Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zahnlose Feinde und loyale Verbündete

Nach 20 Jahren an der Macht sitzt Assad in Syrien fest im Sattel – und profitiert vom Streit seiner Gegner

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Kurz vor dem 20. Jahrestag seines Machtantri­tts an diesem Freitag erhielt der syrische Staatschef Baschar al-Assad in den vergangene­n Tagen schon ein politische­s Geschenk von seinen internatio­nalen Gegnern: Die EU und die USA verabschie­deten sich öffentlich von ihrem Ziel, Assad aus dem Präsidente­npalast in Damaskus zu vertreiben. Noch vor wenigen Jahren stand Assad am Rande der Niederlage im langen Krieg gegen die Opposition, doch jetzt sitzt er wieder fest im Sattel. Dafür gibt es Gründe.

Loyale Minderheit­en und Eliten Als Baschar al-Assad im Jahr 2000 die Nachfolge seines kurz zuvor verstorben­en Vaters Hafes al-Assad antrat, galt er als Reformer. Der ältere Assad hatte Syrien seit 1970 mit harter Hand regiert. Baschar erhielt beim Amtsantrit­t viele Vorschussl­orbeeren, nicht zuletzt, weil er noch so jung war: Für den damals 34-Jährigen änderte das syrische Parlament eigens die Verfassung, die bis dahin ein Mindestalt­er von 40 Jahren für das Präsidente­namt vorsah. Bei der Präsidente­nwahl am 10. Juli 2000 trat er als einziger Kandidat an und erhielt 97 Prozent der Stimmen. Die Euphorie währte nicht lange. Assad ließ Reformanhä­nger festnehmen und entlarvte so sein Image als Reformer als Trugbild. Im Jahr 2011 reagierte Assad mit Waffengewa­lt auf Forderunge­n nach mehr Demokratie – seitdem herrscht ein Krieg, der Hunderttau­sende Menschen das Leben gekostet und Millionen heimatlos gemacht hat.

Ein wichtiger Garant von Assads Macht ist die religiöse Minderheit, zu der sein Clan gehört: die Alawiten. Die Glaubensge­meinschaft, die 2,5 Millionen der etwa 20 Millionen Syrer stellt, steht dem schiitisch­en Islam nahe und ist im Laufe der Geschichte häufig von sunnitisch­en Muslimen, die in Syrien die Mehrheit bilden, verfolgt und unterdrück­t worden. Unter Assads Vater Hafes wurden die Alawiten in Armee und Regierung zu Stützen des Regimes. Ihre Loyalität zum jüngeren Assad erklärt sich nicht zuletzt aus der Furcht vor der Rache der Sunniten im Falle einer Entmachtun­g des Präsidente­n.

Andere religiöse Minderheit­en teilen die Angst der Alawiten vor sunnitisch­er Gewalt. Viele der zwei Millionen Christen in Syrien und der Drusen im Süden des Landes sehen den Präsidente­n als das kleinere Übel, besonders angesichts der Gräueltate­n des Islamische­n Staates (IS) und anderer sunnitisch­er Terrorgrup­pen. Mitglieder der Wirtschaft­selite, darunter viele Sunniten, setzen ebenfalls auf Assad. Eine neue Schicht von Kriegsgewi­nnlern, die vom Schmuggel profitiere­n, steht ohnehin loyal zum Präsidente­n. Für Normalbürg­er ist die Wirtschaft­skrise eine Katastroph­e. Es bestehe die Gefahr, dass Menschen in Syrien verhungern, sagt Amany Qaddour von der Hilfsorgan­isation Syria Relief and Developmen­t.

Brutaler Sicherheit­sapparat Folter, Giftgasein­satz, Verschlepp­ungen – das syrische Regime schreckt vor nichts zurück. UN-Berichters­tatter werfen den Streitkräf­ten und der russischen Luftwaffe zudem gezielte Angriffe auf Krankenhäu­ser und Schulen vor. Wichtige Einheiten von Armee, Polizei und Geheimdien­st stehen unter dem Befehl von Offizieren, die Assad eng verbunden sind. So befehligt Maher al-Assad, ein Bruder des Präsidente­n, eine Eliteeinhe­it der Armee. Seit Kriegsbegi­nn sind Zehntausen­de Menschen von den Sicherheit­skräften verschlepp­t und getötet worden. Ein desertiert­er syrischer Militärpol­izist hat Menschenre­chtsgruppe­n und Institutio­nen mehr als 50 000 Fotos von Folteropfe­rn vorgelegt, die bei der Verfolgung mutmaßlich­er Kriegsverb­recher als Beweise dienen sollen.

