Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Einstellungskriterium Abtreibung
Direktoren von Unikliniken wehren sich gegen Grünen-Vorschlag – CDU ist sauer
STUTTGART - Gibt es ausreichend Ärzte im Land, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten? Daran hegt das Stuttgarter Sozialministerium zunehmend Zweifel. Staatssekretärin Bärbl Mielich (Grüne) liebäugelt deshalb mit einer konkreten Maßnahme: Die Bereitschaft dazu, Abtreibungen vorzunehmen, könnte ein Einstellungskriterium für Ärzte an den Universitätskliniken im Südwesten werden. Das will die CDU keinesfalls mittragen. Landtagsabgeordnete Marion Gentges spricht von einem „groben Foul“des grünen Koalitionspartners.
Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern von Abtreibungen reicht Jahrzehnte zurück. Bis heute bildet deshalb ein Kompromiss in Deutschland die rechtliche Grundlage: Ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich illegal, Strafen muss aber niemand fürchten, wenn bestimmte Regeln beachtet werden. Gibt es einen medizinischen Grund, oder resultiert die Schwangerschaft etwa aus einer Vergewaltigung, ist der Eingriff straffrei. Liegen diese Gründe nicht vor, muss die Schwangere eine Konfliktberatungsstelle aufsuchen. Nur wenn sie von dieser einen Beratungsschein hat, darf ein Arzt die Schwangerschaft beenden.
Die Zahl der Abtreibungen im Land ist laut Statistikamt in den vergangenen Jahrzehnten stark gesunken. In den späten 1990er-Jahren waren es an die 15 000 Eingriffe, seit fünf Jahren schwanken die Zahlen um die 9000er-Marke. An einem Mangel an entsprechenden Ärzten liege das nicht, sagt Gudrun Christ, Landesgeschäftsführerin der Beratungsstelle pro familia. Sie erklärt die sinkenden Zahlen vor allem mit Aufklärung. Teenager wüssten heute etwa viel mehr über Verhütung.
Wie viele Ärzte im Land Abtreibungen anbieten, ist nicht ganz klar. Eine Liste der Bundesärztekammer weist etwa ein Dutzend Einrichtungen aus. Doch niemand muss sich hier eintragen. Eine Erhebung von pro familia und den anderen Beratungsstellen im Land ergab Ende 2018: In 14 Landkreisen gibt es keinerlei Angebote. „Es gibt viele Regionen und zum Teil benachbarte Kreise wie Ravensburg und Biberach, in denen es überhaupt keinen Arzt oder Ärztin gibt, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten“, sagt Christ. Die Frauen müssen sehr weit fahren. „Wir sind der Meinung, dass es dieses Angebot in jedem Kreis geben muss.“
Experten befürchten eine Versorgungslücke aus drei Gründen. Ältere Ärzte, die Abtreibungen anbieten, gingen in den Ruhestand und fänden keine Nachfolger, sagt etwa das Sozialministerium. Pro familia und die
Landesärztekammer verweisen auf den Druck, den Abtreibungsgegner auf solche Ärzte ausübten – etwa durch Briefe, Veröffentlichung ihrer Namen und Mahnwachen vor Beratungsstellen. Und: „Wir hören immer wieder, dass gerade jüngere Ärztinnen, die selber schwanger sind oder Kinder haben, sich aus der aktiven Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen herausnehmen, ganz unabhängig von der Indikation zum Abbruch“, sagt Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer. Er betont: „Sie müssen die Möglichkeit haben, hier für sich frei zu entscheiden.“
An dieser Stellschraube möchte Staatssekretärin Mielich drehen. In einem Interview mit der „Tageszeitung“nimmt sie die Universitätskliniken in den Blick. Denn das Land hat die gesetzliche Verpflichtung, eine Versorgung mit stationären und ambulanten Angeboten sicherzustellen. „Deshalb prüfen wir, inwiefern wir die Unikliniken, die ja dem Land unterstehen, dazu verpflichten können. Ob wir etwa Neueinstellungen davon abhängig machen können, dass Ärzte und Ärztinnen bereit sind, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen“, sagte Mielich der „Taz“. Die Universitätskliniken müssten einen Beitrag zu diesem Sicherstellungauftrag leisten, erklärt eine Sprecherin des Sozialministeriums. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), die für die Unikliniken zuständig ist, sehe das genauso und habe die Direktoren bereits angeschrieben.
Von Verpflichtungen halten die Unikliniken nichts. „Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen liegt im Ermessen des Einzelnen“, sagt Karl Oliver Kagan, Leiter der Pränatalen Medizin der Universitäts-Frauenklinik Tübingen. Sein Haus nimmt Schwangerschaftsabbrüche vor, dennoch betont er: „Weder der Gesetzgeber noch das Uniklinikum Tübingen verpflichtet Ärzte, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.“
Wolfgang Janni, Direktor der Universitäts-Frauenklinik Ulm, sieht auch keinen Bedarf hierfür. „Die Logik dahinter kann ich verstehen, falls eine Versorgungslücke droht“, sagt er zu Mielichs Ansinnen. „Die sehe ich bei uns aber nicht. Die Kollegen lernen, dass vieles zum Alltag einer Klinik gehört – etwa auch das Sterben auf der Palliativstation. Und eben auch Schwangerschaftsabbrüche. Wer das nicht mittragen kann, würde sich nicht für uns entscheiden. Es gehört zu unserem Alltag.“Marion Gentges, Wissenschaftsexpertin der
CDU-Landtagsfraktion, zeigt sich verärgert über das Vorgehen der grünen Ministerien. Diese wollten dafür sorgen, dass es ausreichend Ärzte gibt, die Abtreibungen vornehmen – das sei zwar Verwaltungshandeln, für das das Parlament nicht eingebunden werden muss. „Ich bin in der Sache aber ausgesprochen sauer“, sagt sie. „Es ist klar, dass wir als Koalitionspartner eine dezidiert andere Auffassung zu diesem Thema haben.“Einstellungen an den Unikliniken mit der Bereitschaft der Ärzte zu verknüpfen, Abtreibungen vorzunehmen, bezeichnet Gentges als „ethisch nicht vertretbar. Einer solchen Gesinnungsmedizin erteile ich eine klare Absage.“
Längst wollten sich die beiden grünen Ministerinnen mit den Unikliniken, der Ärztekammer, der Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Vereinigung über eine Verbesserung der Versorgung austauschen. „Ziel soll es sein, junge Ärztinnen und Ärzte für das Thema zu sensibilisieren und zu prüfen, inwieweit die Bereitschaft, Abbrüche vorzunehmen, ein Einstellungskriterium sein kann“, sagt eine Sprecherin Mielichs. Wegen Corona sei das Gespräch auf nach der Sommerpause verschoben.