Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schienenersatzverkehr endet am Sonntag
Elektrifizierung der Südbahn schreitet voran – Erster Elektrozug im Dezember 2021
RAVENSBURG/BAINDT - Der Zugverkehr auf der Strecke zwischen Aulendorf und Ravensburg soll ab Sonntag wieder anrollen. Der Abschnitt ist seit März für den Schienenverkehr komplett gesperrt, die Fahrgäste werden derzeit noch mit Bussen befördert. Die Arbeiten auf der Strecke sind Teil des Projekts Elektrifizierung der Südbahn von Ulm bis Lindau. Auch wenn ab Sonntag wieder Züge fahren – elektrisch angetrieben sind sie dann noch nicht. Laut Plan werden die Stromleitungen erst im Dezember 2021 in Betrieb genommen.
Am 23. März 2018 haben die Bauarbeiten zur Elektrifizierung der Südbahn begonnen. Die Abschnitte Ulm bis Aulendorf sowie Friedrichshafen
bis Lindau sind inzwischen weitgehend fertig. In diesen Tagen wird auch die Oberleitung zwischen Aulendorf und Ravensburg fertiggestellt. Rund 680 Masten hat diese Teilstrecke, berichtet Mario Atzler. Er ist Projektleiter bei der Baufirma Spitzke. Beim Südbahn-Projekt sorgt seine Firma für die Oberleitungen, also vor allem für Masten und Kettenwerk.
Kettenwerk nennen die Bahnarbeiter die Kombination aus Tragseil und Fahrdraht, erklärt Atzler. Der Fahrdraht versorgt den Zug mit Strom. Wenn man genau hinsieht, kann man erkennen, dass er nicht in gerader Linie über den Gleisen hängt, sondern in einem langgezogenen Zickzack. Wenn der Zug fährt, läuft so der Fahrdraht immer wieder von rechts nach links und von links nach rechts über den Stromabnehmer-Bügel. Wäre das nicht so, würde der Fahrdraht den Abnehmer-Bügel immer an derselben Stelle kontaktieren und ihn schnell abnutzen, sagt der Projektleiter.
Atzler und seine Kollegen sind in Tag- und Nachtschichten fast ununterbrochen an der Bahnstrecke im Einsatz. Andere Firmen kümmern sich um den Kabeltiefbau, das Gleisbett und neue Stellwerke. In Niederbiegen ist ein neues Umrichterwerk fast fertig. Seine Aufgabe ist es künftig, den Strom aus dem öffentlichen Netz in Bahnstrom mit Hochspannung umzuwandeln. Ähnliche Umrichterwerke stehen bereits in Ulm und Lindau.
Martin Glaser, Projektleiter für die Südbahn-Elektrifizierung bei der DB Netz AG, rechnet damit, dass die Arbeiten alles in allem mehr als 300 Millionen Euro kosten. Er erinnert daran, dass allein auf dem Abschnitt Aulendorf-Ravensburg zum Beispiel eine Straßenbrücke neu gebaut und eine Fußgängerbrücke rückgebaut werden mussten. Mit dem Fortschritt der Arbeiten ist Glaser bisher sehr zufrieden. „Aus heutiger Sicht wird das mit der Inbetriebnahme im Dezember 2021 klappen“, sagt er.
Bevor es so weit ist, kommen auf die Fahrgäste noch einmal Vollsperrungen zu, kündigt der Projektleiter an. Im September beginnen die Arbeiten am Abschnitt RavensburgFriedrichshafen. Er wird vom 14. September bis zum 19. Dezember komplett gesperrt.
Weitere Vollsperrungen sind für das kommende Jahr geplant: die Strecke
Aulendorf-Ravensburg vom 8. März bis zum 1. April, die Strecke Ravensburg-Friedrichshafen vom 6. bis zum 30. April. Am 15. Dezember 2021 soll der erste Zug mit Elektroantrieb fahren, sagt Glaser. „Vielleicht gibt es dann auch ein Fest zur Einweihung.“
Wenn die Elektrifizierung abgeschlossen ist, können Fahrgäste ohne Zeitverzögerung in Ulm direkt vom Bodensee nach Stuttgart reisen, kündigt der Projektleiter der DB Netz AG an. Auf der Strecke von Ulm nach Friedrichshafen können die Züge dann überall mit 160 Kilometer pro Stunde fahren. Das ist bisher nicht auf allen Abschnitten möglich. Langfristig sieht Glaser die Elektrifizierung der Südbahn als Teil der Infrastruktur, die ab 2030 einen einheitlichen Deutschland-Takt der Züge ermöglichen soll. Weitere Planungen wie die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke gehen nach Angaben eines Bahnsprechers in Richtung einer durchgehend elektrisch angetriebenen Bodenseegürtelbahn, die Lindau mit Basel verbindet.
Das ist noch Zukunftsmusik. Bis die Südbahn elektrifiziert ist, hat Spitzke-Projektleiter Atzler mit den Oberleitungen noch viel zu tun. Mit seinen Kollegen ist er bundesweit in Bahnprojekten unterwegs. Sein aktueller Arbeitsort im Bodenseeraum gefällt ihm sehr gut: „Arbeiten, wo andere Urlaub machen“, sagt er und lacht.