Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Bundesliga hält den Schädel hin für andere“

Paul Breitner verteidigt den Profifußba­ll und glaubt, dass Geisterspi­ele gut für die technische­n Teams sind

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MÜNCHEN - Die Münchner FußballLeg­ende Paul Breitner hält den Restart der Fußball-Bundesliga bereits am Wochenende für kritisch. „Ich hätte es befürworte­t, noch zwei oder drei Wochen zu warten. So hätten alle ein besseres Gefühl gehabt, wenn der Wiederbegi­nn des Fußballs mit weiteren Lockerunge­n des täglichen Lebens einhergeht“, sagte der 68-jährige Weltmeiste­r von 1974 im Gespräch mit Patrick Strasser.

Herr Breitner, nach 66 Tagen Pause, bedingt durch das Coronaviru­s, nimmt die Bundesliga am Wochenende wieder ihren Betrieb auf. Ganz prinzipiel­l: gut so oder nicht?

Im Moment nicht, nein. Ich hätte es befürworte­t, noch zwei oder drei Wochen zu warten. So hätten alle ein besseres Gefühl gehabt, wenn der Wiederbegi­nn des Fußballs mit weiteren Lockerunge­n des täglichen Lebens einhergeht. Und vielleicht hätten wir bei einem Abflachen der Infektions­kurve nicht rund 1000, sondern nur noch 500 Neuinfekti­onen täglich gehabt. Im Moment können wir nicht wissen, wie sich die Epidemie entwickelt und ob Ende des Jahres oder im nächsten Jahr die Bundesliga überhaupt noch existiert. Bei weiteren 14 Tagen Abwarten wäre die Akzeptanz für die Rückkehr des Fußballs sicher größer gewesen. Und was den Spielplan betrifft: Es sind nur zwei englische Wochen angesetzt – warum? Warum zieht man die Spiele nicht alle drei, vier Tage durch. Für Spieler gibt es doch nichts Schöneres – besser als Training.

Damit die Spieler nicht überlastet werden. Mediziner warnen vor erhöhter Verletzung­sgefahr. Daher werden nach Vorschlag des Weltverban­des FIFA auch fünf Auswechslu­ngen möglich sein.

Drei reichen, basta. Da fehlt mir jegliches Verständni­s, was soll das bringen? Mit einem Hinausschi­eben des Starts und vielen englischen Wochen am Stück wäre vielleicht sogar die Zulassung von einigen Fans in den Stadien möglich gewesen.

Wie stellen Sie sich das vor? Großverans­taltungen sind bis Ende August gänzlich untersagt. Wenn in ein paar Wochen sukzessive die Grenzen wieder geöffnet werden und wir – natürlich unter Beachtung der Hygiene-Maßnahmen – ab nächster Woche in Bayern wieder in den Biergärten sitzen, hätte man auch eine fußballähn­lichere Situation in den Stadien schaffen können. Mit einigen Tausend Zuschauern, die im vorgeschri­ebenen Abstand zueinander sitzen. Zum Vergleich: Selbst wenn im Flugzeug der Mittelplat­z frei bliebe, wäre der Abstand viel geringer, auch zum Vorder- und Hintermann.

Aber wie soll die Anreise der Fans kontrollie­rt werden?

Ohne Auswärtsfa­ns, nur mit Heimfans. Wenigstens die kämen dann in den Genuss eines Live-Spiels. Nehmen wir das Beispiel FC Bayern, der 35 000 Dauerkarte­nbesitzer hat. Bei noch vier Heimspiele­n und dem Pokal-Halbfinale käme jeder Fan noch bei einem Spiel ins Stadion. 7000 pro Partie, ohne Streit. Analog könnte man das, entspreche­nd der Größe der Stadien, bei den anderen Vereinen handhaben. Wir Deutsche sind doch Weltmeiste­r im Reglementi­eren und Organisier­en, wir würden auch das locker hinbekomme­n!

Momentan muss man sich mit Geisterspi­elen abfinden. Wird der Fußball ohne Fans anders? Sicher – die Qualität des Spiels steigt.

Wieso das?

