Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schwänchen und Schwammerln
In der letzten Glosse hätte man ruhig erwähnen können, dass es sich bei Eike und Heike nicht um irgendwelche Vornamen handelte, sondern speziell um friesische, so ein Monitum aus Leserkreisen. Das sei nun nachgeholt: In der Tat sind Eike und Heike wie viele andere Vornamen auf -ke friesischen Ursprungs. Anke, Frauke, Inke, Marieke, Silke, Wiebke – so heißen Mädchen im Norden. Und Jungen werden gerne mal Hauke, Sönke, Thomke oder Ucke genannt. Was sie eint: Sie gehen alle auf Kurz-, Kose- oder Verkleinerungsformen zurück. Aus Frau wird Frauke (Frauchen) aus Sohn wird Söhnke (Söhnchen). Was uns nun zu einem besonderen Thema bringt: den landsmannschaftlichen Unterschieden beim Diminutiv.
Deminuere heißt lateinisch verkleinern, und der Diminutiv wird im Deutschen vor allem durch zwei Nachsilben signalisiert: -chen und
Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
-lein. Dieses -lein ist die alte oberdeutsche Form, -chen die alte niederdeutsche, die auch mit der Zeit ein gewisses Übergewicht bekam – ablesbar zum Beispiel an einem Wort wie Brötchen, das sich deutschlandweit gegenüber Brötlein durchsetzte. Nebenbei noch angemerkt: Diminutive auf -chen und -lein sind immer sächlich. Diese Regel hat übrigens Mark Twain auf die Palme gebracht. Ohnehin mit der deutschen Sprache auf Kriegsfuß, zitierte er einst aus seinem US-Deutsch-Lehrbuch: „Wo ist die gelbe Rübe? – Sie ist in der Küche. Wo ist das Mädchen? Es ist in der Oper.“Ein in punkto Geschlechtszuweisung derart hirnrissiges Idiom gehöre abgeschafft, befand der alte Spötter.
So weit kam es nicht, sie blieb uns erhalten – mit all ihren regionalen Besonderheiten. Was dem einen seine Anke, ist dem anderen seine Antje.
Auch -tje fungiert im Norden als verniedlichende Nachsilbe und macht aus einer Anna/Anne eine Antje, also ein Ännchen. Weitere Beispiele: Bentje (kleine Benedikta), Gretje (kleine Margarete) oder Swantje (eigentlich Schwänchen). Aber nicht nur Namen haben diesen Zusatz: Was wäre der ostfriesische Tee ohne das Kandiszuckerwürfelchen namens Kluntje!
In östlichen Dialekten war -el ein häufiges Diminutivsuffix, erhalten etwa in Wörtern wie Knödel oder Brätel, aber auch in Vornamen wie Hänsel und Gretel. Im Baierisch-Österreichischen wiederum wechseln sich die Suffixe -l und -al ab: Haisl (Häuschen) und Gleggal (Glöckchen). Dazu tritt dann noch -erl wie in Schwammerl (Schwämmchen, sprich: Pilz). Kommen wir schließlich zum Schwäbischen, dem man – mei Schätzle mog Spätzle - eine besonders starke Affinität zum Diminutiv nachsagt, womit angeblich sein Hang zum Deftig-Groben kompensiert würde. Das sei übertrieben, meinen manche Experten. Tatsächlich ist die Tendenz zur Verniedlichung in den alemannischen Nachbardialekten nicht sehr viel geringer. Im Südschwarzwald und in der Schweiz mit ihrem -li-Diminutiv heißt es eben: Mi Maidli mag Leckerli.
Aber unterm Strich schätzt der Schwabe die Verkleinerungsform doch sehr. „Leg di nom, mei Joggele, / leg dei goldigs Moggele, / auf des woiche Kissele / und dann schlofsch a bissele…“So fängt ein altes Wiegenlied an. Ministerpräsident Lothar Späth wurde seinerzeit ob seiner Umtriebigkeit kurzerhand zum Dapferle ernannt. Und diese Vorliebe für die Minimalisierung hat leider auch die Speisekarten erobert. Leberspätzlesüpple, Maultäschle, Geggale mit gelbe Rüble und Apfelküchle – eine solche Menüfolge schreckt eher ab.
Und weil wir jetzt schon im Wirtshaus gelandet sind, zum Schluss noch eine schwäbische Uralt-Sottise: Der Gast ruft: Liesele! - Die Bedienung: Wasele? – Der Gast: A Vierdele! – Die Bedienung bringt das Glas: Sodele! – Der Gast: Jetzedle!“Ziemlich unwahrscheinlich – und gar unmöglich in Corona-Zeiten.