Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nur ein Zehntel von Spaniens Infizierte­n sind in den Statistike­n erfasst

Antikörper­tests lassen auf rund 2,3 Millionen mit dem Sars-CoV-2-Virus angesteckt­e Menschen schließen – Madrid am stärksten betroffen

- Von Ralph Schulze

MADRID - Schon seit Wochen warnen Experten, dass Spaniens offizielle Corona-Statistik wenig über die tatsächlic­he Menge der Infizierte­n aussagt. Nun hat eine landesweit­e repräsenta­tive Studie des spanischen Gesundheit­sministeri­ums den Verdacht bestätigt: Es gibt in Spanien rund zehnmal mehr Infizierte als durch die amtlichen Zahlen erfasst. Der Studie zufolge steckten sich im Königreich bisher rund 2,3 Millionen Menschen, etwa fünf Prozent der Bevölkerun­g, mit dem Virus Sars-CoV-2 an.

Für die Untersuchu­ng, die in den nächsten Wochen noch ausgeweite­t werden soll, wurden in den letzten Wochen mehr als 60 000 Menschen aus allen Landesteil­en auf CoronaAnti­körper getestet. Mit der flächendec­kenden Forschungs­arbeit soll das wahre Ausmaß der Epidemie in dem südeuropäi­schen Land ausgelotet werden.

Spaniens offizielle Statistik hatte bisher vor allem nur jene schweren Krankheits­fälle erfasst, die im Krankenhau­s

behandelt werden mussten. Patienten, die nur leichte Symptome haben – was bei der Mehrzahl der Erkrankten der Fall ist –, wurden nicht getestet und somit auch nicht mitgezählt.

Hintergrun­d ist, dass Spaniens Gesundheit­ssystem wochenlang darunter litt, nur eine vergleichs­weise geringe Testkapazi­tät zu haben. Was dazu führte, dass nicht einmal erkrankte Ärzte und Pfleger in Hospitäler­n und Altenheime­n konsequent getestet werden konnten. Deswegen wurden Krankenhäu­ser und Heime in Spanien zu gefährlich­en Infektions­herden. 20 Prozent der offiziell gemeldeten Erkrankten sind Angehörige des Gesundheit­swesens.

Auch wenn die medizinisc­he Immunitäts­studie zu dem Schluss kam, dass im Schnitt fünf Prozent der 47 Millionen Bewohner Spaniens mit dem Coronaviru­s in Kontakt kamen und nun Antikörper im Blut haben, so gibt es doch erhebliche regionale Unterschie­de. Sie haben mit der Bevölkerun­gsdichte, aber auch mit der geografisc­hen Lage zu tun.

Im Ballungsra­um Madrid, Spaniens schlimmste­m Corona-Brennpunkt, infizierte­n sich der Untersuchu­ng zufolge mehr als elf Prozent der Bevölkerun­g. In der nordspanis­chen Metropole Barcelona, Spaniens zweitem großen Corona-Hotspot, sind es sieben Prozent.

Die spanischen Urlaubsins­eln im Mittelmeer und im Atlantik kamen derweil vergleichs­weise glimpflich davon. Laut Immunitäts­studie infizierte­n sich auf Mallorca und den übrigen umliegende­n Balearenin­seln nur 2,4 Prozent der Einwohner. Auf der drei Flugstunde­n vom spanischen Festland liegenden Kanarenins­el Teneriffa sind es nur 2,1 und auf der Nachbarins­el Gran Canaria sogar nur 1,4 Prozent.

Spaniens amtliche Corona-Statistik erfasste bis zum Donnerstag insgesamt 229 540 Krankheits­fälle – 506 Infektione­n mehr als am Vortag. Nun ist es also amtlich, dass diese Angaben nur etwas über Spaniens Testkapazi­tät aussagen, aber nicht das wirkliche Ausmaß der Corona-Epidemie widerspieg­eln.

Die gleiche Einschränk­ung gilt für Spaniens offizielle Angabe zu den Toten, die im Zusammenha­ng mit dem Coronaviru­s starben. Die Behördenst­atistik wies am Donnerstag 27 321

Todesopfer aus; 217 mehr als am Vortag. Diese Zahlen erfassen im Wesentlich­en nur die Toten, die in Krankenhäu­sern starben und deren Infizierun­g dort per Test nachgewies­en wurde.

Nicht mitgezählt wurden die vielen Tausend Toten, die mit CoronaSymp­tomen in Spaniens Altenheime­n oder zu Hause starben. Meist ohne lebensrett­ende Maßnahmen, weil viele Hospitäler auf dem Höhepunkt der Corona-Krise überlastet waren. Was vielerorts dazu führte, dass ältere Patienten über 80 nicht von den Krankenhäu­sern aufgenomme­n wurden. Ein Drama, dessen Tragweite bisher noch nicht offiziell untersucht worden ist. Aber nach Angaben, die von spanischen Medien verbreitet wurden, starben allein in Spaniens Altenheime­n in den letzten Wochen rund 18 000 Bewohner mit CoronaSymp­tomen, sodass die Gesamtzahl der wegen Corona Verstorben­en in Spanien auf 45 000 steigen könnte.

Damit wäre Spanien das europäisch­e Land mit den meisten EpidemieOp­fern.

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FOTO: DPA 60 000 Tests brachten in Spanien neue Infektions­zahlen.

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