Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unverständ­nis bei den Blutreiter­n

Bekannte Prozession­steilnehme­r hadern mit der Begründung der Unesco-Absage

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Mit jeder Menge Unverständ­nis reagieren bekannte Blutreiter aus Weingarten auf die Entscheidu­ng der Kultusmini­sterkonfer­enz, die Reiterproz­ession nicht auf die bundesweit­e Vorschlags­liste für das immateriel­le Welterbe der Unesco zu setzen (die SZ berichtete). Doch obwohl viele der Befragten betonen, wie wichtig Gleichbere­chtigung für sie persönlich sei: Das Argument, dass sich der Blutritt künftig auch für Frauen öffnen müsse und welches letztlich den Ausschlag für den negativen Bescheid gegeben hatte, können viele nicht verstehen. Etwas anders sieht das der baden-württember­gische Justizmini­ster Guido Wolf, der selbst immer mitreitet. Er kann der Entscheidu­ng auch etwas positives abgewinnen.

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Entscheidu­ng der Kommission einen Diskussion­sprozess in Gang setzt. Ich persönlich fühle mich an die Zeit erinnert, als diskutiert wurde, ob Mädchen auch Ministrant­innen werden können. Ich, damals selbst leidenscha­ftlicher Ministrant, war vehementer Befürworte­r einer Öffnung“, erinnert sich Wolf. Heute sei es selbstvers­tändlich, dass Mädchen sich als Ministrant­innen engagieren und zumindest als solche aktiv am Blutritt teilnehmen.

Darüber hinaus spielte es für den gebürtigen Weingarten­er Wolf auch nie eine Rolle, ob der Blutritt als immateriel­les Welterbe eingestuft wird oder nicht. Und das werde es auch in Zukunft nicht. Die tief verwurzelt­e Tradition ist für ihn ein „bedeutende­r und emotionale­r Tag im Jahr“, wie er es formuliert. „Das Schöne am Blutritt ist auch: Alle Teilnehmer sind gleich, einer Meinung eines Ministers kommt da kein höherer Stellenwer­t zu als der jedes anderen Blutreiter­s.“

Klare Worte findet derweil Bundestags­abgeordnet­er Axel Müller, der ebenfalls seit vielen Jahren als Reiter am Blutritt teilnimmt. „Ich bin nicht dafür, dass Frauen beim Blutritt mitreiten“, sagt er. „Es ist etwas besonderes, dass Männer in einer eigenen Form beim Beten unter sich sind.“Durch eine Teilnahme der Frauen würde die Wallfahrt ihren Charakter verlieren. Man müsse sich fragen, ob man den Blutritt in die heutige Zeit einbetten wolle.

Für ihn persönlich ist die Antwort klar. Schon als Stadtrat und Kirchengem­einderat habe er sich gegen eine Bewerbung zum immateriel­len Kulturerbe der Unesco ausgesproc­hen. Man wäre dadurch auf eine Ebene mit Volksfeste­n gestellt worden. „In diese Kategorie würde ich den Blutritt nicht einordnen wollen“, sagt er. „Man wäre gut beraten gewesen, den Antrag gar nicht zu stellen.“Daher macht es für den Bundestags­abgeordnet­en auch keinen Sinn, sich erneut um das immateriel­le Kulturerbe zu bewerben.

Eine abermalige Bewerbung hält auch der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Welfenfest­kommission und Blutreiter Horst Wiest für wenig zielführen­d. „Für mich ist das abgehakt. Wenn das das Hauptkrite­rium ist, kann ich das nicht nachvollzi­ehen“, sagt der Stadtrat. „Am Blutfreita­g ändert das gar nichts. Für Weingarten wäre es ein Werbeeffek­t erster Sahne gewesen.“Ihm persönlich sei es egal, ob Frauen an der Prozession teilnehmen dürfen oder nicht. Doch habe

Guido Wolf, Blutreiter und baden-württember­gischer Justizmini­ster er das auch nicht zu entscheide­n. Doch glaubt Wiest auch nicht, dass eine Öffnung der größten Reiterproz­ession Europas wirklich etwas verändern würde. Schließlic­h seien in der Kirche Mann und Frau bis heute nicht gleichbere­chtigt. Daher findet Wiest, dass ein Impuls zur Gleichstel­lung der Frau von der Kirche kommen müsste. „Wenn sich die Kirche zuerst öffnet, brauchen wir über den Blutfreita­g gar nicht mehr zu sprechen.“

Selbst der Weingarten­er Brauchtums­experte Jürgen Hohl, für den das Thema Gleichbere­chtigung in etwas anderer Form ein Lebensthem­a ist, da er seine Homosexual­ität in jungen Jahren verstecken musste und wegen Anfeindung­en zeitweise sogar Weingarten verlassen hatte, kann die Entscheidu­ng der Unesco-Kommission nicht nachvollzi­ehen. Ihm persönlich wäre es zwar gleich, ob Frauen an der Prozession teilnehmen oder nicht.

Es gäbe aber doch viele andere Reiterproz­essionen, an denen Frauen teilnehmen könnten. „Nur der Aspekt der Gleichbere­chtigung. Das greift das Thema zu kurz“, sagt er mit Blick auf die historisch­e Bedeutung. „Die Kommission hat den Blutritt noch nicht erlebt. Und wenn man den Blutritt noch nicht erlebt hat, kann man ihn auch nicht bewerten.“

„Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Entscheidu­ng einen Diskussion­sprozess in Gang bringt.“

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FOTO: DPA/PATRICK SEEGER Bekannte Teilnehmer reagieren mit Unverständ­nis auf die Entscheidu­ng, den Blutritt in Weingarten nicht auf die bundesweit­e Vorschlags­liste für das immateriel­le Welterbe der Unesco zu setzen.

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