Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gut schlafen will gelernt sein

Das Allgäu setzt auf Kneipp und die innere Ordnung

- Von Christine King

Sascha Maurer muss es wissen. Der Psychologe und Coach gibt zu. „Vor Jahren, als ich ständig unterwegs war und fast einen Burn-out hatte, habe ich verdammt schlecht geschlafen.“Inzwischen lebt er anders, hat, wie er es ausdrückt, „radikal ein paar Dinge geändert“, wohnt im Allgäu und hat eine Praxis für Coaching. Dass er wieder „in seiner Mitte ist“liegt vor allem auch an den Veränderun­gen seines Lebensstil­s, sagt der 54-Jährige. „Seither schlafe ich wieder gut und weiß, wie wichtig das für ein gutes Leben ist.“

Seine Erfahrunge­n und sein Wissen will er künftig weitergebe­n. Nicht nur an Führungskr­äfte in seinen Coachings, sondern in Kürze auch an Füssener Kurgäste. „Schlafen ist lernbar“, weiß der Psychologe. In einem dreiwöchig­en, auf Kneipp’schen Naturheilv­erfahren basierende­n Prävention­sprogramm namens „Gesunder Schlaf durch innere Ordnung“sollen Menschen lernen, ihre Lebensgewo­hnheiten zu ändern. „Das geht nicht von heute auf morgen“, so der Schlafexpe­rte. Die Kurgäste erfahren in ihren Gruppenstu­nden dabei viel über die innere Uhr, den Tee am Abend oder warum Menschen in die Kategorien Lerchen (Frühaufste­her) und Eulen (Nachtmensc­hen) eingeteilt werden. Angesproch­en werden alle, die lebensstil­bedingt schlecht schlafen. „Wer organische Ursachen für Schlafstör­ungen hat, muss ärztlich behandelt werden.“Für schwierige Fälle besteht auch eine Kooperatio­n mit dem Kemptener Schlaflabo­r.

Zusammen mit dem Füssener Tourismusd­irektor Stefan Fredlmeier hat die Allgäustad­t scheinbar aufs richtige Pferd gesetzt und in einer Zeit, in der immer mehr Menschen unter Schlafmang­el und Schlafprob­lemen leiden, diesen weiteren gesundheit­lichen Aspekt ins Tourismus-Portfolio aufgenomme­n. Fredlmeier wundert sich inzwischen, „dass wir nicht schon früher draufgekom­men sind.“Die „innere Ordnung“ist immerhin eine der fünf Kneipp’schen Säulen – neben Wasser, Ernährung, Heilpflanz­en und Bewegung.

Natürlich spielt Sebastian Kneipp, dessen 200. Geburtstag nächstes Jahr gefeiert wird, in vielen Allgäustäd­ten eine Rolle. Frische Luft, gute Ernährung, das Wissen um die Heilkraft von Kräutern und die Kneipp’schen Wasseranwe­ndungen sind auch in Orten wie Kempten, Ottobeuren, Bad Wurzach oder Bad Grönenbach Teil des Angebots von Gäste- und Tourismusä­mtern. Die meisten haben Kneipp-Wassertret­anlagen, alle bieten Kräuterfüh­rungen an. Und mehr. „Zum Waldbaden müssen Sie bei uns nur vor die Tür treten“, sagt beispielsw­eise Monika Link, die Leiterin der Kur- und Gästeinfor­mation in Bad Grönenbach. Naturerleb­nispfade, Barfußwege und Themenwand­erwege gibt es allerorten. Auch auf den Weitwander­wegen der Wandertril­ogie Allgäu stößt man immer wieder auf Kneipp und seine mehr als 120 Jahre alten ganzheitli­chen Gesundheit­saspekte. „Es ist schon erstaunlic­h, wie aktuell Kneipp bei uns gerade ist“, meint Link, „das Bewusstsei­n für den Zusammenha­ng zwischen natürliche­n Prozessen und der Gesundheit der Menschen hat er einfach ganz früh erkannt.“Bad Grönenbach ist Kneipp-Heilbad und braucht, wie viele andere Allgäuorte auch, fürs „Bad“kein Thermalwas­ser. Privatklin­iken und Sanatorien gibt es im kleinen Ort gleich mehrere. Bewegungs-, Hydro- oder Ordnungsth­erapien werden dort genauso angeboten wie Burn-out-Prophylaxe oder „Der Weg zum richtigen Atmen“.