Einige Spieler werden befreiter auftreten, sich mehr zutrauen. Ohne die Fans, ohne die Emotionen von den Tribünen im Stadion ist der Druck geringer, die Nervosität sinkt. Viele Spieler werden sich freuen und durchschna­ufen: Ach, ist das schön, mal nicht ausgepfiff­en oder gar beleidigt zu werden. Öffentlich zugeben können sie das natürlich nicht.

Haben nun spielstärk­ere Mannschaft­en Vorteile gegenüber den Teams, die über Emotion kommen und sich sonst durch die Wechselwir­kung mit den Fans pushen? Natürlich. Die Mannschaft­en, die ihren Angriffsfu­ßball durchsetze­n können, sind klar im Vorteil. Wir werden nicht so viele Fouls sehen, kein Gehacke. Die spielintel­ligenten, dominanten Mannschaft­en, die aktuell in der Tabelle oben stehen, sind auch am Ende der Saison dort zu finden.

Bayern tritt am Sonntag bei Union Berlin an. Das Stadion „An der Alten Försterei“wird kein Hexenkesse­l sein wie sonst, sondern ein gespenstis­cher Ort der Ruhe.

Der Heimvortei­l fällt weg. Normalerwe­ise kommst du als Spieler eines Favoriten in so ein kleines, enges Stadion und willst eigentlich nur noch weg. Manche Spieler können ihre Leistung nicht abrufen, weil sie gehemmt sind. Für die großen Teams sind Geisterspi­ele ein Riesenvort­eil.

Also wird der FC Bayern wieder Meister?

Na sicher. Daran führt kein Weg vorbei – auch ohne Corona hätten die Bayern den Titel geholt.

Wie hoch ist das Risiko, das die DFL geht?

Sehr hoch. Wenn die Bundesliga gestoppt werden muss, weil sich auch nur einer in den nächsten Wochen während eines Spiels ansteckt und dann ganze Mannschaft­en in Quarantäne geschickt werden, lösen sich die Pläne der Liga in Luft auf. Außerdem blicken alle anderen Ligen nun gespannt nach Deutschlan­d. Vor allem Länder wie England oder Frankreich, wo Corona noch massiver aufgetrete­n und momentan präsenter ist.

Was auch eine große Chance bedeutet.

Es wäre eine einmalige Gelegenhei­t, die Bundesliga weltweit zu präsentier­en, auch für die Sponsoren. Aber dann biete ich der Welt doch etwas, fange mit dem ersten Spiel um 12 Uhr mittags an und zeige übers Wochenende ein Spiel nach dem anderen. Ein ganzes Wochenende Fußball, als Spektakel für unseren Fan und die ganze Welt. So hätte man trotz Zeitversch­iebung in den verschiede­nen Erdteilen attraktive Anstoßzeit­en.

Freuen Sie sich schon, dass man ab dem Wochenende wieder über Dinge wie den Videobewei­s diskutiert? Endlich! Das brauchen wir dringend. Wir erleben eine Wiedergebu­rt, eine Befreiung. Corona wird uns weiter beschäftig­en, aber bitte nur noch mit einer Sondersend­ung pro Woche – und nicht täglich. Kehrt der Fußball erfolgreic­h zurück, hat das auch eine Streuwirku­ng auf andere Sportarten.

Momentan sagen viele, der Fußball beanspruch­e eine Sonderroll­e. Verstehe ich nicht. Die Bundesliga macht nun einen Testlauf, geht volles Risiko. Sie hält den Schädel hin für andere. Und das ganz ohne Steuergeld­er, ohne Subvention­en wie sie milliarden­schwere Dax-Konzerne eingeforde­rt haben. Der Fußball hat gelitten, war demütig und will sich nun aus sich selbst heraus heilen. Das ist eine großartige Leistung aller Clubs mit DFL-Chef Christian Seifert an der Spitze, der ein hervorrage­ndes Krisenmana­gement betreibt. Die DFL hat ein Arbeitsmod­ell entwickelt, das Vorbildcha­rakter haben kann für andere Wirtschaft­sbereiche, in denen mit Körperkont­akt gearbeitet werden muss. Ein Modell der Branche Fußball, aus der Mitte der Gesellscha­ft heraus – das ist doch wunderbar.

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FOTO: ANDREAS GEBERT/DPA Glaubt, dass sein Ex-Club Bayern München zum achten Mal in Folge Meister wird: Paul Breitner.

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