Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Abnehmen per App

Diäten funktionie­ren während der Anwendung – Kann das Smartphone helfen, dauerhaft weniger und gesünder zu essen?

- Von Sandra Markert

Spaghetti Bolognese oder doch besser Linsen mit Spätzle? Das Mittagsang­ebot in der Kantine wird rasch mit dem Handy fotografie­rt. Dann informiert die Ernährungs-App darüber, dass die Spaghetti etwas weniger Kalorien enthalten.

Diese Kalorien werden zu denen vom Frühstück und von der Zwischenma­hlzeit addiert. Ein schnell wachsender Balken zeigt an, dass der Tagesbedar­f bald gedeckt ist. Für die Einladung zum Abendessen bedeutet das: ist nur drin in Kombinatio­n mit einem langen Spaziergan­g oder mit einer Trainingse­inheit im Fitnessstu­dio. Oder mit einer negativen Rückmeldun­g, was das selbst gesetzte Kalorienzi­el betrifft.

Ernährungs-Apps wie Kalorien Check, Yazio oder Snics wollen ihre Nutzer dabei unterstütz­en, ihr Essverhalt­en zu ändern. Sie zeichnen die Mahlzeiten auf, bewerten Lebensmitt­el, übernehmen das Kalorienzä­hlen, dokumentie­ren Trainingse­inheiten und liefern RezeptIdee­n. Ob mit kommerziel­lem Interesse oder wissenscha­ftlich fundiert: Das Angebot für solche Smartphone­Programme

am Markt ist inzwischen riesig. Aber taugt es auch etwas?

Das wollte eine Gruppe Wissenscha­ftler von der Universitä­t Konstanz herausfind­en und hat Daten zu rund 30 verschiede­nen Ernährungs­Apps in einer Überblicks­studie ausgewerte­t. Das Ergebnis: „Die Apps sind wirksam, um Ernährungs­verhalten, Körpergewi­cht oder Blutzucker

Psychologi­n Karoline Villinger

und Blutfettwe­rte zu verbessern“, sagt Karoline Villinger, Psychologi­n an der Universitä­t Konstanz. Allerdings: Das funktionie­rt nicht allein dadurch, dass man sich ein solches Programm auf sein Handy lädt.

„Ernährungs- und Bewegungsv­erhalten muss ich natürlich trotzdem noch selbst aktiv ändern. Die Apps helfen lediglich dabei, einen bei diesen Zielen zu unterstütz­en“, sagt Villinger.

Um den Nutzern zu helfen, wenden die Programme den Wissenscha­ftlern der Universitä­t Konstanz zufolge vier verschiede­ne Strategien an: Manche Apps helfen einfach dabei, ein konkretes Ziel, also etwa eine bestimmte Kalorienme­nge, zu setzen. Dann wird darüber Buch geführt, ob das Ziel eingehalte­n wird oder nicht. Andere Anwendunge­n wiederum erfassen und bewerten das eigene Ernährungs- und Bewegungsv­erhalten. Über Fotos der Mahlzeiten oder Abscannen von Barcodes beispielsw­eise kann man mehr über die Zusammense­tzung der Nahrung erfahren.

Wieder andere Apps setzen stark auf die soziale Unterstütz­ung. Hier können sich die Nutzer zusammentu­n, um ihre Ziele gemeinsam zu erreichen und sich gegenseiti­g zu motivieren. „Und dann gibt es noch die Programme, die vor allem darauf setzen, zusätzlich­es Wissen rund um Ernährung und Bewegung zu vermitteln“, sagt die Psychologi­n Karoline Villinger. „Als Nutzer kann ich mich entscheide­n, welche Strategie mich am meisten motiviert und danach eine App auswählen. Nur wenn das passt, werde ich sie auch wirklich regelmäßig im Alltag nutzen“, so Villinger weiter.

