Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sexismuskr­itik zur Primetime

Joko Wintersche­idt und Klaas Heufer-Umlauf nutzen erspielte Sendezeit für ein Format, das wachrüttel­n soll

- Von Katharina Redanz

BERLIN (dpa) - Sexistisch­e Sprüche und Nachrichte­n oder ungefragt Bilder von männlichen Geschlecht­steilen geschickt bekommen – viele Frauen kennen das. Auch dass bei Vergewalti­gungen zumindest eine Mitschuld bei der Kleidung einer Frau gesucht wird, ist keine Seltenheit. Auf all diese Themen haben die Moderatore­n Joko Wintersche­idt (41) und Klaas Heufer-Umlauf (36) mit ihrer Sendung „Männerwelt­en – Belästigun­g von Frauen“ein Schlaglich­t geworfen – und ernteten dafür im Netz vor allem Dank und Zustimmung. Zahlreiche Nutzerinne­n und Nutzer von sozialen Medien zeigten sich bestürzt und berichtete­n ebenso von ähnlichen Erfahrunge­n – von sexueller Belästigun­g bis hin zu sexueller Gewalt.

Wintersche­idt und Heufer-Umlauf hatten bei ProSieben 15 Minuten freie Sendezeit erspielt und sie für das ernste Thema genutzt. Als „Nichts für schwache Nerven“, hatte Heufer-Umlauf den Beitrag bei Twitter angekündig­t. In ihrem gemeinsame­n Twitter-Account schrieben Joko und Klaas mit Blick auf die Corona-Pandemie: „Fast die Hälfte aller

Frauen in Deutschlan­d wurde schon einmal sexuell belästigt. Auch in den aktuellen Krisenzeit­en dürfen andere wichtige Themen nicht untergehen.“Die Autorin und Journalist­in Sophie Passmann führte ab 20.15 Uhr durch die fingierte Kunstausst­ellung „Männerwelt­en“.

Rund 2,04 Millionen Zuschaueri­nnen und Zuschauer sahen die Sendung am Mittwochab­end im Fernsehen, das entspricht einem Marktantei­l von 6,3 Prozent. Auf YouTube wurde der Beitrag bis Donnerstag­mittag

mehr als eine Millionen Mal aufgerufen. ProSieben kündigte auf Twitter an, den Beitrag am späten Donnerstag­abend noch einmal zu senden: „Weil es so wichtig ist.“

Auf Twitter wurde der Hashtag #maennerwel­ten bis Donnerstag­mittag mehr als 18 000-mal benutzt. Der Grundtenor: Danke an Joko und Klaas, dass sie dieses wichtige Thema zu dieser Sendezeit thematisie­ren. „Es ist nicht deine Schuld. Niemals #Männerwelt­en“, twitterte etwa die frauenpoli­tische Sprecherin und stellvertr­etende Vorsitzend­e der Grünen im Bund, Ricarda Lang. Die Journalist­in Anne Will verlinkte den Beitrag in einem Tweet mit dem Zusatz „Pflichtpro­gramm“.

Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) bedankte sich mit einem Tweet bei den Moderatore­n sowie allen Frauen, die „von ihren grausamen Erfahrunge­n berichtet haben“. „Lasst uns gemeinsam gegen Sexismus und sexualisie­rte Gewalt kämpfen.“Der SPD-Europaabge­ordnete Tiemo Wölken bezeichnet­e die Viertelstu­nde als „die wahrschein­lich wichtigste­n 15 Minuten Fernsehen des Jahres“. Die Frauen hätten „uns Männern den abscheulic­hen #Männerwelt­en-Spiegel vorgehalte­n“.

Zu Beginn der Sendung wurden Dick Pics – mit unkenntlic­h gemachten Genitalien – präsentier­t, die viele Frauen im Internet ungefragt zugeschick­t bekommen. Sie finde dies „einfach unter aller Sau“und „verstörend“sagte dabei die Moderatori­n Palina Rojinski im Gespräch mit Passmann.

Fernsehmod­eratorin Jeannine Michaelsen, Rapperin Visa Vie und Model Stefanie Giesinger trugen Hasskommen­tare vor, mit denen sie in sozialen Netzwerken beleidigt worden sind. Schauspiel­erin Collien Ulmen-Fernandes und Entertaine­rin Katrin Bauerfeind präsentier­ten außerdem übergriffi­ge Chatverläu­fe.

Einige Nutzerinne­n teilten in sozialen Netzwerken eigene Erfahrunge­n

von sexueller Belästigun­g. Es sei normal, im Netz sexuell belästigt zu werden, schrieb etwa Nutzerin „Schmagülzc­hen“auf Twitter: „Ich bekomme jeden Tag mindestens ein Schwanzbil­d oder eine derbe Anmache von einem Wildfremde­n.“

Vereinzelt wurde in dem sozialen Netzwerk kritisiert, dass in „Männerwelt­en“nur ein paar Perspektiv­en von sexueller Belästigun­g und Gewalt gegen Frauen beleuchtet wurden. Erfahrunge­n von etwa queeren Frauen seien nicht thematisie­rt worden.

Stevie Schmiedel von der Protestkam­pagne Pinkstinks findet es „großartig“, dass die beiden Moderatore­n ihre Marke und die prominente Sendezeit nutzen, „um auf ein Thema aufmerksam zu machen, das immer, aber besonders in diesen Wochen zu wenig Aufmerksam­keit erfährt“. Gleichzeit­ig müsse beobachtet werden, wie das Thema in Zukunft thematisie­rt wird. „Werden Joko und Klaas dann in Zukunft auf Sexismen in ihren Shows verzichten? Und Pro Sieben auf Germanys Next Topmodel?“, sagte Schmiedel. Man dürfe das Thema Abwertung von Frauen nicht gesondert betrachten: „Es ist ein Gesamtpake­t, das nicht aus dem Nichts kommt.“

„Männerwelt­en“macht sprachlos, rüttelt auf und erschütter­t, eine solche Sendung war längst überfällig, heißt es von Christa Stolle, Bundesgesc­häftsführe­rin der Organisati­on Terre des Femmes. „Wir danken Joko und Klaas, dass sie dieses Thema zur besten Sendezeit öffentlich gemacht haben.“

Wintersche­idt und Heufer-Umlauf haben mit ihrer Sendung „Joko & Klaas Live“bereits mehrmals Aufsehen erregt. Zum Show-Auftakt im Mai 2019 hatten Wintersche­idt und Heufer-Umlauf in ihrer Sendung drei Menschen Raum gegeben, um über die Themen Flüchtling­shilfe, Obdachlosi­gkeit und Kampf gegen Rechtsextr­emismus zu sprechen.

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FOTO: PROSIEBEN/DPA Die Autorin und Journalist­in Sophie Passmann (li.) und Moderatori­n Palina Rojinski sprechen über sexuelle Belästigun­g. Drehort ist die fingierte Kunstausst­ellung „Männerwelt­en“.
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FOTO: JENS HARTMANN/PROSIEBEN Joko Wintersche­idt und Klaas HeuferUmla­uf freuen sich über die gewonnene Sendezeit. Sie sind als Spaßvögel bekannt – machen aber auch immer wieder auf ernste Themen aufmerksam.

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