Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ravensburger fordert schnellere Öffnung von Kitas
In einem Brief an die Kultusministerin plädiert der Familienvater für regionale Lösungen – auch für Grundschulen
RAVENSBURG - Seit Monaten sind viele Ravensburger Kinder daheim, obwohl die Zahl der Neuinfektionen in der Region mittlerweile gen null tendiert. Sie können nicht in den Kindergarten, und Grundschulen sind nur für wenige Jungen und Mädchen der vierten Klassen geöffnet. Dagegen protestiert der Ravensburger Clemens Türck. Der Vater einer fünf- und einer neunjährigen Tochter hat jetzt in einem Brief an Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) die regionale Öffnung von Kindergärten und Schulen gleich nach den Pfingstferien gefordert.
Dabei bezieht er sich auf eine Stellungnahme von vier ärztlichen Fachgesellschaften, die die Schließung der Kitas und Grundschulen kritisch sehen. Sie fürchten gravierende soziale und gesundheitliche Folgen für die Kinder, wenn sie weiter dauerhaft zu Hause bleiben müssen. Zudem meinen sie, dass verschiedene Untersuchungen und Auswertungen nahelegen würden, dass „Kinder in der aktuellen Covid-19-Pandemie im Gegensatz zur Rolle bei der Influenza-Übertragung keine herausragende Rolle in der Ausbreitungsdynamik spielen“würden.
Türck kann folglich nicht verstehen, warum die Kitas und Grundschulen nicht sofort wieder geöffnet werden. Kitas und Grundschulen sollen nach einer Ankündigung vom Dienstag erst Ende Juni vollständig öffnen. Das reicht dem Familienvater nicht. „Ich bitte Sie, die Schulen und Kindergärten spätestens nach den Pfingstferien wieder umfassend zu öffnen.“Das begründet er auch damit, dass es im Kreis Ravensburg in den vergangenen Wochen nur sehr wenige Neuinfektionen gab, abgesehen von einem kleineren Ausbruch in einem Flüchtlingsheim in Bad Wurzach. „Was bedeuten für meine Kinder, die in Ravensburg mit anderen Ravensburger Kindern in eine Schulklasse oder Kindergartengruppe gehen, zukünftige Neuinfektionen in Karlsruhe, Stuttgart, Pforzheim oder gar nur Biberach? Schulklassen und Kindergartengruppen
sind lokale, absolut geschlossene Gruppen, bei denen überschaubar ist, wer wann wo war.“
Man könne ja dafür sorgen, dass die Kinder auch in den Pausen in ihrer Gruppe/Klasse bleiben – durch unterschiedliche Pausenzeiten oder räumlich getrennte Bereiche, oder auch zum Beispiel durch mehrere Pausen unter zehn Minuten, die draußen stattfinden müssen. „Sollte in einer Klasse ein Infektionsfall auftreten, so bin ich gerne bereit, eine zweiwöchige Quarantäne für meine Kinder zu akzeptieren. Aber alle Kinder dauerhaft oder für große Teile der Zeit aus Schule und Kindergarten auszusperren, nur damit niemand in Quarantäne muss, ist nicht zielführend“, meint Türck.
