tragen laut Studie die Hauptlast, wenn Kinder in Zeiten geschlosse­ner Schulen und Kitas versorgt werden müssen.

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