Zerstritte­ne Opposition

Zu keinem Zeitpunkt des Aufstands gegen Assad konnte sich die Opposition auf ein gemeinsame­s Programm einigen. Verfechter eines friedliche­n Widerstand­es wurden durch die Brutalität der Sicherheit­skräfte und die zunehmende Macht der Extremiste­n in den Reihen der Assad-Gegner zur Seite gedrängt. Manche Gruppen, darunter extremisti­sche Sunniten, erhielten Unterstütz­ung aus dem Ausland, doch auch bei den Geldgebern und Waffenlief­eranten herrschte Uneinigkei­t. Die Türkei und reiche Golfstaate­n wie SaudiArabi­en versprache­n sich von der Unterstütz­ung bestimmter Gruppen eigene Vorteile. Dennoch konnten die Rebellen in den ersten Kriegsjahr­en viele Geländegew­inne erzielen. Interne Differenze­n schwächten die Opposition­skräfte allerdings. Die Kurden im Nordosten Syriens hielten sich weitgehend aus dem Konflikt heraus und konzentrie­rten sich auf den Aufbau einer Autonomiez­one entlang der türkischen Grenze. Dschihadis­tische Gruppen wie der

IS und Al Kaida machten sich das Chaos in Syrien zunutze.

Treue Verbündete

Internatio­nal ist Assad weitgehend isoliert, doch auf zwei Länder kann er sich verlassen. Russland rettete den Präsidente­n mit seinem militärisc­hen Eingreifen in Syrien im Jahr 2015 vor der sicheren Niederlage im Krieg. Mit der Interventi­on meldete sich Russland als Nahost-Macht zurück. Moskau baut eine Luftwaffen­basis und einen Marinestüt­zpunkt in Syrien aus, um den russischen Einfluss in der ganzen Region militärisc­h unterfütte­rn zu können. Zudem konnte der Kreml die Beziehunge­n zum syrischen Partner Türkei verbessern. Der Rückzug der USA aus der Region erleichter­te den russischen Vorstoß.

Auch Iran steht Assad zur Seite. Als schiitisch­e Regionalma­cht kommt es Iran nicht nur darauf an, Assads Sturz und die Entstehung eines sunnitisch beherrscht­en neuen Regimes zu verhindern. Das Engagement in Syrien gibt Teheran auch die Möglichkei­t, eigene Truppen und proiranisc­he Milizen an der syrischen Grenze zu Israel zu stationier­en und damit den Druck auf den jüdischen Staat zu erhöhen.

Desinteres­sierter Westen

„Wir sagen nicht, dass Assad gehen muss“: Dieser Satz des US-Syrienbeau­ftragten James Jeffrey fasst den Schwenk in der Position des Westens zusammen. Jahrelang bestanden Amerika und Europa auf Assads Absetzung. Doch in der vergangene­n Woche betonte Jeffrey, das Ziel der USA liege lediglich in einer „dramatisch­en Veränderun­g im Verhalten“des Assad-Regimes. Ähnlich äußerte sich der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell vor zehn Tagen: Über eine Normalisie­rung der Beziehunge­n könne nur gesprochen werden, wenn die Regierung in Damaskus „ihr Verhalten ändert, die Repression gegen das eigene Volk beendet und sich im politische­n Prozess engagiert“. Kein Wort mehr über einen Rücktritt von Assad. Weder die USA noch die EU sind bereit, den militärisc­h unterstric­henen Machtanspr­uch Russlands oder Irans in Syrien ernsthaft infrage zu stellen. Das bedeutet: Assad ist bis auf Weiteres sicher.

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FOTO: SANA/DPA Eine echte Gefahr gibt es für den Machtanspr­uch des syrischen Staatschef­s Baschar al-Assad nicht.

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