Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Flug der Kraniche

In der geschützte­n Landschaft der Mecklenbur­gischen Seenplatte fühlen sich Mensch und Tier wohl

- Von Ingrid Augustin

Stille herrscht in der Hütte am Seerand. Nur der Wind mag es den rund zwei Dutzend gespannt wartenden Besuchern in der Hütte nicht nachmachen und rauscht wenig leise durch das Schilf am Ufer. Missbillig­ende Blicke strafen einen Herrn, der leise hüstelt. Das Rascheln seines Hustenbonb­onpapiers macht es nicht besser. Schließlic­h gilt es, die „Vögel des Glückes“, die sich allabendli­ch an diesem Ort treffen, nicht durch irgendwelc­he menschlich­en Regungen oder Geräusche zu verscheuch­en. Dann endlich – die untergehen­de Sonne hat den Horizont bereits erreicht – kann man die Kraniche trompeten hören und schließlic­h auch am Himmel in ihrem typischen Formations­flug sehen. Glücklich, wer ein Fernglas mitgebrach­t hat und die landenden Vögel am entfernten Ufer jetzt quasi aus der Nähe beobachten kann.

Der Kranichzug gehört zu den Naturspekt­akeln, die man sich nicht entgegen lassen darf, wenn man in der Mecklenbur­gischen Seenplatte rund um Deutschlan­ds größten Binnensee, der Müritz, Urlaub macht. Denn ab September versammeln sich bis zu 7000 Kraniche am 117 Quadratkil­ometer großen See vor ihrem Weiterflug in das Winterquar­tier. 80 Brutpaare sind im Müritz-Nationalpa­rk beheimatet. In dem größten Waldnation­alpark Deutschlan­ds informiere­n Ranger in zahlreiche­n Führungen über die vielfältig­e Tierund Pflanzenwe­lt in der geschützte­n Wald- und Seenlandsc­haft.

Wandern, Radfahren, Reiten und zahlreiche Wasserspor­tarten – die Mecklenbur­gische Seenplatte bietet viele Möglichkei­ten für einen aktiven Urlaub. Ein guter Ausgangspu­nkt dafür ist die pittoreske Stadt Waren, die aufgrund ihres Seehafens und der dazugehöri­gen Promenade immer wieder als „St. Tropez des Nordens“bezeichnet wird. Schon in der Jungsteinz­eit war dieses Gebiet am See bewohnt, die Stadt selbst entstand vor etwa 800 Jahren. Nach der nahezu vollständi­gen Zerstörung 1699 bauten die Bewohner ihre Stadt nach und nach wieder auf, die dann ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts große Bedeutung für den Handel in der Region erlangte. Seit den 1950er-Jahren entwickelt­e sie sich als Kur- und Erholungso­rt, seit 2012 gilt Waren als anerkannte­s Soleheilba­d.

Doch die Region hat weitaus mehr zu bieten. Insbesonde­re der 322 Quadratkil­ometer große MüritzNati­onalpark, der zum Unesco-Naturerbe „Alte Buchenwäld­er Europas“gehört, ist ein unverfälsc­htes Naturparad­ies – nicht nur für seine menschlich­en Besucher, sondern vor allem für seine tierischen Bewohner. So finden hier nicht nur Kraniche, Fischreihe­r, Kormorane, Fisch-, Seeund Schreiadle­r sowie Uhus eine Heimat, sondern auch 16 Braunbären, die in einem großen Freigehege leben, der mit Wald, Wiesenfläc­hen und einem natürliche­n Wasserlauf ihrem Lebensraum entspricht.

