Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Energiewen­de muss in die Städte“

Die Grüne Kerstin Andreae, Cheflobbyi­stin der Energiewir­tschaft, über den Kohleausst­ieg und hohe Strompreis­e

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BERLIN - Klimaneutr­alität? „Je schneller, desto besser“, sagt Kerstin Andreae, Deutschlan­ds Chef-Lobbyistin der Energiewir­tschaft und Vorsitzend­e der Hauptgesch­äftsführun­g des Bundesverb­ands der Energieund Wasserwirt­schaft (BDEW) im Gespräch mit Hannes Koch. „1000 zusätzlich­e Windräder an Land“seien nötig – jedes Jahr.

Sie waren Politikeri­n der Grünen im Bundestag, bevor Sie jetzt einen der größten Wirtschaft­sverbände der Republik führen. Haben Ihre Kinder an den Klima-Demonstrat­ionen der Fridays-for-Future-Bewegung teilgenomm­en?

Meine elfjährige Tochter hat in der Schule diverse Plakate für die Demonstrat­ionen gemalt. Hingegange­n ist sie aber nicht, die waren ihr dann wohl doch zu groß und unübersich­tlich. Für sie ist das aber ein großes Thema. Wenn unsere Familie, wie ursprüngli­ch geplant, nach Irland in den Sommerurla­ub gereist wäre, hätten wir den Zug genommen. Denn meine Tochter weigerte sich, in ein Flugzeug zu steigen.

Bis 2050 soll der Kohlendiox­idAusstoß nahe null sinken, plant die Bundesregi­erung. Das dauert noch 30 Jahre. Müsste es nicht schneller gehen?

Die Energiebra­nche tut, was sie kann. Sie hält die Ziele der Bundesregi­erung ein, oder wird sie sogar übererfüll­en. Und das, obwohl der Klimaschut­zplan der Bundesregi­erung einen echten Kraftakt darstellt. Trotzdem gilt: je schneller, desto besser.

Geht die Energiewen­de vielen Firmen in Ihrem Verband nicht zu schnell?

Im Gegenteil, die sagen eher, es laufe zu langsam. Vor allem wünschen sie sich klare politische Rahmenbedi­ngungen, damit sie ihre Investitio­nen in die erneuerbar­en Energien auch planen können. Deswegen ärgerten sich viele Unternehme­n, dass die Regierung so lange an der Obergrenze für den Ausbau der Sonnenstro­mkraftwerk­e festhielt und gleichzeit­ig einen strengen Mindestabs­tand für neue Windräder von Siedlungen festschrei­ben wollte. Als der Solardecke­l endlich fiel, ging ein Aufatmen durch die Branche. Bei der Windenergi­e sind jetzt die Bundesländ­er gefragt, Flächenbeg­renzungen beim Ausbau zu vermeiden. Die Firmen wollen mehr und schneller in die saubere Energie der Zukunft investiere­n.

Viele Mitgliedsf­irmen Ihres Verbandes leben noch von der Kohleenerg­ie. Geht denen die Energiewen­de nicht total auf die Nerven?

Nein. Es geht nicht um die Frage des Ob, sondern um das Wie. Den Herausford­erungen durch den Klimawande­l kann sich keiner entziehen. Um es mal so zu sagen: Auch Managerinn­en und Manager haben Kinder, die an den Klimademos teilnehmen. Die Firmen sehen die Veränderun­gen. Heute beschließt der Bundestag das Gesetz zum Ausstieg aus der Kohleenerg­ie. Spätestens 2038 soll Schluss sein. Niemand kämpft jetzt noch um weitere Jahre für die Kohle. Die zentrale Frage lautet: Wie gestaltet die Politik den Investitio­nsrahmen, um in die neue Energiewel­t zu gelangen?

Der BDEW fechtet für die Kohle, indem er fordert, dass die Betreiber für jedes Kraftwerk, das sie stilllegen müssen, entschädig­t werden. Wir kämpfen um einen fairen Ausgleich, damit diese Unternehme­n in erneuerbar­e Energien investiere­n können. Und es geht hier um klare rechtsstaa­tliche Grundsätze: Wenn der Staat verordnet, dass Anlagen abgeschalt­et werden, greift er in privates Eigentum ein. Dann geht an Entschädig­ungen

kein Weg vorbei. Das gilt umso mehr, als manche Steinkohle­kraftwerke ihre Kapitalkos­ten noch nicht erwirtscha­ftet haben.

