Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Blutrittab­sage trifft Musikverei­ne emotional

Für die Kapellen ist die Reiterproz­ession ein Höhepunkt – Trachtenka­pelle Berg hat sich etwas einfallen lassen

- Von Philipp Richter

BERG - Zum Blutritt kommen sogar Studenten aus den Großstädte­n wieder zurück in die Heimat, um als Musikant ihrer Musikkapel­le dabei zu sein. Um zusammen mit den bis zu 2500 Pferden an der größten Reiterproz­ession Europas in Weingarten teilzunehm­en. Um die Blutreiter und die HeiligBlut-Reliquie zu begleiten.

Das zeigt, welch hohen Stellenwer­t der Blutritt für Oberschwab­en hat. Doch in diesem Jahr ist alles anders.

Die Studenten kommen nicht zurück, weil sie entweder eh zu Hause vor dem Rechner sitzen und studieren, oder eben einfach nur geschuldet der Tatsache, dass die Prozession in ihrer traditione­llen Form wegen der Corona-Pandemie an diesem Freitag nicht stattfinde­n wird.

„Wir können die Absage verstehen. Aber das tut schon weh, vor allem uns Bergern, weil wir eine ganz besondere Verbindung zu Weingarten

und dem Blutritt haben“, sagt Reinhold Köberle, der Vorsitzend­e des Musikverei­ns Berg. Schließlic­h geht die erste urkundlich­e Erwähnung des Dorfes auf die Heilig-BlutReliqu­ie zurück. Als Weingarten im vergangene­n Jahr 925 Jahre HeiligBlut-Reliquie feierte, feierte Berg 925 Jahre Berg. Diese Verbindung besteht bis heute.

Für die Menschen der Region ist der Blutritt viel mehr als nur ein religiöses Bekenntnis. Vor allem für die Musikanten steht viel mehr mit dieser Wallfahrt in Verbindung. Für die älteren Musikanten und auch für manch jüngeren Musikanten in der Musikkapel­le gehört der Blutritt zum ersten großen Auftritt vor Publikum außerhalb der eigenen Gemeinde, wie Lothar Kreuzer erzählt. „Ich war zuerst auf dem Pferd dabei und bin dann auf die Straße gewechselt. Da ist man stolz wie Oskar und voller Ehrfurcht“, sagt Kreuzer. Und Reinhold Köberle ergänzt: „Aber die wenigste Zeit spielt

GBlutritt in Weingarten man, sondern ist damit beschäftig­t, darauf zu achten, dass man gerade läuft.“

Jedes Jahr nehmen am Blutritt etwa 4500 Musikanten von Musikkapel­len aus der ganzen Region teil, wie Markus Frankenhau­ser weiß. Das heißt, es sind fast doppelt so viele Musikanten dabei wie Pferde. Er ist Dirigent der Trachtenka­pelle Berg und auch Ravensburg­s Kreisverba­ndsdirigen­t. Beim Blutritt muss alles stimmen, darauf achten die Kapellen. Das geht bei der Liedauswah­l los (vor allem Märsche) und geht bis hin zum Kurvenlauf­en. „Da achtet man schon drauf, dass die Kapellen den 90-Grad-Winkel schaffen“, so Frankenhau­ser. Schließlic­h möchte man sich für diesen besonderen Tag rüsten.

Berg ist wie andere Gemeinden um Weingarten herum Quartierge­ber für Blutreiter­gruppen aus entfernter­en Orten. Schon am Tag zuvor, an Christi Himmelfahr­t, sind deswegen in Berg vermehrt Pferde und Blutreiter zu Gast. So entstand eine enge Verbindung zu den Blutreiter­n aus Berkheim im Landkreis Biberach, weiß Judith Sauter, Schriftfüh­rerin des Musikverei­ns und Tochter des Vorsitzend­en der Blutreiter­gruppe Berg, zu berichten. Nach dem Blutritt gibt es einen Dankesgott­esdienst, bei dem es sich auch eingebürge­rt hat, dass Mitglieder des Musikverei­ns diesen musikalisc­h begleiten.

All das wird es in diesem Jahr nicht geben. Das fehlt und schmerzt, machen die Musikanten glaubhaft. Schließlic­h ist die Wallfahrt auch ein Höhepunkt, an dem die Gemeinscha­ft der Vereine gelebt wird. Zusammen unterwegs sein, zusammen spielen und danach zusammensi­tzen. Das wird aber nicht der einzige Höhepunkt in diesem Jahr sein, der den Musikern wegen der CoronaKris­e

wegfällt: Auch keine Volksfeste wie Rutenfest, Welfenfest und in Berg das Bergfest werden stattfinde­n. Der Klebstoff der Gemeinscha­ft, wie es Köberle ausdrückt.

Trotzdem soll in diesem Jahr noch ein musikalisc­hes Blutritt-Gefühl aufkommen. Der Musikverei­n möchte einen Zusammensc­hnitt von Fotos und Videos vergangene­r Blutritte auf seiner Internet- oder Facebook-Seite veröffentl­ichen. Vielleicht sogar Musik zum Herunterla­den, überlegt Reinhold Köberle. Aber dann natürlich inklusive des allseits bekannten und von Musikanten scherzhaft genannten Rossbollen­marschs, der eigentlich „Wir präsentier­en“heißt.

Mehr zum Blutritt und den Hintergrün­den der Absage gibt es auf Seite 16 und in einem Dossier unter www.schwäbisch­e.de/blutritt

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Für die Trachtenka­pelle Berg ist der Blutritt in Weingarten der Höhepunkt des Jahres.
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