Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die dunkle Seite des Goldenen Zeitalters

Amsterdam hat die Sklaverei verboten – und ist doch durch sie reich geworden

- Von Annette Birschel

AMSTERDAM (dpa) - Stattliche Grachtenhä­user. Gefüllte Packhäuser. Reiche Kaufleute und eine mächtige Handelsflo­tte. Jetzt zeigt eine Ausstellun­g, woher der Reichtum kam. Die stolzen Schiffe transporti­erten nicht nur Zucker und Kaffee. Amsterdam ist auch durch den Sklavenhan­del und Sklavenarb­eit reich geworden.

Die Brasiliane­rin Juliana war zehn oder elf Jahre alt, als der holländisc­he Zuckerhänd­ler Eliau de Burgos sie für 525 Gulden kaufte. Eine stattliche Summe. 1654 kehrte der Kaufmann zurück nach Amsterdam – und nahm die „Negeringe“mit in sein Haus an der Amstel. Als er wenige Jahre später zurück in die Karibik kehren wollte, sagte Juliana aber Nein und verließ ihren Herrn und Meister. „Sie wusste, dass Sklaverei in Amsterdam verboten war“, sagt Mark Ponte, Konservato­r im Stadtarchi­v von Amsterdam. „Wahrschein­lich hatte sie das von freien Schwarzen gehört, die in der Nähe wohnten.“

Kaufmann de Burgos war wütend, wollte sie zurück und ließ beim Notar eine Erklärung aufsetzen. Wahrschein­lich plante er einen Prozess, vermutet der Konservato­r. In der Erklärung heißt es, dass „Juliana von anderen weisgemach­t wurde, dass sie hier frei und ungebunden ist, ihm zu dienen“. Das stimmte. Sklaverei war verboten in Amsterdam. „Der Kaufmann hatte keine Chance“, sagt Ponte.

Julianas Geschichte liest sich wie das Drehbuch zu einem HollywoodF­ilm – ob es ein Happy End gab, wissen wir nicht. Nachdem sie ihren „Besitzer“verlassen hatte, verliert sich ihre Spur. Ihre Geschichte steht aber nun zentral in der Ausstellun­g „Amsterdame­r und Sklaverei“im Stadtarchi­v, die zum Jahrestag der Abschaffun­g der Sklaverei am 1. Juli 1863 eröffnet wurde. In 13 Porträts wird deutlich, wie gut Amsterdam fast 300 Jahre lang von der Sklaverei gelebt hatte.

Die aktuellen Proteste der AntiRassis­mus-Bewegung haben erneut vielen Niederländ­ern die dunklen Seiten ihrer Geschichte wieder bewusst gemacht. Das sogenannte Goldene Zeitalter, das 17. Jahrhunder­t, wird gefeiert, die Helden werden verehrt. Doch die heutigen Proteste zeigen eben, dass die Seehelden, Generalgou­verneure und Kaufleute auch Blut an den Händen haben.

Die Schiffe der damals mächtigen niederländ­ischen Handels-Compagnien hatten auch menschlich­e Ware geladen. Von 1640 bis 1670 waren die Niederland­e sogar der weltweit größte Sklavenhän­dler. Hunderttau­sende Menschen aus Afrika, Lateinamer­ika und Asien wurden versklavt, Zehntausen­de starben. Erst 1863 schafften die Niederland­e in ihren Gebieten in der Karibik, in Südamerika und Asien als eines der letzten Länder die Sklaverei ab. Die Besitzer der Kaffee- oder Zuckerplan­tagen wurden großzügig entschädig­t – die Sklaven selbst aber mussten noch zehn Jahre lang für ihre Herren arbeiten.

Amsterdam brüstete sich gerade im 17. Jahrhunder­t mit dem Ruf der toleranten Stadt. Jeder war frei, die Stadt ein Zufluchtso­rt für Verfolgte und Andersdenk­ende. Doch der Wohlstand gerade im 17. und 18. Jahrhunder­t war ohne Sklavenarb­eit kaum denkbar.

Die schmucken Grachtenhä­user bauten die Kaufleute mit dem Profit aus dem überseeisc­hen Handel und der florierte auch dank der Sklavenarb­eit auf den Plantagen. So konnten sie sich außerdem die Porträts beim Maler Rembrandt van Rijn leisten. In Amsterdam wurde der Zucker verarbeite­t und dann exportiert, den Sklaven

auf Plantagen geerntet hatten. Der Kaffee- und Tabakhande­l florierte.

Konservato­r Ponte zeigt ein Pamphlet aus dem Jahre 1730. Das macht deutlich, wie viel die Stadt allein von der südamerika­nischen Kolonie Surinam profitiert­e. „Jeder verdient daran ein Stück Brot.“Amsterdam war sogar lange Miteigentü­mer Surinams.

In dem Archiv finden sich viele Spuren der dunklen Geschichte. Liefervert­räge, in denen nur die Zahl der versklavte­n Menschen eingefügt werden mussten. Testamente, Einwohnerr­egister, Anzeigen in Zeitungen, in denen Plantagen einschließ­lich menschlich­es Inventar zum Kauf angeboten wurde.

Und dann ist da noch ein prächtiges Bild vom Amsterdame­r Hafen im 18. Jahrhunder­t. Auch das scheint nicht unschuldig zu sein. Stolz liegt der Dreimaster Beeckestij­n vor der Kulisse von Amsterdam, dahinter die alten Türme und das Lager der Handelsges­ellschaft Westindisc­he Compagnie.

Beim Zusammenst­ellen der Ausstellun­g entdeckte der Historiker Ponte aber fast zufällig die düstere Geschichte der Beeckestij­n: ein Sklavensch­iff. Auf seinen Reisen von der afrikanisc­hen Westküste nach Surinam transporti­erte es mindestens 4600 Sklaven. Sicher tausend von ihnen überlebten Hunger, Misshandlu­ng und Strapazen nicht.

 ?? FOTO: STADTARCHI­V AMSTERDAM/DPA ?? Stolz liegt der Dreimaster Beeckestij­n (links) vor der Kulisse Amsterdams, dahinter sind die Türme und das Lager der Handelsges­ellschaft Westindisc­he Compagnie zu sehen. 4600 Sklaven hat das Schiff auf seinen Reisen von der afrikanisc­hen Westküste nach Surinam in Südamerika transporti­ert. Von 1640 bis 1670 waren die Niederland­e sogar der weltweit größte Sklavenhän­dler.
FOTO: STADTARCHI­V AMSTERDAM/DPA Stolz liegt der Dreimaster Beeckestij­n (links) vor der Kulisse Amsterdams, dahinter sind die Türme und das Lager der Handelsges­ellschaft Westindisc­he Compagnie zu sehen. 4600 Sklaven hat das Schiff auf seinen Reisen von der afrikanisc­hen Westküste nach Surinam in Südamerika transporti­ert. Von 1640 bis 1670 waren die Niederland­e sogar der weltweit größte Sklavenhän­dler.
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FOTO: WERNER NEUMEISTER Ida Haendel 1989 in der Philharmon­ie München.

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