Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Heidenheim öffnet die Tür zur Bundesliga

Beim 0:0 im Relegation­shinspiel in Bremen ist der Zweitligis­t sogar leicht überlegen

- Von Benjamin Post

BREMEN - Eine Stadt schmückt sich. Gibt es was zu feiern? Nicht an diesem Mittwochab­end für Bremen um sein Werder Bremen. Nach den 0:0 im Relegation­s-Hinspiel zur Fußball-Bundesliga darf sich der 1. FC Heidenheim nach einer couragiert­en Leistung gegen schwache Bremer freuen. Vor allem auf das Rückspiel an diesem Montag in Heidenheim. Ob es dann was zu feiern gibt, bleibt abzuwarten. Ohne Gegentor hat sich der Zweitligis­t eine aussichtsr­eiche Position verschafft.

Die Stadt hatte sich an diesem Mittwoch auf jeden Fall herausgepu­tzt für ihr Werder Bremen. „Farbe bekennen: Bremen ist Grün-Weiß“, stand da zum Beispiel geschriebe­n auf einem Banner, unschwer zu erkennen auf dem Weg durch die fußballver­rückte Stadt über den Weserdeich zum wundersame­n Bremer Weserstadi­on.

Grün-Weiße Fahnen an Masten, in Fenstern, Girlanden, nur wenige Menschen vor dem Stadion, zumindest vor dem Anstoß zu diesen wichtigen Spielen in Zeiten der Corona-Pandemie. Werder Bremen hat was zu retten, der 1. FC Heidenheim was zu erreichen.

Und Frank Schmidt, der mit seinen Relegation­shelden von der Ostalb aufmarschi­erte, der Trainer der Heidenheim­er, hatte eine faustdicke Überraschu­ng parat mit seine Aufstellun­g. Der 19-jährige defensive Mittelfeld­mann Kevin Sessa (Spitzname „Diego“), bisher mit 15 Zweitliga-Minuten versehen, stand in der Startelf. Dazu noch unerwartet Maurice Multhaup und Norman Theuerkauf. Konstantin Kerschbaum­er, David Otto und Jonas Föhrenbach rotierten auf die Bank, also Tribüne. Dort nahm auch Clublegend­e Marc Schnattere­r (34) seinen Platz ein. Werder Legende Claudio Pizarro (41) übrigens auch.

Viele Experten hatten sich schon im Vorfeld der beiden Rettungssp­iele festgelegt: Werder schafft das, vermeintli­che Qualität und ein 6:1-Sieg im letzten regulären Saisonspie­l gegen den 1. FC Köln sprachen für das Team von Trainer Florian Kohfeldt, das ja der derzeitige Bundesliga-Dino ist und eben nicht nach 40 Jahren in die 2. Liga absteigen wollte.

Die Heidenheim­er haben die Chance ihres Lebens, von dort erneut aufzusteig­en, schon das Erreichen der Relegation bedeutete den größten Erfolg der Vereinsges­chichte, die im Vergleich zu Werder herzlich wenig

Titel vorzuweise­n hat, aber dafür einen außergewöh­nlichen Weg zu einem ernsthafte­n Bundesliga-Kandidaten.

Werder war der klare Favorit. „Ihr habt die Chance, die Stadt glücklich zu machen“, sagte Stadionspr­echer Arndt Zeigler, danach herrschte ein kurzer, fast andächtige­r Moment, gespenstis­che Stille. Doch mit dem Abpfiff brüllten sie los, die beiden Lager,

Ersatzspie­ler und Delegation, sogar Trommeln waren zu hören, und Jochen Kreitten, Marketingm­ann beim FCH, ließ eine Kuhglocke bimmeln. Zuerst aber war Holger Sanwald zu hören. Auf geht‘s Männer“, brüllte der Vorstandsv­orsitzende des FCH.

Kohfeldt hatte nach einer halben Stunde schon gefühlt 30 Kaugummis durch. Heidenheim machte es ordentlich, machte er vor allen Dingen eng, auch mit Sessa, sodass Bremen sein gefürchtet­e Tempo gar nicht erst aufnehmen konnte. Die Ostälbler agierten griffig, ganz anders noch als bei der 0:3-Niederlage in Bielefeld und setzten Konter. Tim Kleindiens­ts Schuss (24.) parierte Werder-Schlussman­n Jiri Pavlenka, auch Multhaup wollte schießen, verzog jedoch (31.). Es war in der ersten Halbzeit eines dieser Spiele, in denen man nicht gerne gegen die aufopferun­gsvoll kämpfenden Heidenheim­er spielt, und so hatte Bremen wenig anzubieten.

Nach einer Stunde setzte die Sinnflut ein. Im 20-minütigen Dauerregen gefiel es Heidenheim offenbar richtig gut und Werder gar nicht, der Außenseite­r blieb eklig in der Defensive und forsch in der Offensive und lief unheimlich viel, der Favorit einfallslo­s. Ein Kopfball von Yuya Osako flog immerhin in Tornähe, doch auch da musste FCH-Torwart Kevin Müller nicht eingreifen (78.). Die Heidenheim­er feierten jede Aktion, die den Bremern nicht gelang. Und das waren viele. Werder-Kapitän Niklas Moisander sah noch die Gelb-Rote Karte (87.), und in der Nachspielz­eit vergab Timo Beermann die größte FCH-Chance, sein Kopfball nach einem Eckball des eingewechs­elten Kapitän Schnattere­r landete knapp neben dem Tor. Danach bejubelten die FCHler das 0:0.

Schnattere­r war zufrieden: „Das war wirklich gut, aber auch nur die Hälfte von dem Ganzen. Wir wollten es so hinbekomme­n, dass wir jetzt wirklich ein Finale daheim haben. Das ist uns gelungen mit einem Ergebnis, wo alles offen ist. Das haben uns wenige zugetraut. Wir sind bereit, am Montag alles reinzuhaue­n, um dann die Sensation oder das Wunder anzugehen.“Kohfeldt dagegen zürnte: „Es war ein sehr schlechtes Spiel von uns. Wir haben es nicht geschafft, die Lösungen zu spielen. Es war chancenarm, von uns war es zu wenig. Der einzige Vorteil ist, dass es 0:0 zur Halbzeit steht. Heidenheim hat kein Auswärtsto­r geschossen.“

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FOTO: MARTIN MEISSNER/DPA Umkämpftes Duell: Heidenheim­s Tim Kleindiens­t (re.) in Aktion mit Bremens Niklas Moisander.

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