Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schubert wie verwandelt
Der Schweizer Komponist und Dirigent Heinz Holliger hat 2015 begonnen, mit dem Kammerorchester Basel, dem er über viele Jahre verbunden ist, Schuberts Sinfonien aufzuführen und aufzunehmen. Die Spielweise, auch die Wahl der Instrumente ist historisch informiert. Aber Holliger schätzt diesen Begriff nicht. Und beim Anhören der CDs bekommt man auch den Eindruck, dass Holligers Schubert nicht historische Klangräume aufsucht, sondern zukunftsorientiert ausgerichtet ist.
Wenn man den ersten Ton ernst nimmt, der von diesen Schubert-Einspielungen zu hören ist – es ist die Ouvertüre „Zauberharfe“– dann muss man sagen: Diese Einspielungen wollen nicht „schön“sein. Sie setzen nicht auf herzbewegende Zauberklänge, auch nicht auf die Dramatik großer Orchester. Holliger erkennt in Schubert einen Beleuchter. Er will zeigen, wie sich dessen Melodien verwandeln, „in ständig wechselnder Beleuchtung und vielfältiger Schattierung“.
Dieses Interesse bewegt sich nicht in den üblichen Bahnen von Schubert-Interpretationen. So verwundert man beim ersten Hören der programmatisch vorgestellten Großen C-Dur-Sinfonie auch sein mag, umso mehr stellt sich nach wiederholtem Hören der Eindruck ein, dass man nun verdorben ist für gängige Interpretationen dieses Werks. Die jüngste, soeben erschienene Aufnahme geht Schuberts Reaktionen auf den Erfolg nach, den Rossini in den 1820er-Jahren in Wien erzielt hatte. Holligers Interpretation der 6. Schubert-Sinfonie, die hier zu hören ist, will immer noch nicht aus dem Orchester eine „Zauberharfe“machen. Aber mit ihrem Sinn für das Verhältnis von Nähe und Distanz zum routinierten italienischen Vorbild ist sie wirklich zauberhaft. (man)