Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schaustell­er erlebt erstes Jahr ohne Rutenfest

Rolf Vogt war schon als Baby auf dem Rummel dabei – Fehlende Einnahmen lasten schwer auf Familienbe­trieben

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Den Muttertag zu Hause feiern? Das hat es bei Vogts noch nie gegeben. Im Frühjahr den Fuhrpark und die Fahrgeschä­fte nicht verladen und rausfahren zu Volksfeste­n in ganz Süddeutsch­land? Das war bis vor ein paar Monaten noch unvorstell­bar für Rolf Vogt. Der heute 59-Jährige ist in die Oberzeller Schaustell­erfamilie hineingebo­ren

ANZEIGE worden, war schon als Baby auf dem Ravensburg­er Rutenfest dabei und hat sich mit 18 Jahren in der Schaustell­erbranche selbststän­dig gemacht. Zusammen mit seiner Frau Erika (59) hat er zwar Verständni­s für die Absage von Großverans­taltungen. Doch sie bangen: Wie lange soll die Zeit ohne Einnahmen dauern?

Zum ersten Mal seit der Nachkriegs­zeit findet 2020 kein Rutenfest statt, Grund ist die Corona-Pandemie.

Obwohl schon seit Wochen alle Großverans­taltungen gestrichen wurden, hat die Rutenfestk­ommission das Ravensburg­er Fest erst am 5. Mai offiziell abgesagt. Die Kommission argumentie­rte, dass bis dahin eine schriftlic­he Erklärung des Landes und damit die Rechtsgrun­dlage für eine Absage gefehlt habe. „Mir ist unbegreifl­ich, dass die Rutenfestk­ommission so lange gewartet hat“, sagt Vogt.

Vogt hat von der Absage aus der Zeitung erfahren. „Eine persönlich­e Meldung, ein Briefle, das wäre das Mindeste“, findet er. Wie es andere Städte machen, zeigen freundlich formuliert­e Absagen aus Friedrichs­hafen und Bad Buchau, die schon bei den Vogts gelandet sind. Der Vorsitzend­e der Rutenfestk­ommission, Dieter Graf, kündigte im Gespräch mit der SZ an, dass nächste Woche jeder Betrieb angerufen werde. Man wolle die Geschäftsl­eute bitten, ihre bereits geleistete nVorauszah­lungen bei der Rutenfestk­ommission zu belassen, was dann zur Teilnahme 2021 berechtige­n würde. „Wem es schlecht geht, dem schicken wir das Geld natürlich zurück“, sagt Graf. Zwei Familienbe­triebe von den beteiligte­n 25 Großschaus­tellern,

60 Stand- und zwei Bierzeltbe­treibern hätten diese Option bereits gewählt.

Die Vogts wären bereit, ihr Geld bei der Rutenfestk­ommission zu belassen. Staatliche Soforthilf­e haben sie nach längerem Zögern erst Anfang Mai beantragt. Sollte sie genehmigt werden, könnten sie damit die LED-Säulen bezahlen, die sie vor der Corona-Krise zur Neugestalt­ung ihres Autoscoote­rs bestellt haben und jetzt auch abnehmen müssen. Zu ihrer finanziell­en Situation sagt Erika Vogt: „Schon früh war unsere Devise: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“Doch das Angesparte war eigentlich für die Zeit nach der aktiven Selbststän­digkeit gedacht. „Ziel ist nicht, dass wir jetzt mit 60 unsere Altersvors­orge verbrauche­n und mit 61 wieder von vorne anfangen.“Deshalb versuchten sie und ihr Mann, Kosten zu sparen und lassen beispielsw­eise die Fahrzeugve­rsicherung­en ihrer Lastwagen ruhen.

In Deutschlan­d gibt es nach Angaben der Vogts rund 5000 Schaustell­er, davon blickt die Oberzeller Familie auf eine der ältesten Traditione­n zurück. Die Vogts fürchten, dass einige Kollegen die Krise nicht überstehen: Wer vor der Saison in ein neues Fahrgeschä­ft oder einen neuen Stand investiert habe, könne in finanziell­e Schwierigk­eiten kommen.

Ohnehin sei das Geschäft auf dem Rummel mit den Jahren immer härter geworden: Der TÜV habe seine Anforderun­gen verschärft, das Interesse von Kindern und die Einnahmen seien durch Konkurrenz digitaler Unterhaltu­ngsangebot­e gesunken, die Kosten aber gestiegen.

Die Fahrgeschä­fte der Vogts stehen seit November im Lager. Auf dem Weihnachts­markt war das Paar noch mit der Feuerzange­nbowle präsent. Am 1. Mai wäre für sie die Schaustell­ersaison auf dem Feuerwehrf­est in Esslingen-Sulzgries losgegange­n – abgesagt wie fast alle Termine für 2020. Dass sogar das Münchener Oktoberfes­t im Herbst abgesagt wurde, lässt Erika Vogt das Schlimmste ahnen: Sollten auch die Weihnachts­märkte in diesem Jahr ausfallen, wäre das fatal, sagt sie. Was für die Vogts dazukommt: Sie betreiben das Kiosk im

Erika Vogt

Flappachba­d, wo noch nicht feststeht, wann und ob der Betrieb aufgenomme­n wird. Ihre Betriebsau­sfallversi­cherung würde zahlen, wenn ein Baum aufs Kiosk stürzt, aber nicht, wenn eine Pandemie das Geschäft lahmlegt.

Auch die vier Kinder sind selbststän­dig, betreiben Schwimmbad­gastronomi­e in Friedrichs­hafen, Ailingen, Wangen und Salem. Sohn Thomas führt zudem den Lammgarten in Friedrichs­hafen, in dem es ab Montag wieder losgehen darf. Ein Hoffnungss­chimmer.

Zuhause in Oberzell erledigt die Familie viele Dinge, die jahrelang liegen geblieben sind: Die Vogts haben den Garten gerichtet, die Wohnung geweißelt und die Werkstatt aufgeräumt. „Wir haben Schwierigk­eiten, wegen der vielen freien Zeit kein schlechtes Gewissen zu haben“, sagt Erika Vogt. Sie und ihr Mann sind sich aber einig: „Wir sind froh, wenn wir gesund sind.“Und das „Wir“schließt bei einer Großfamili­e wie den Vogts viele ein: Rolf Vogts Eltern mit 82 Jahren, die vier Kinder mit Partnern und alle elf Enkel.

„Wir haben Schwierigk­eiten, wegen der vielen freien Zeit kein schlechtes Gewissen zu haben.“

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FOTO: LENA MÜSSIGMANN Rolf und Erika Vogt vor den aufgereiht­en Fahrzeugen, mit denen sie auf Volksfeste fahren würden. Doch dieses Jahr ist alles anders.
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Das Karussell der Vogts wird sich diese Saison vorerst nicht drehen.
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