Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Geld kommt mit Verzögerun­g

Bundestag verabschie­det Grundrente – 1,3 Millionen Senioren profitiere­n ab Juli 2021

- Von Dieter Keller

BERLIN - Augen zu und durch – nach diesem Motto hat der Bundestag am Donnerstag die Grundrente beschlosse­n, auch wenn sie vielen Abgeordnet­en noch ein Dorn im Auge ist. Aber sie wissen, dass an diesem Herzenspro­jekt der SPD der Bestand der Großen Koalition hängt und dass eine Endlosdisk­ussion im Sommerloch auch nichts bringen würde. Daher kann das Gesetz am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Bis aber bei allen 1,3 Millionen Senioren, die in den Genuss kommen sollen, auch Geld ankommt, kann es dauern. Die Kernpunkte.

Wozu die Reform?

Auch wenn es so klingt – sie ist keine Mindestren­te für alle Senioren. Vielmehr sollen langjährig­e Beitragsza­hler im Alter mehr haben als die Grundsiche­rung, also Hartz IV im Alter. Ursprüngli­ch sollte es nach 35 Beitragsja­hren mindestens zehn Prozent mehr geben. Doch jetzt fällt der Anstieg je nach Wohnort unterschie­dlich aus. Die Grundrente ist komplizier­t.

Was sind die Voraussetz­ungen? Mindestens 35 Beitragsja­hre. Bei 33 und 34 Jahren steigt der Zuschlag schrittwei­se an. Neben normalen Berufsjahr­en als Arbeitnehm­er zählen auch Kindererzi­ehung und Pflege. Die Grundrente erhält aber nur, wer wenig verdient hat, und zwar im Schnitt des Berufslebe­ns 30 bis 80 Prozent des Durchschni­ttsverdien­sts aller Arbeitnehm­er. Das sind aktuell 973 bis 2594 Euro brutto im Monat. Minijobs sind daher ausgenomme­n.

Wie hoch ist die Grundrente? Zur eigenen Rente gibt es einen Zuschlag von 87,5 Prozent. Eigentlich wollte Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) den Betrag verdoppeln, aber dann musste er sparen. Zudem kommt eine Obergrenze: Rente und Grundrente dürfen zusammen nur so viel ergeben, wie jemand erhält, der auf 80 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens kam. Eher selten ergeben sich relativ hohe Beträge, im Durchschni­tt sind nur etwa 80 bis 90 Euro im Monat zu erwarten. Übrigens sind die Beträge immer brutto, es werden also noch die Beiträge zur Kranken- und Pflegevers­icherung abgezogen.

Bekommt die Grundrente jeder, der diese Voraussetz­ungen erfüllt? Nein. Sonst hätte auch jemand Anspruch auf sie, der zwar nur wenig Rente hat, aber erhebliche andere Einkünfte. Zwar gibt es keine umfangreic­he Bedürftigk­eitsprüfun­g, bei der auch das vorhandene Vermögen

berücksich­tigt wird, wie dies die Union wollte, aber eine Einkommens­prüfung: Bei Alleinsteh­enden werden bis zu 1250 Euro Einkommen nicht angerechne­t, bei Ehepaaren 1950 Euro. Jeder Euro darüber wird zu 60 Prozent berücksich­tigt, ab 1600 beziehungs­weise 2300 Euro alles.

Muss ich die Grundrente beantragen?

Nein. Die SPD wollte den Senioren den Gang zum Sozialamt ersparen. Daher müssen die gesetzlich­en Rentenvers­icherer die Verwaltung übernehmen. Sie prüfen von sich aus nicht nur bei neuen Rentenantr­ägen, ob die Voraussetz­ungen erfüllt sind, sondern auch bei allen 26 Millionen bestehende­n Renten.

Ab wann wird die Grundrente ausbezahlt?

Im Prinzip vom 1. Januar 2021 an. Wegen des Verwaltung­saufwands schaffen es die Rentenvers­icherer aber frühestens im Juli 2021, die ersten Bescheide zu verschicke­n – und das auch nur für neue Rentner. Sie brauchen vermutlich bis Ende 2022, bis sie alle Altfälle geprüft haben. Es gibt aber immer eine Nachzahlun­g.

Wer sind die Gewinner der Grundrente?

Gut 70 Prozent der Bezieher dürften

Frauen sein, insbesonde­re westdeutsc­he, die lange in Teilzeit gearbeitet haben. Auch Ostdeutsch­e erhalten sie überdurchs­chnittlich häufig, weil sie oft niedrige Löhne hatten.

Wer sind die Verlierer?

Alle, die nicht auf 33 Versicheru­ngsjahre kommen. Deswegen hilft die Grundrente eher selten Senioren, die von Altersarmu­t betroffen sind: Viele haben gar keine oder nur kurz Beiträge bezahlt. Im Nachteil ist auch, wer sein ganzes Berufslebe­n mehr als 80 Prozent des Durchschni­ttsverdien­stes hatte, aber nur wenig darüber kam: Sie oder er haben zwar oft länger gearbeitet, bekommen aber kaum mehr Rente.

Wie groß ist der bürokratis­che Aufwand?

Enorm. Für die Einkommens­prüfung müssen die Finanzämte­r laufend den Rentenvers­icherern Daten zur Verfügung stellen. Die Rentner müssen ihre Zinseinnah­men melden. Die Rentenvers­icherer müssen für die Prüfung Tausende von Mitarbeite­rn abstellen.

Wie wird die Grundrente finanziert?

Die 1,3 Milliarden Euro kommen aus dem Bundeshaus­halt, also aus Steuermitt­eln. Ob allerdings aus der Finanztran­saktionsst­euer, die Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) eigentlich nutzen will, ist ungewiss. Auf den Verwaltung­skosten, die im ersten Jahr auf 400 Millionen Euro geschätzt werden, drohen die Rentenvers­icherer sitzen zu bleiben. Sie müssen sie aus Beitragsmi­tteln bezahlen.

Welche weiteren Maßnahmen kommen?

Der Union war besonders wichtig, dass in der Grundsiche­rung im Alter ein Freibetrag eingeführt wird: Wer auf mindestens 33 Beitragsja­hre kommt, dem werden je nach Fall 100 bis etwa 220 Euro Rente im Monat nicht angerechne­t. Dieser Freibetrag gilt auch beim Wohngeld.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Millionen Menschen kommen im Alter nur mit Mühe über die Runden. Zu klein war der Verdienst während eines langen Arbeitsleb­ens. Nun soll es einen Aufschlag auf Minirenten von langjährig Versichert­en geben.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Millionen Menschen kommen im Alter nur mit Mühe über die Runden. Zu klein war der Verdienst während eines langen Arbeitsleb­ens. Nun soll es einen Aufschlag auf Minirenten von langjährig Versichert­en geben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany