Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit veralteter Technik auf Verbrecher­jagd

Kriminelle operieren internatio­nal, doch Polizeiarb­eit endet oft schon an der Ländergren­ze

- Von Katja Korf

STUTTGART - Kriminelle operieren internatio­nal, doch die Polizeiarb­eit endet zunächst oft an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württember­g: Weil Datenbanke­n und IT aus den 1970er-Jahren stammen, können Beamte wichtige Informatio­nen aus anderen Ländern nicht am Computer abrufen. Seit Jahren fordern Polizisten und Sicherheit­sexperten Abhilfe. Doch bis die Polizei zeitgemäße Computerte­chnik nutzen kann, dauert es noch.

Was für Probleme die alte IT im Alltag der Polizisten aufwirft, zeigt ein fiktives Beispiel: Im württember­gischen Allgäu treten vermehrt Autodiebst­ähle auf, die Polizei sammelt Hinweise zu Tätern. Doch wenn die Beamten schauen wollen, ob und was in Bayern zu ähnlichen Delikten ermittelt wird, können sie diese Informatio­nen nicht einfach am Computer abfragen. Zwar haben sie Zugriff auf „Inpol“. Darin gespeicher­t sind EU-weite Daten zu Personen und Sachen. Wird ein Verdächtig­er zur Fahndung ausgeschri­eben oder ist er wegen einer Straftat verurteilt, findet man dies. Es gibt aber Löschfrist­en – bei Ladendiebs­tahl zwei Jahre, bei Tötungsdel­ikten fünf. Auch wenn etwa ein gestohlene­s Fahrzeug in Baden-Württember­g gesucht wird, erkennen das Polizisten in ganz Deutschlan­d.

Doch zum Beispiel Tatmuster, Spuren und laufende Ermittlung­en gegen Personen sind nicht abrufbar. Solche Informatio­nen speichern die 16 Bundesländ­er und das Bundeskrim­inalamt jeweils einzeln. Noch dazu ist die Software von Land zu Land unterschie­dlich, oft müssen die Beamten für die Suche nach Informatio­nen nacheinand­er mehrere Computerpr­ogramme nutzen. Dabei würde genau das helfen, Muster zu erkennen und Verdächtig­e zu identifizi­eren. „Die Datenbanke­n der Polizeien des Bundes und Länder stammen zum Teil noch aus den 1970er-Jahren. Die Weiterentw­icklung erfolgte technisch und funktional sehr heterogen. Dies erschwert die Administra­tion und Nutzung für die Polizeibea­mtinnen und -beamten“, sagt Jens Lohrer, beim Landeskrim­inalamt Baden-Württember­g mitverantw­ortlich für die Weiterentw­icklung der Datenbanke­n.

Selbst die Bundesregi­erung beschreibt das Problem in drastische­n Worten. In einer Antwort auf eine Anfrage des FDP-Bundestags­abgeordnet­en Benjamin Strasser von Ende 2019 heißt es unter anderem: „Die polizeilic­h relevanten Daten (...) sind für die Polizeibea­mtinnen und -beamten häufig nur über verschiede­ne Anwendunge­n erschließb­ar. Auch der automatisi­erte Austausch der Daten ist (...) nur begrenzt möglich. Dies führt dazu, dass Zusammenhä­nge nur schwer oder gar nicht erkennbar sind.“Nicht zuletzt das war eines der großen Probleme bei der Aufklärung der Morde durch die Rechtsterr­oristen des NSU.

Unter dem vielverspr­echende Titel „Polizei 2020“legten die zuständige­n Minister der Bundesländ­er bereits 2016 Pläne vor. LKA-Mann Lohrer beschreibt das Ziel so: „Polizeibea­mtinnen und -beamte sollen nach Maßgabe der rechtliche­n Vorgaben und unter besonderer Berücksich­tigung des Datenschut­zes zu jeder Zeit und an jedem Ort die für die polizeilic­he Arbeit erforderli­chen Daten zur Verfügung gestellt bekommen.“

Die FDP im baden-württember­gischen Landtag wollte nun wissen, wie es um die Umsetzung des Vorhabens steht. Das Fazit ist ernüchtern­d. Mit Ergebnisse­n ist laut Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) nicht vor 2025 zu rechnen, der Abschluss frühestens 2030 geschafft. „Seit Jahrzehnte­n

ist das Problem eines unzureiche­nden Datenausta­uschs zwischen den Polizeibeh­örden der Bundesländ­er allen Beteiligte­n bekannt. Anstatt es endlich anzupacken, gingen weitere drei Jahre ins Land, in denen man nicht über ‚zahlreiche und umfassende Abstimmung­en‘ hinauskam. Von dieser Trägheit profitiert die Organisier­te Kriminalit­ät, die nicht einmal vor Staaten-, geschweige denn Bundesland­grenzen halt macht“, kritisiert Ulrich Goll, Innenexper­te der FDP.

Manfred Kusterer, Landeschef der Polizeigew­erkschaft GdP, sieht das genauso: „Es geht alles viel zu schleppend.“Das Innenminis­terium in Stuttgart macht dafür vor allem die komplexen Abstimmung­en mit anderen Bundesländ­ern und zwischen den einzelnen Sicherheit­sbehörden verantwort­lich. Doch Kusterer sieht auch im Südwesten Versäumnis­se. Ein großes Problem: Im Land kümmert sich ein eigenes Präsidium um Technik und IT. „Das ist aber ein Nadelöhr. Die Kollegen wollen Verbesseru­ngen umsetzen, aber es fehlt an Personal“, moniert Kusterer.

Dagegen loben andere Polizisten, Baden-Württember­g sei bundesweit mit führend in Sachen IT. Einiges hat sich schon verbessert, etwa bei Straftaten wie Waffen- und Sprengstof­fdelikten oder Schleuserk­riminalitä­t. Hier können Polizisten mittlerwei­le über das Projekt „Piav“bundesweit erfasste Daten zu Ermittlung­en und Personen abrufen. Außerdem soll noch 2020 im Bund und einigen Bundesländ­ern eine neues System starten. Damit können Polizisten grenzüberg­reifend Informatio­nen austausche­n. Das geht bisher oft nur per Mail oder gar Fax.

Ein umfassende­s „Polizei-Google“aber lehnen Datenschüt­zer und Juristen ab. Das Zusammenfü­hren von Informatio­nen in Datenbanke­n birgt Risiken. Ein Beispiel: Wenn Unschuldig­e ins Visier von Ermittlung­en geraten, dürfen diese nicht jahrelang als Verdächtig­e geführt werden. Außerdem bergen solche Datenspeic­her stets die Gefahr, gehackt zu werden. Sind alle Informatio­nen an einem Ort zugänglich, ist der Schaden immens. Eine weitere Frage ist außerdem, ob und wie umfassend Deutschlan­d ausländisc­hen Ermittlern Zugriff gewährt. Schließlic­h gelten anderswo weniger strikte Regeln zum Schutz persönlich­er Daten als hierzuland­e.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Tatmuster, Spuren und laufende Ermittlung­en gegen Personen speichern die 16 Bundesländ­er und das Bundeskrim­inalamt jeweils einzeln. Das erschwert die Arbeit der Polizei.

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