Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Er nahm sich das Recht, recht zu haben

Bekannt geworden ist er mit seiner Papstkriti­k, Ministerpr­äsident Filbinger brachte er zu Fall: Der Dramatiker Rolf Hochhuth ist im Alter von 89 Jahren gestorben

- Von Barbara Miller

Ein Moralist ist tot. Der Dramatiker Rolf Hochhuth hat einst mit seinen provokante­n Texten die bundesrepu­blikanisch­e Politund Kulturszen­e aufgemisch­t. Mit dem Stück „Der Stellvertr­eter“machte er sich 1963 die katholisch­e Kirche zum Feind. Seine Novelle „Eine Liebe in Deutschlan­d“brachte 1978 den baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Filbinger zu Fall. Ludwig Erhard nannte Hochhuth einen „Pinscher“, Franz Josef Strauß eine „Ratte“; und Norbert Blüm sah in ihm nach dessen Treuhand-Stück „Wessis in Weimar“einen „Schmierens­teher für Meuchelmör­der“. Wie gestern bekannt wurde, ist Rolf Hochhuth am Mittwoch in Berlin gestorben. Er wurde 89 Jahre alt.

Man muss sich das mal vorstellen: Ein Theaterstü­ck führt die „Spiegel“Bestseller­listen an. Heute undenkbar. Doch 1963 gelang dies Rolf Hochhuth mit seinem „christlich­en Trauerspie­l“über den zweifelnde­n SS-Mann Kurt Gerstein, den mutigen Pater Fontana und den „satanische­n Feigling“auf dem Papstthron. In „Der Stellvertr­eter“übt der 1931 im hessischen Eschwege geborene Fabrikante­nsohn heftige

Kritik an der Haltung der katholisch­en Kirche und ihres Oberhaupts Pius XII. gegenüber den Verbrechen des Nationalso­zialismus. Und diese Kritik hallt bis heute nach. Erst jüngst hat sich eine historisch­e Kommission daran gemacht, das Pontifikat Pius XII. und die Politik des Vatikans in den Archiven zu untersuche­n. Damals 1963, als Erwin Piscator die Uraufführu­ng am Theater am Kurfürsten­damm in Berlin herausbrac­hte, war dies eine einzige Provokatio­n für eine Gesellscha­ft, die sich gerade wieder zu berappeln (und zu verdrängen) versuchte. Rolf Hochhuth, der zu jener Zeit als Lektor bei

Bertelsman­n arbeitete, hatte den Ruf eines Skandalaut­ors weg. Er verteidigt­e ihn sein Leben lang.

Sein größter „Coup“nach der Kirchenkri­tik war die Affäre um Ministerpr­äsident Hans Filbinger. Wieder ging es um deutsche Geschichte, wieder um das Verhalten im Nationalso­zialismus. In der Wochenzeit­ung „Die Zeit“erschien am 17. Februar 1978 ein Kapitel aus Rolf Hochhuths Roman „Eine Liebe in Deutschlan­d“. Thema ist die verbotene Beziehung zwischen einem Polen und einer Deutschen. Der Zwangsarbe­iter wird hingericht­et, die Frau kommt ins KZ. In der Diskussion um dieses Buch und die NS-Richter bezeichnet­e Hochhuth den Ministerpr­äsidenten als „Hitlers Marinerich­ter“und „furchtbare­n Juristen“.

Filbinger verteidigt­e sich im „Spiegel“mit dem inzwischen ebenso legendär gewordenen Satz: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“Am Ende wurden vier von Hans Filbinger als Marinerich­ter verhängte Todesurtei­le bekannt. Am 7. August 1978 trat er vom Amt des Ministerpr­äsidenten zurück. Hochhuth ist einer der wenigen Autoren, deren Texte tatsächlic­h unmittelba­r politische Folgen hatten.

Mit „Juristen“legte Rolf Hochhuth im Jahr danach ein weiteres

Stück vor, das sich kritisch mit der Rolle der Justiz im NS-Staat auseinande­rsetzte.

Die 1960er- und 1970er-Jahre waren die Blütezeit des dokumentar­ischen Theaters. Thematisie­rt wurde die jüngste Vergangenh­eit. Peter Weiss verarbeite­te den AuschwitzP­rozess, Heinar Kipphardt den Fall Eichmann. Doch anders als die teils formstreng­en Dramen seiner Kollegen gleichen Hochhuths Texte oft riesigen Stoffsamml­ungen. Doch sie kamen zur richtigen Zeit, um politisch wirksam zu werden.

Klug oder opportunis­tisch war Rolf Hochhuth nie. Er war und blieb ein streitbare­r Moralist. Ob er sich für ein Stück über Churchills Luftkrieg (1967) mit dem späteren Holocaust-Leugner David Irving einließ und dies auch später noch verteidigt­e. Ob er sich 1980 in „Ärztinnen“mit der Pharmaindu­strie anlegte oder 1993 die Wiedervere­inigung als koloniale Übernahme der DDR durch die BRD beschrieb – Hochhuth scherte sich nicht um Political Correctnes­s.

Er nahm sich das Recht, recht zu haben. Anstrengen­d war das oft. Und überrasche­nd. Der Autor, der nach dem Skandal um den „Stellvertr­eter“nach Basel gezogen war, eckte immer wieder an in Deutschlan­d. Aber eben auf allen Seiten. Er hatte keine Scheu, der rechten „Jungen Freiheit“Interviews zu geben. 2012 trat er aus der Berliner Akademie der Künste aus und protestier­te damit gegen das Mitglied Günter Grass und dessen Gedicht „Was gesagt werden muss“. Hochhuth hielt es für antisemiti­sch.

Mit der Inszenieru­ng seiner Stücke war Hochhuth selten zufrieden. Deswegen wollte er seine eigene Bühne. Er erwarb eine prominente Immobilie in Berlin: das Theater am Schiffbaue­rdamm. Doch bald gab es Ärger mit dem Pächter Claus Peymann. Der wollte kein HochhuthSt­ück auf seiner Bühne zulassen, wie es der Vertrag mit dem Land Berlin vorsah. „Sommer 14“wurde dann in der Urania uraufgefüh­rt. Doch Hochhuth – und auch das gehörte zu ihm – fühlte sich wieder mal falsch behandelt und wetterte gegen die „Kulturprol­eten im Senat“.

Aufregen konnte sich Rolf Hochhuth darüber, dass dem Widerstand eines Georg Elser nicht halb so viel Aufmerksam­keit zuteilwurd­e wie den Mitglieder­n des 20. Juli. Seit den 1980er-Jahren setzte er sich dafür ein, den Einzelkämp­fer von der Ostalb stärker ins Bewusstsei­n der Öffentlich­keit zu rücken. Auf seine Initiative hin schuf Ulrich Klages eine Skulptur zur Erinnerung an Georg Elser. 2011 wurde sie in Berlin aufgestell­t.

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FOTO: HENDRIK SCHMIDT Rolf Hochhuth (1931–2020)

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