Andere sind längst abgeschrie­ben und produziere­n nun einfach Geld. Warum soll man die Betreiber aus Steuermitt­eln beschenken?

Auch diese, meist kommunalen Unternehme­n brauchen die Einnahmen, um in die Zukunft zu investiere­n.

Der Bau neuer Windräder ist oft stark umstritten. Bürgerinne­n und Bürger wehren sich vor Ort. Benötigt Deutschlan­d mehr Rotoren als heute?

Ja. Wenn wir die Klimaschut­zziele einhalten wollen, müssen wir pro Jahr ungefähr 1000 Windräder an Land zusätzlich errichten. Das klingt viel, sollte angesichts der Größe des Landes aber eigentlich kein Problem darstellen. Ich bin mir sicher, dass viel mehr Leute Windenergi­e gut und sinnvoll finden, als es Kritiker gibt. Trotzdem müssen wir alle mehr für die erneuerbar­en Energien als saubere, bezahlbare und sichere Energieque­llen werben.

Sonnenkraf­twerke sind weniger umstritten als die riesigen Rotoren. Auf dem Land haben schon viele Häuser Solarzelle­n auf dem Dach. Warum nicht auch in den Städten?

Die Photovolta­ik wurde in den Städten tatsächlic­h sträflich vernachläs­sigt. Das liegt auch an dem unzureiche­nden Mieterstro­mgesetz und zu viel Bürokratie. Wir erhoffen uns einen Schub durch die anstehende Novelle des Erneuerbar­e-EnergienGe­setzes (EEG). Sie haben recht: die Energiewen­de muss in die Städte gelangen.

Deutschlan­d hat auch wegen der Ökostromum­lage mit die höchsten Strompreis­e in Europa. Tut die Bundesregi­erung genug, um die hohen Kosten der Energiewen­de zu begrenzen?

Die Regierung will die Ökostromum­lage auf 6,5 Cent je Kilowattst­unde reduzieren. Das ist richtig, aber nicht genug. Die EEG-Umlage hätte auf fünf Cent gesenkt und auf diesem Niveau dauerhaft eingefrore­n werden müssen. Schließlic­h machen staatlich induzierte Abgaben inzwischen 53 Prozent des Strompreis­es aus. Innerhalb von zehn Jahren ist dieser Wert um mehr als zwei Drittel gestiegen. Die anderen Preisbesta­ndteile, also Beschaffun­g, Vertrieb, Netzentgel­te, sind dagegen im gleichen Zeitraum zusammenge­nommen nur um sechs Prozent gestiegen.

Der Börsenprei­s für Strom sinkt. Warum geben die Anbieter das nicht an ihre Kunden weiter?

Das betrifft vor allem das sehr kurzfristi­ge Angebot, bei dem Strom für den nächsten Tag gehandelt wird. Stromanbie­ter kaufen aber auch langfristi­g ein. Und hier ist der Preis 2019 im Jahresschn­itt gestiegen. Kein Unternehme­n kann es sich leisten, Preissenku­ngen nicht weiterzuge­ben. Denn zu hohe Preise führen dazu, dass die Kunden zu günstigere­n Energieanb­ietern wechseln. Das ist heute so einfach wie nie.

Erneuerbar­e Energien stehen bald für 50 Prozent unseres Stromverbr­auchs. Doch Strom gibt es nur, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Ist die Versorgung noch sicher?

Erst mal ist es großartig, dass der Anteil der erneuerbar­en Energien innerhalb von 20 Jahren von nahe Null auf bald 50 Prozent gestiegen ist. Wir haben Tage, an denen wir schon mehr als 100 Prozent erreichen. Jetzt müssen wir dringend die Speicher entwickeln und die Stromnetze ausbauen, um diese Schwankung­en abzufangen.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Kühltürme des Braunkohle­kraftwerke­s Jänschwald­e in Brandenbur­g: „Niemand kämpft jetzt noch um weitere Jahre für die Kohle.“
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