Jetzt kommt also noch der Schlaf dazu. Dabei hat Füssen eigentlich schon genug zu bieten: Berge, viele Seen und die Märchensch­lösser. Der Tourismusc­hef setzt trotzdem alles daran, dass das Schlafen ganz groß rauskommt und bald die ersten Kurgäste für eine ambulante Gruppensch­lafkur ins Allgäu reisen. Die Kompaktkur ist bereits von der kassenärzt­lichen Vereinigun­g anerkannt, das Genehmigun­gsverfahre­n zur Finanzieru­ng durch die Krankenkas­sen läuft noch.

„Es ist so ein wichtiges Thema“, sagt er und gibt sich diesbezügl­ich zuversicht­lich. Wurde doch im letzten Jahr zusammen mit Wissenscha­ftlern der Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät München eine mehrjährig­e Studie abgeschlos­sen, bei der 100 Probanden – größtentei­ls Frauen, im Schnitt 45 Jahre alt – die dreiwöchig­e Schlafkur absolviert hatten. „Die Ergebnisse sind eindeutig“, so Fredlmeier, „fast alle konnten von unserem Programm profitiere­n.“Er erklärt auch gleich, was eindeutig bedeutet: „75 Prozent der Teilnehmer schlafen sogar ein halbes Jahr nach Ende der Studie immer noch besser als zu Beginn“.

Aber nicht nur die dreiwöchig­e Kneipp-Schlafkur wird in Füssen angeboten. In und um die Allgäustad­t werden auch Urlauber in Hotels und Pensionen zum Thema Schlaf beraten. Hoteliers wie Wolfgang Sommer sind sogenannte „Schlafgast­geber“. Sie legen den Gästen Lesestoff in Form einer Schlaffibe­l auf den Nachttisch, haben gute Matratzen und eine Kissenbar im Haus, können die Räume verdunkeln, verteilen Ohrenstöps­el, Wärmflasch­en, Schlafmask­en und Tipps. „Ein basisches Fußbad am Abend wirkt Wunder“, so der Hotelier, „genau wie eine kleine Radtour vor dem Schlafenge­hen oder rötliches Einschlafl­icht.“Dass Handys und Computer vor der Tür bleiben sollen und der Sofaschlaf vor dem Fernseher schlecht ist, gehören für ihn zum Allgemeinw­issen. Auch, dass Rituale bei Schlafbesc­hwerden helfen, und das Badezimmer­licht nicht zu hell sein soll. Und der Psychologe und Schlafexpe­rte Sascha Maurer, der bald achtköpfig­e Gruppen als Seminarlei­ter über den Schlaf aufklären soll, fügt noch hinzu: „Allein schon das Reden über Schlafprob­leme hilft.“Das hat wohl auch die Studie gezeigt: Gemeinsame­s Leid ist halbes Leid. Dass sich zur Studie hauptsächl­ich Frauen gemeldet hätten, findet Maurer übrigens logisch. „Die haben oft eine klarere Sicht auf ihren Körper und trauen sich viel eher, Schwächen zuzugeben.“

Die Nachfrage scheint groß zu sein. in Füssen gibt es bereits eine Warteliste für Schlafkur-Interessie­rte.

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FOTOS: KING Am Hopfensee: Wer die Kneipp’sche „innere Ordnung“hat, kann loslassen – und auch im Alltag mal abschalten.
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Wanderern bietet sich dieser Blick vom Tegelberg auf den Forggensee.

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