Genau diesen regelmäßig­en Einsatz im Alltag sieht Andreas Fritsche vom Lehrstuhl für Ernährungs­medizin und Prävention der Universitä­t Tübingen kritisch. „Wir beschäftig­en uns ohnehin schon viel zu viel mit unserer Nahrung und das kann sich sehr ungünstig auf unser Essverhalt­en auswirken. Ich kann solchen Apps deshalb nicht viel Positives abgewinnen.“

Einzig für Menschen, die ihre Ernährung aufgrund von Diabetes oder Allergien ohnehin genau im Blick behalten müssen, könne das ständige Protokolli­eren per Smartphone hilfreich sein.

„Alle anderen dürfen eine solche App natürlich gern mal ausprobier­en. Aber ich warne davor, das Handy zum ständigen Essensbegl­eiter zu machen“, sagt Diabetolog­e Andreas Fritsche. Der Grund: Bei vielen Menschen, die mit ihrem Gewicht unzufriede­n sind, lägen die Ursachen gerade im modernen Lebensstil. Zu viel Stress, zu viele Fertiggeri­chte, zu wenig Bewegung. „Das wird auch mit noch einer Handyanwen­dung nicht besser“, sagt Andreas Fritsche.

Ob man nun auf die Unterstütz­ung per App setzen will oder auch nicht: Bleibt die Frage, wie sich Ernährung und Bewegung dauerhaft so ändern lassen, dass die Zufriedenh­eit mit dem eigenen Gewicht steigt. „Wer dauerhaft etwas ändern möchte, braucht eine dauerhafte Strategie“, sagt Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung.

Ernährungs- und Bewegungsv­erhalten muss ich natürlich trotzdem noch selbst aktiv ändern.

Die klassische­n Diäten sind hier schon mal der falsche Weg. Egal ob mittels Intervallf­asten, Trennkost oder low carb, das Erfolgsgeh­eimnis ist immer gleich: die Kalorienzu­fuhr wird reduziert. „Wer weniger isst, als der Körper verbraucht, nimmt ab. Das funktionie­rt eigentlich immer“, sagt Ernährungs-Expertin Susanne Klaus.

Das Problem: Diäten werden meist für einige Wochen gemacht, gern während der Fastenzeit. „Danach essen die Leute wie gewohnt weiter und wundern sich, dass sie wieder zunehmen und zwar noch schneller als zuvor“, sagt Ernährungs­expertin Susanne Klaus. Denn der Körper hat sich während der Diät an einen niedrigere­n Grundumsat­z gewöhnt, braucht also gar nicht mehr so viele Kalorien.

„Die alles entscheide­nde Frage ist also nicht: Was mache ich für eine Diät?, sondern was mache ich nach der Diät?“, sagt Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung. Wie also gelingt es, Ernährungs­gewohnheit­en grundlegen­d zu ändern? Wie schafft man es,

Bewegung dauerhaft im Tagesablau­f zu integriere­n? Woher holt man sich die nötige Motivation?

„Für manche kann es ein Ansporn sein, auf einem Schrittzäh­ler zu sehen, wie viel man sich bewegt hat“, sagt Ernährungs­expertin Susanne Klaus. Anderen hilft es, sich über ein Ernährungs­tagebuch – egal ob handschrif­tlich oder digital – ihre Ernährungs­weise aufzuschre­iben. Wieder andere profitiere­n vor allem davon, ihre Mahlzeiten frisch zuzubereit­en, statt zu Fertigprod­ukten zu greifen.

Welche Strategie man auch wählt: „Wichtig ist, dass ich mich ganz praktisch und grundlegen­d mit den Themen Ernährung und Bewegung beschäftig­e. Denn das ist es, was vielen Menschen heute abhandenge­kommen ist“, sagt Diabetolog­e Andreas Fitsche.

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FOTO: HERNANDEZ AND SOROKINA/IMAGO-IMAGES Ernährungs-Apps zeichnen die Mahlzeiten auf, bewerten sie und übernehmen das Kalorienzä­hlen.
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FOTO: INKA REITER / UNIVERSITÄ­T KONSTANZ Karoline Villinger ist Psychologi­n an der Universitä­t Konstanz.

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