Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Heidenheim öffnet die Tür zur Bundesliga
Beim 0:0 im Relegationshinspiel in Bremen ist der Zweitligist sogar leicht überlegen
BREMEN - Eine Stadt schmückt sich. Gibt es was zu feiern? Nicht an diesem Mittwochabend für Bremen um sein Werder Bremen. Nach den 0:0 im Relegations-Hinspiel zur Fußball-Bundesliga darf sich der 1. FC Heidenheim nach einer couragierten Leistung gegen schwache Bremer freuen. Vor allem auf das Rückspiel an diesem Montag in Heidenheim. Ob es dann was zu feiern gibt, bleibt abzuwarten. Ohne Gegentor hat sich der Zweitligist eine aussichtsreiche Position verschafft.
Die Stadt hatte sich an diesem Mittwoch auf jeden Fall herausgeputzt für ihr Werder Bremen. „Farbe bekennen: Bremen ist Grün-Weiß“, stand da zum Beispiel geschrieben auf einem Banner, unschwer zu erkennen auf dem Weg durch die fußballverrückte Stadt über den Weserdeich zum wundersamen Bremer Weserstadion.
Grün-Weiße Fahnen an Masten, in Fenstern, Girlanden, nur wenige Menschen vor dem Stadion, zumindest vor dem Anstoß zu diesen wichtigen Spielen in Zeiten der Corona-Pandemie. Werder Bremen hat was zu retten, der 1. FC Heidenheim was zu erreichen.
Und Frank Schmidt, der mit seinen Relegationshelden von der Ostalb aufmarschierte, der Trainer der Heidenheimer, hatte eine faustdicke Überraschung parat mit seine Aufstellung. Der 19-jährige defensive Mittelfeldmann Kevin Sessa (Spitzname „Diego“), bisher mit 15 Zweitliga-Minuten versehen, stand in der Startelf. Dazu noch unerwartet Maurice Multhaup und Norman Theuerkauf. Konstantin Kerschbaumer, David Otto und Jonas Föhrenbach rotierten auf die Bank, also Tribüne. Dort nahm auch Clublegende Marc Schnatterer (34) seinen Platz ein. Werder Legende Claudio Pizarro (41) übrigens auch.
Viele Experten hatten sich schon im Vorfeld der beiden Rettungsspiele festgelegt: Werder schafft das, vermeintliche Qualität und ein 6:1-Sieg im letzten regulären Saisonspiel gegen den 1. FC Köln sprachen für das Team von Trainer Florian Kohfeldt, das ja der derzeitige Bundesliga-Dino ist und eben nicht nach 40 Jahren in die 2. Liga absteigen wollte.
Die Heidenheimer haben die Chance ihres Lebens, von dort erneut aufzusteigen, schon das Erreichen der Relegation bedeutete den größten Erfolg der Vereinsgeschichte, die im Vergleich zu Werder herzlich wenig
Titel vorzuweisen hat, aber dafür einen außergewöhnlichen Weg zu einem ernsthaften Bundesliga-Kandidaten.
Werder war der klare Favorit. „Ihr habt die Chance, die Stadt glücklich zu machen“, sagte Stadionsprecher Arndt Zeigler, danach herrschte ein kurzer, fast andächtiger Moment, gespenstische Stille. Doch mit dem Abpfiff brüllten sie los, die beiden Lager,
Ersatzspieler und Delegation, sogar Trommeln waren zu hören, und Jochen Kreitten, Marketingmann beim FCH, ließ eine Kuhglocke bimmeln. Zuerst aber war Holger Sanwald zu hören. Auf geht‘s Männer“, brüllte der Vorstandsvorsitzende des FCH.
Kohfeldt hatte nach einer halben Stunde schon gefühlt 30 Kaugummis durch. Heidenheim machte es ordentlich, machte er vor allen Dingen eng, auch mit Sessa, sodass Bremen sein gefürchtete Tempo gar nicht erst aufnehmen konnte. Die Ostälbler agierten griffig, ganz anders noch als bei der 0:3-Niederlage in Bielefeld und setzten Konter. Tim Kleindiensts Schuss (24.) parierte Werder-Schlussmann Jiri Pavlenka, auch Multhaup wollte schießen, verzog jedoch (31.). Es war in der ersten Halbzeit eines dieser Spiele, in denen man nicht gerne gegen die aufopferungsvoll kämpfenden Heidenheimer spielt, und so hatte Bremen wenig anzubieten.
Nach einer Stunde setzte die Sinnflut ein. Im 20-minütigen Dauerregen gefiel es Heidenheim offenbar richtig gut und Werder gar nicht, der Außenseiter blieb eklig in der Defensive und forsch in der Offensive und lief unheimlich viel, der Favorit einfallslos. Ein Kopfball von Yuya Osako flog immerhin in Tornähe, doch auch da musste FCH-Torwart Kevin Müller nicht eingreifen (78.). Die Heidenheimer feierten jede Aktion, die den Bremern nicht gelang. Und das waren viele. Werder-Kapitän Niklas Moisander sah noch die Gelb-Rote Karte (87.), und in der Nachspielzeit vergab Timo Beermann die größte FCH-Chance, sein Kopfball nach einem Eckball des eingewechselten Kapitän Schnatterer landete knapp neben dem Tor. Danach bejubelten die FCHler das 0:0.
Schnatterer war zufrieden: „Das war wirklich gut, aber auch nur die Hälfte von dem Ganzen. Wir wollten es so hinbekommen, dass wir jetzt wirklich ein Finale daheim haben. Das ist uns gelungen mit einem Ergebnis, wo alles offen ist. Das haben uns wenige zugetraut. Wir sind bereit, am Montag alles reinzuhauen, um dann die Sensation oder das Wunder anzugehen.“Kohfeldt dagegen zürnte: „Es war ein sehr schlechtes Spiel von uns. Wir haben es nicht geschafft, die Lösungen zu spielen. Es war chancenarm, von uns war es zu wenig. Der einzige Vorteil ist, dass es 0:0 zur Halbzeit steht. Heidenheim hat kein Auswärtstor geschossen.“