Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Blutrittabsage trifft Musikvereine emotional
Für die Kapellen ist die Reiterprozession ein Höhepunkt – Trachtenkapelle Berg hat sich etwas einfallen lassen
BERG - Zum Blutritt kommen sogar Studenten aus den Großstädten wieder zurück in die Heimat, um als Musikant ihrer Musikkapelle dabei zu sein. Um zusammen mit den bis zu 2500 Pferden an der größten Reiterprozession Europas in Weingarten teilzunehmen. Um die Blutreiter und die HeiligBlut-Reliquie zu begleiten.
Das zeigt, welch hohen Stellenwert der Blutritt für Oberschwaben hat. Doch in diesem Jahr ist alles anders.
Die Studenten kommen nicht zurück, weil sie entweder eh zu Hause vor dem Rechner sitzen und studieren, oder eben einfach nur geschuldet der Tatsache, dass die Prozession in ihrer traditionellen Form wegen der Corona-Pandemie an diesem Freitag nicht stattfinden wird.
„Wir können die Absage verstehen. Aber das tut schon weh, vor allem uns Bergern, weil wir eine ganz besondere Verbindung zu Weingarten
und dem Blutritt haben“, sagt Reinhold Köberle, der Vorsitzende des Musikvereins Berg. Schließlich geht die erste urkundliche Erwähnung des Dorfes auf die Heilig-BlutReliquie zurück. Als Weingarten im vergangenen Jahr 925 Jahre HeiligBlut-Reliquie feierte, feierte Berg 925 Jahre Berg. Diese Verbindung besteht bis heute.
Für die Menschen der Region ist der Blutritt viel mehr als nur ein religiöses Bekenntnis. Vor allem für die Musikanten steht viel mehr mit dieser Wallfahrt in Verbindung. Für die älteren Musikanten und auch für manch jüngeren Musikanten in der Musikkapelle gehört der Blutritt zum ersten großen Auftritt vor Publikum außerhalb der eigenen Gemeinde, wie Lothar Kreuzer erzählt. „Ich war zuerst auf dem Pferd dabei und bin dann auf die Straße gewechselt. Da ist man stolz wie Oskar und voller Ehrfurcht“, sagt Kreuzer. Und Reinhold Köberle ergänzt: „Aber die wenigste Zeit spielt
GBlutritt in Weingarten man, sondern ist damit beschäftigt, darauf zu achten, dass man gerade läuft.“
Jedes Jahr nehmen am Blutritt etwa 4500 Musikanten von Musikkapellen aus der ganzen Region teil, wie Markus Frankenhauser weiß. Das heißt, es sind fast doppelt so viele Musikanten dabei wie Pferde. Er ist Dirigent der Trachtenkapelle Berg und auch Ravensburgs Kreisverbandsdirigent. Beim Blutritt muss alles stimmen, darauf achten die Kapellen. Das geht bei der Liedauswahl los (vor allem Märsche) und geht bis hin zum Kurvenlaufen. „Da achtet man schon drauf, dass die Kapellen den 90-Grad-Winkel schaffen“, so Frankenhauser. Schließlich möchte man sich für diesen besonderen Tag rüsten.
Berg ist wie andere Gemeinden um Weingarten herum Quartiergeber für Blutreitergruppen aus entfernteren Orten. Schon am Tag zuvor, an Christi Himmelfahrt, sind deswegen in Berg vermehrt Pferde und Blutreiter zu Gast. So entstand eine enge Verbindung zu den Blutreitern aus Berkheim im Landkreis Biberach, weiß Judith Sauter, Schriftführerin des Musikvereins und Tochter des Vorsitzenden der Blutreitergruppe Berg, zu berichten. Nach dem Blutritt gibt es einen Dankesgottesdienst, bei dem es sich auch eingebürgert hat, dass Mitglieder des Musikvereins diesen musikalisch begleiten.
All das wird es in diesem Jahr nicht geben. Das fehlt und schmerzt, machen die Musikanten glaubhaft. Schließlich ist die Wallfahrt auch ein Höhepunkt, an dem die Gemeinschaft der Vereine gelebt wird. Zusammen unterwegs sein, zusammen spielen und danach zusammensitzen. Das wird aber nicht der einzige Höhepunkt in diesem Jahr sein, der den Musikern wegen der CoronaKrise
wegfällt: Auch keine Volksfeste wie Rutenfest, Welfenfest und in Berg das Bergfest werden stattfinden. Der Klebstoff der Gemeinschaft, wie es Köberle ausdrückt.
Trotzdem soll in diesem Jahr noch ein musikalisches Blutritt-Gefühl aufkommen. Der Musikverein möchte einen Zusammenschnitt von Fotos und Videos vergangener Blutritte auf seiner Internet- oder Facebook-Seite veröffentlichen. Vielleicht sogar Musik zum Herunterladen, überlegt Reinhold Köberle. Aber dann natürlich inklusive des allseits bekannten und von Musikanten scherzhaft genannten Rossbollenmarschs, der eigentlich „Wir präsentieren“heißt.
Mehr zum Blutritt und den Hintergründen der Absage gibt es auf Seite 16 und in einem Dossier unter www.schwäbische.de/blutritt