Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Mediziner spaltet Ravensburg
SZ-Leser diskutieren im Netz über Auftritt eines Kinderarztes auf Demonstration
RAVENSBURG (vin) - Eine heftige Diskussion ist auf „Schwäbische.de“über den Auftritt des Ravensburger Kinderarztes Jochen Welte bei der Demonstration gegen Corona-Beschränkungen am 9. Mai in Ravensburg entbrannt. Wie berichtet, hatten sich etwa 25 andere Kinderärzte aus der Region von Welte distanziert. Dieser hatte das Coronavirus mit altbekannten Krankheitskeimen wie Staphylokokken und Streptokokken gleichgesetzt und sinngemäß behauptet, ein gutes Immunsystem werde mit dem Sars-Erreger schon fertig. Das empfinden die anderen Kinderärzte angesichts der vielen Toten weltweit als zynisch.
Im Netz sind die Meinungen über die Demonstrationen in Ravensburg geteilt, die Fronten verhärtet. Einige verteidigen Welte. Zum Beispiel Thomas G.: „Auch ein Kinderarzt hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Teilnehmer einer Demonstration für die Rückkehr zu unseren Grundrechten pauschal als Staatsfeinde und Populisten abzustempeln, ist armselig. Die immer gleiche (Über-)Reaktion auf Menschen, die nicht der Mehrheitsmeinung folgen, ist bedenklich, denn schließlich ist Meinungspluralismus und ein offener Diskurs die Grundlage jeder demokratischen Gesellschaftsordnung. Und die offensichtlich so wissende Mehrheit der bedingungslosen Lockdown-Befürworter hat doch ehrlich gesagt auch keinen Informationsvorsprung gegenüber der Fraktion der Lockdown-Kritiker. Wer sagt denn, dass ein paar wenige
Virologen und Politiker in Berlin das richtige Entscheidungsgremium für den Umgang mit dieser Katastrophe ist? Werden bei den getroffenen Entscheidungen wirklich alle wesentlichen Meinungen, Daten und Fakten berücksichtigt oder wird sich nicht fälschlicherweise darauf beschränkt, einigen wenigen zu glauben und alles für richtig zu halten, was aus dieser Richtung kommt? Ein großes Problem in Deutschland ist nach Drittem Reich und DDR immer noch, dass die Mehrheit einem/einer Führer/in nachrennt, bis am Ende das ganze Land in Schutt und Asche liegt. Und wir sind schon wieder nah dran...“
Und Matthias F. meint: „Ich behaupte mal, ein Großteil der Leute, die zu den Demonstrationen gehen, hängen nicht irgendwelchen kruden Theorien nach, sondern wollen sich einfach mal informieren oder hegen zumindest Zweifel an der angeblich alternativlosen Vorgehensweise, die derzeit ausgerufen wird. Die Zahlen im Bodenseekreis und Kreis Ravensburg sind laut RKI derart harmlos, dass doch vor diesem Hintergrund die Frage erlaubt sein muss, ob das dann alles noch in der Form nötig ist. Neben den Existenzängsten der Selbstständigen denke ich da vor allem auch an unser derzeit regelrecht brachliegendes Bildungssystem. Wie das alles mal weitergehen soll, ist mir völlig schleierhaft und ich bin entsetzt darüber, wie wenig dieses Problem thematisiert wird.“
Die meisten Leser kritisieren die Demonstranten und Welte allerdings scharf: „Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind elementare Bestandteile unserer Verfassung, deshalb auch einklagbar. Die Schreihälse, die zur Zeit wegen angeblich eingeschränkter Persönlichkeitsrechte demonstrieren, genießen eben diese Rechte. Sie lassen jeden Sachverstand vermissen und glauben an rechte Sprüche, Impfgegner, die Erdscheibentheorie etc. Dank an die Kinderärzte für die eindeutige Stellungnahme zu solchem Unfug“, schreibt Günter F.
Ähnlich sieht es Regina K.: „Um sich zu informieren, ist eine derartige Demonstration der denkbar schlechteste Ort. Die Menschen, die dort hingehen, sind meist mit den Fakten nicht zufrieden. Es wird doch gelockert. Ich glaube, davor haben viele Demonstranten am meisten Angst. Dann haben sie keinen Grund mehr zu demonstrieren und müssen sich was Neues suchen.“
Noch schärfer ins Gericht mit den Demonstranten geht Manuela W.: „Gegen eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Maßnahmen habe ich sicherlich nichts. Dies kann in Form einer Demonstration allerdings nur dann funktionieren, wenn die derzeitigen Hygienestandards eingehalten werden. Dies konnte ich jedoch bisher noch nicht erkennen. Vielmehr sind die Menschen hier oft dicht an dicht. Viele dieser Demonstranten gehören in der Tat zu den ,Aluhutträgern’, die die Gefährlichkeit des Virus anzweifeln. Ich vertrete die Meinung, dass jeder, der auf einer solchen Demo teilnimmt, ohne die Hygienestandards einzuhalten, meine Grundrechte mit Füßen tritt. Ich persönlich halte mich streng an die Vorgaben, um es auch ihren Angehörigen zu ermöglichen, unbeschadet durch diese Zeit zu kommen. Genau diesen Respekt ihnen und ihren Angehörigen gegenüber erwarte ich von jedem Demonstranten. Sicherlich macht die Politik immer wieder Fehler. Nichtsdestotrotz haben wir hier im Moment sehr gut gehandelt. Dieses Handeln basiert auf den Erkenntnissen und zum Teil auch korrigiert den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts. Und es gibt immer noch kein vernünftiges Argument, welches das Recht auf Leben hinter das Demonstrationsrecht stellt.“
Jennifer W., antwortet auf Thomas G.: „Natürlich darf ein Arzt seine Meinung äußern. Wenn er aber solche Plattitüden raushaut, gepaart mit einem derart süffisanten und überheblichen Unterton, dann dürfen sich Kollegen zurecht darüber aufregen.“
Einen Schlichtversuch startet Christoph G.: „Die eine Seite ist panisch wegen Corona. Die andere Seite spielt es komplett herunter. Beide Seiten denunzieren sich. Das ist ekelhaft. Diskutiert über die Ansichten, streitet auch mal, aber was soll dieser Stellungskrieg? Beide Seiten haben gute Argumente, und wie so oft wird die Wahrheit in der Mitte liegen. So sieht es auch der Großteil meiner Bekanntschaft. Und das wird in der Bevölkerung nicht anders sein.“