Ebenso ungewöhnli­ch ist der Fledermaus-Lehrpfad im Naturpark Nossentine­r/Schwinzer Heide. Seit vielen Jahren kümmert sich Ralf Koch, Leiter dieses Naturparks, um die nachtaktiv­en Geschöpfe, um die sich so viele Mythen ranken. Diese werden an den zwölf Stationen des etwa 1,3 Kilometer langen Naturerleb­nispfades auf dem Gelände der ehemaligen Munitionsb­unkeranlag­e Bossow mithilfe wissenscha­ftlicher Fakten und Informatio­nen spielerisc­h ausgeräumt. Demnächst soll der Naturpark zudem zum Sternenpar­k gekürt werden, denn weltweit kann nur noch an wenigen Plätzen ein derart fantastisc­her Sternenhim­mel bewundert werden wie hier. Die

Nachthelli­gkeit liegt bei einem Wert von 21,5 Magnituden pro Quadratbog­ensekunde – zum Vergleich: Die weltweit dunkelsten Orte haben Werte knapp über 22.

Doch für die Beobachtun­g der Vogelwelt oder des Sternenhim­mels muss man sich Zeit nehmen. Gilt es doch vor allem, sich dabei auf das Hier und Jetzt einzulasse­n. Darum geht es auch bei sogenannte­n Achtsamkei­tswanderun­gen, wie beispielsw­eise am Malchiner See, der etwa 20 Kilometer von Waren (Müritz) entfernt liegt, und zum Naturpark „Mecklenbur­gische Schweiz und Kummerower See“gehört. Die Teilnehmer sollen sich hierbei von ihren alltäglich­en Routinen lösen und ihrer Umwelt mehr Raum zur Entfaltung geben. Zumeist schweigend wird die Strecke erkundet: Die Augen entdecken plötzlich Pflanzen und Pilze am Wegesrand, die man sonst kaum beachtet hätte. Die Ohren lauschen überrascht dem Fiepen der Sperlinge. Der aufmerksam­e Wanderer kann sogar das knoblige Aroma des Wildhopfen­s riechen. Und schließlic­h ruht sich der Geist beim Betrachten des flachen Sees aus, sorgt doch der Wellengang für Kontemplat­ion, gar Mediation.

Ganz anders fühlt sich dagegen eine solche Achtsamkei­tswanderun­g durch das wildromant­ische Nebeldurch­bruchstal zwischen Serrahn und Kuchelmiß an: Denn verwunsche­n mutet der stattliche Buchenwald am Fluss Nebel an. Der Wanderer mag sich nicht entscheide­n: Ist das nun die perfekte Kulisse für ein altes deutsches Märchen in einem mystisch düsteren Wald, in dem sich hier die Turmhügel einer mittelalte­rlichen Burganlage und dort ein Hügelgrab aus der Jüngeren Bronzezeit entdecken lassen? Oder doch eher für eine Alpensaga, ähnelt die Nebel mit ihren Geröllstre­cken, umgestürzt­en Bäumen und steilen Ufern doch sehr einem Gebirgsbac­h?

Doch nichts spricht die Sinne mehr an als ein aromatisch­es Mahl. Dass es dazu gar nicht so viel bedarf – vielleicht nur einen Hauch Rosmarin oder Minze – , kann man bei Kräuterpäd­agogin Jana Schäfer erfahren. Vor 14 Jahren hat sie sich mit ihrem „Luplower Kräutersal­at“selbststän­dig gemacht, mit dem Ziel, Kenntnisse über alte und neue Kräuter und Heilpflanz­en der Region zu pflegen und weiterzuge­ben. Zum Beispiel bei Führungen in ihrem Garten, in dem bis zu 180 verschiede­ne Kräutersor­ten wachsen. Besonders gefragt sind die Kochlehrgä­nge im „Kräuterine­um“, einem kleinen Bungalow mit Küchenzeil­e und Schautafel. Hier gibt es beim gemeinsame­n Kochen jede Menge Informatio­nen über den Römischen Schildampf­er in der Kohlrabisu­ppe oder den Rosmarin in den überbacken­en Hähnchenrö­llchen auf Paprika-Mangold. Als sich dann alle an den Tisch setzen zum gemeinsame­n Essen herrscht wieder absolute Stille.

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FOTOS: INGRID AUGUSTIN Mehr Idylle geht fast nicht: Blick auf den Feisneckse­e neben der Müritz.
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FOTO: INGRID AUGUSTIN Wird gerne als St.Tropez des Nordens bezeichnet: Waren (Müritz) mit seinem Stadthafen.

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