Die Maßnahmen der Schul- und Kindergartenschließung seien zu Beginn und am Höhepunkt der Pandemie sicher angemessen gewesen, so der Ravensburger. „Jetzt sind sie es nicht mehr. Das Risiko, dass immer mehr Kinder abgehängt werden, steigt mit jeder Woche, in der kein voller Unterricht gegeben wird. Es steigt mit jeder Woche, in der Kinder, die nicht mit fürsorglichen Erziehungsberechtigten aufwachsen, keinen geschützten Ort in Kindergarten oder Schule erfahren.“Das Risiko einer Ansteckung sinke zur Zeit mit jeder Woche. Im Stadtgebiet Ravensburg gebe es seit über drei Wochen keine einzige gemeldete Neuansteckung mehr. „Mir fehlt inzwischen jegliche Fantasie, wie ich meinen Kindern erklären soll, warum sie nicht mit anderen Kindern aus der Stadt in den Kindergarten oder die Schule gehen dürfen.“
Mit dem geplanten 50-Prozent-Unterricht nach den Pfingstferien werde das Recht aller Kinder auf Bildung und Teilhabe nicht eingelöst, so Türck. „Wenn es überhaupt 50 Prozent werden: Es ist nicht gesagt, dass jede zweite Woche wirklich die volle Stundenzahl unterrichtet wird. Im Moment sind es für die 4. Klasse zehn Stunden pro Woche und ein paar Hausaufgaben – das ist ,Schule spielen’.“
Türck betont, dass er kein Gegner der übrigen Eindämmungsmaßnahmen
der Corona-Pandemie ist, im Gegenteil. Die meisten Einschränkungen hält er für sinnvoll: „Gerne bin ich bereit, weiter im Homeoffice und mit wenig Kontakt zu den Arbeitskollegen zu arbeiten. Geschäftsreisen kann ich unterlassen und vieles online erledigen. Wo es erforderlich ist, trage ich Mundschutz und halte gerne den Abstand ein, wo immer es möglich ist. Ich kann auf meinen Chor, auf den Stammtisch und viele private Reisen verzichten. Wir Erwachsenen sollten, wo immer möglich, die Ausbreitung des Virus verhindern. Dann wird das
Risiko sehr gering, dass wir es an die Kinder weitergeben, und es wird keine Verbreitung in den geschlossenen Gruppen in Schule und Kindergarten stattfinden.“
Auf seinen Brief, den Türck vor einer Woche abschickte und den er in Kopie unter anderem auch an den Ravensburger Landtagsabgeordneten Manfred Lucha (Grüne), der gleichzeitig Gesundheitsminister ist, geschickt hat, hat er mittlerweile Antworten erhalten.
So schreibt ein Referent aus Eisenmanns Kultusministerium: „Die Entscheidung,
in welcher Reihenfolge die im Zuge der Corona-Pandemie getroffenen Maßnahmen gelockert werden, ist davon abhängig, welches Risiko für das Infektionsgeschehen mit der entsprechenden Lockerung verbunden ist.“
Bei einer Verbreitung des Virus von Mensch zu Mensch berge die Wiederaufnahme des Schul- und Kindergartenbetriebes ein erhöhtes Risiko für das Infektionsgeschehen. „Aus diesem Grund ist eine Rückkehr zum Regelbetrieb zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht geboten.“
Die Einschränkungen seien unter anderem aufgrund der landesweit geltenden Abstandsregeln notwendig. Diese seien allgemeingültig und müssten entsprechend umgesetzt werden. „Darüber hinaus sind die Schulen auf einheitliche landesweite Regelungen angewiesen, selbst wenn die örtlichen Verhältnisse unterschiedlich sind.“Nachdem das Zwischenergebnis einer neuen Studie vorliegt, sollen Kitas und Schulen aber zumindest Ende Juni wieder öffnen, heißt es aus dem Büro Manne Luchas. „Auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse hat der Ministerpräsident die Kultusministerin gebeten, sowohl für die Kitas wie auch für die Grundschulen umgehend Konzepte für weitere Öffnungsschritte zu entwickeln.“So hätten Eltern und Familien in der Krise eine klare Perspektive der Entlastung. „Gleichwohl gibt es nach wie vor viele blinde Flecken in unserem Wissen über das Virus.
Das gilt beispielsweise auch mit Blick auf mögliche Langzeitfolgen von erkrankten Kindern“, spielt Luchas Büroleiter Hünker Aras auf eine mysteriöse neue Kinderkrankheit an, die dem Kawasaki-Syndrom ähnelt und vor allem in den USA, Italien und Großbritannien Kinder befallen hat, die sich zuvor mit dem Coronavirus infiziert hatten. Am Donnerstag wurde bekannt, dass es auch in Hannover vier erste Fälle gibt. „Deshalb muss der Gesundheits- und Infektionsschutz weiter unsere oberste Richtlinie bleiben. Der Weg der umsichtigen Öffnung ist und bleibt richtig!“, schreibt Aras.