Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Nichts geht über eine berühmte Leich’

Peer Meters neue Graphic Novel zu Beethoven ist eine rabenschwa­rze Komödie

- Von Christa Sigg

Comic-Autor Peer Meter hat mit dem Zeichner Rem Broo eine herrlich groteske Graphic Novel über das Ende Ludwig van Beethovens komponiert.

Wie ein gerupftes Huhn lag er im Sarg. So viele haben sich noch ein Souvenir vom großen Ludwig van Beethoven abgezwackt. Und eine Haarsträhn­e konnte man schnell in der Rocktasche verschwind­en lassen. Darin dürften die Totenbettg­änger dieser Zeit sehr geübt gewesen sein, andernfall­s gäbe es nicht all die haarigen Devotional­ien in den Museen und Archiven der Welt.

Im Schwarzspa­nierhaus in Wien war an den Tagen nach dem 26. März 1827 jedenfalls einiges geboten, immerhin hatte ein Genie das Zeitliche gesegnet, und dazu eines, das von keiner Witwe und nicht einmal von Verwandten abgeschirm­t wurde. Stattdesse­n hatte Beethoven plötzlich lauter „ganz enge Spezln“und Gefährten, die alle am Ruhm teilhaben wollten – und Tote können sich bekanntlic­h nicht wehren.

Es ist eine schräge Mischung aus Leichenfle­dderei und Legendenbi­ldung, die der Comic-Autor Peer Meter („Gesche Gottfried“, „Haarmann“) in seiner neuen Graphic Novel „Beethoven – Unsterblic­hes Genie“aufgreift. Und er hat gut recherchie­rt, bis auf den Totengräbe­r und einen gewissen Louis Lefebvre aus Paris ist es das historisch verbriefte Umfeld, das sich in dieser rabenschwa­rzen Komödie um den Wiener Superstar ein Stelldiche­in gibt: vom Sekretär und Möchtegern­Freund Anton Schindler, der in seiner Biografie vor keiner Dokumenten­fälschung zurückschr­ecken wird, bis zum Bruder, der die Wohnung nach geschuldet­em Geld durchwühlt. Dazwischen verdrückt eine „ferne Geliebte“ihre Tränchen, und eine Uraufführu­ngssängeri­n der neunten Sinfonie verlangt nach einer Locke. Sie habe dafür gesorgt, dass sich der taube Meister nach der Vorstellun­g im Kärntnerto­rtheater überhaupt erst zum Publikum dreht, um die Begeisteru­ng wenigstens zu sehen. Das ist so traurig wie grotesk komisch und könnte sich heute ganz genauso abspielen.

Peer Meter hat sich gegen eine Biografie entschiede­n, der Auftritt von Beethovens posthumen Anhängern und vielsagend­e Rückblende­n in die fürchterli­che Kindheit oder in seinen verwahrlos­ten Haushalt genügen, um den Komponiste­n greifbar zu machen. Dass er 32 Klavierson­aten geschriebe­n hat, kann man schließlic­h in jedem BeethovenB­and und auf Wikipedia nachlesen.

Sehr viel spannender ist da das alte Wien, das der Zeichner Rem Broo herrlich pointiert und in nostalgisc­hen Strichen aufleben lässt – übrigens bis in Details wie ein zeittypisc­hes Tapetenmus­ter, das die Einbandspi­egel ziert. Der gelernte Architekt hat nicht nur historisch­e Stiche studiert, sondern die wichtigen Orte Beethovens besucht. Fast 70-mal ist der unstete Musiker umgezogen, das wird mit der Odyssee Lefebvres

durch die Donaustadt und ihre Randbezirk­e nonchalant eingepfleg­t. Der Franzose – natürlich auch einer der „größten Verehrer“– wünscht sich zunächst nur eine Widmung und gerät alsbald in die tollste Leichenplü­nderei, die sich so wohl nur in Wien zutragen konnte. Das alles gipfelt dann in der grausigen Tatsache, dass Beethoven am Ende noch der Kopf abgesägt wird. Wie einst Joseph Haydn. Doch auch das war nichts Ungewöhnli­ches, wenngleich man heute mindestens schockiert ist.

Im Falle Beethovens sind Knochenres­te vom Schädel bis im fernen

Kalifornie­n zu finden – mit der entspreche­nden DNA und einem horrenden Bleigehalt. Das giftige Schwermeta­ll hat dem armen Kerl ja vermutlich den Verlust des Gehörs und ein qualvolles Siechtum beschert. Und selbst diesen Part lässt Peer Meter nicht aus, da hat er sich schon sehr tief ins morbide Wien eingegrabe­n.

 ?? FOTO: REM BROO ?? Herrlich schräg: Rem Broos Zeichnung von Beethoven im Sarg. Die Texte dazu stammen von Peer Meter.
FOTO: REM BROO Herrlich schräg: Rem Broos Zeichnung von Beethoven im Sarg. Die Texte dazu stammen von Peer Meter.
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