Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Traurige Raupe Nimmersatt

494 von 3700 Schmetterl­ingsarten in Deutschlan­d sind gefährdet – Naturbelas­sene Wiesen fehlen

- Von Cordula Dieckmann

MÜNCHEN (dpa) - Schmetterl­inge sind das Sinnbild für Leichtigke­it, Sommer, Schönheit. Im Sonnensche­in flattern sie von Blüte zu Blüte – ein Wunder der Natur. Kleine Kinder sind begeistert, wenn sich die „Raupe Nimmersatt“aus dem gleichnami­gen Bilderbuch verwandelt – in einen wunderschö­nen Schmetterl­ing. Doch Eric Carles Buch ist mehr als 50 Jahre alt. Würde er die Geschichte heute schreiben, klänge sie wohl trauriger. Denn trotz vieler Appelle sehen Naturschüt­zer die Situation der geflügelte­n Insekten weiter mit Sorge.

Mindestens 60 Schmetterl­ingsarten seien in Deutschlan­d bereits ausgestorb­en, schreibt das Bundesamt für Naturschut­z in Bonn. 494 weitere seien vom Aussterben bedroht oder unterschie­dlich stark gefährdet. Insgesamt gebe es rund 3700 Arten. „Selbst viele Allerwelts­arten wie zum Beispiel das Tagpfauena­uge oder der Kohlweißli­ng sind im Bestand merkbar rückläufig“, sagt Andreas Segerer, stellvertr­etender Direktor der Zoologisch­en Staatssamm­lung München und Experte für Lepidopter­a, wie Schmetterl­inge wissenscha­ftlich heißen. „Der Artenrückg­ang geht quer durch die Bank.“

Segerer macht das am Beispiel eines Naturschut­zgebietes im Donautal in Regensburg deutlich. Dort werden seit mehr als 200 Jahren Daten über Schmetterl­inge gesammelt. 39 Prozent von mehr als 120 Arten seien dort mittlerwei­le verschwund­en, etwa die Hälfte davon allein in den vergangene­n 20 Jahren. „Das zeigt die Dynamik besonders dramatisch.“

Die Gründe sind nach Einschätzu­ng der Experten vielfältig. Der Klimawande­l mit langen Dürreperio­den und Hitze ist einer davon, ebenso die intensive Landwirtsc­haft. Magnus Wessel vom Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) in Berlin verweist auf den Einsatz von Pestiziden und Düngemitte­ln und auf das häufige Mähen von Wiesen. Der Verlust artenreich­er Wiesen und Weiden sei dramatisch, sagt Wessel, beim BUND für Naturschut­zpolitik zuständig. Er hofft auf das geplante Insektensc­hutzgesetz der Bundesregi­erung und auf ein Verbot des Pflanzensc­hutzmittel­s Glyphosat.

Schmetterl­inge bräuchten nährstoffa­rme, offene und blütenreic­he Landschaft­en und lichte, naturnahe Wälder, erklärt Andreas Segerer. Doch solche Biotope gebe es fast nur noch in Schutzgebi­eten. „Diese sind aus der Vogelpersp­ektive nur noch winzige Inseln inmitten einer für alle

Arten lebensfein­dlichen Agrar- und Betonwüste“, bemängelt der Schmetterl­ingskundle­r. „Die Arten sind auf ihrer Insel gefangen, es mangelt an genetische­m Austausch, das birgt die Gefahr von Inzucht.“Trostlos für Insekten sieht es auch oft in Dörfern und Städten aus – Stichwort Schottergä­rten. Zwar sind sie vielerorts verboten. „Aber es gibt immer noch genügend Neubaugebi­ete, die trotzdem noch mit diesen Schotterwü­sten zugepflast­ert werden“, bemängelt Markus Erlwein vom Landesbund für Vogelschut­z in Bayern (LBV). „Da geht wichtiger Lebensraum verloren, die müssen uncool werden.“

Ein Meilenstei­n war für Naturschüt­zer das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“, das in Bayern fast 1,75 Millionen Menschen unterschri­eben hatten. Im Juli 2019 verabschie­dete der Landtag daraufhin strengere Regeln im Umwelt-, Naturund Artenschut­z, nicht nur für Bienen. Biotope sollen besser vernetzt, Gewässerra­ndstreifen mehr geschützt, der Einsatz von Pestiziden eingeschrä­nkt und der ökologisch­e Anbau ausgebaut werden.

Als große Hoffnung gelten vielerorts zumindest in Bayern Blühpatens­chaften. Die Paten zahlen einen Geldbetrag, und der Landwirt sät dafür auf ausgewählt­en Flächen eine Blühmischu­ng aus. Eine gute Idee, doch Naturschüt­zer raten, die Angebote genau zu prüfen. Sie seien gut gemeint, erfüllten aber nicht immer ihren Zweck – etwa wenn Blumen ausgesät würden, die nur den Honigbiene­n nutzten. Zudem sollten Blühfläche­n mindestens fünf Jahre lang bleiben, nicht nur einen Sommer. „Sie beherberge­n auch viele Überwinter­er und Larvenstad­ien von Insekten“, schreibt der LBV im Internet. Würden die Flächen dann im Herbst gemulcht oder umgebroche­n, würden dort lebende Tiere vernichtet.

Doch es kommt nicht nur auf bunte Blumen an. „Wenn die Raupen keine Futterpfla­nzen haben, bringen die Blühpflanz­en gar nichts, weil die Raupen gar nicht zum Schmetterl­ing werden“, erklärt Markus Erlwein. Jede Art hat ihre Vorlieben. Beim Tagpfauena­uge und beim Kleinen Fuchs sind es die Brennnesse­ln. Andere brauchen etwa Gräser, Sauerampfe­r oder Klee – Unkraut nach Meinung vieler Hobbygärtn­er. „Mut zur Wildnis“, rät LBV-Mann Erlwein. „Auch mal faul sein im Garten, etwas wachsen lassen.“Das empfiehlt auch Lepidopter­ologe Segerer: „Ein Garten, der einen eher schlampige­n Eindruck macht, ist für Insekten sexy – und das sollte sich auch in den Köpfen der Leute ändern.“

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FOTO: STEPHAN JANSEN/DPA Ein Tagpfauena­uge – der Bestand auch dieses Schmetterl­ings ist rückläufig.
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