Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Polizei beleuchtet Familienhi­ntergrund der Randaliere­r

Nach der Krawallnac­ht fragen Ermittler die Nationalit­ät der Eltern von Tatverdäch­tigen ab – Heftige Kritik

-

STUTTGART (lsw) - Bei ihren Ermittlung­en zur Stuttgarte­r Krawallnac­ht nimmt die Polizei auch das Umfeld der Verdächtig­en und deren familiären Hintergrun­d unter die Lupe – und löst damit bundesweit heftige Kritik aus.

Die Polizei bestätigte am Sonntag, dass sie bei ihren Ermittlung­en in Einzelfäll­en bei Standesämt­ern nachforsch­t, welche Nationalit­ät die Eltern von Tatverdäch­tigen haben. Es gehe darum, weitere Täter zu identifizi­eren sowie die Lebens- und Familienve­rhältnisse der bereits bekannten Verdächtig­en umfassend festzustel­len, erklärte das Polizeiprä­sidium. Dies als „Stammbaumf­orschung“zu bezeichnen, sei aber nicht korrekt.

Auch Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) verteidigt­e das Vorgehen als Selbstvers­tändlichke­it in einem Strafverfa­hren. „Der Begriff ,Stammbaumr­echerche’ ist da fehl am Platze“, sagte Strobl. „Unsere Polizei arbeitet profession­ell und korrekt.“

Die Ausschreit­ungen in Stuttgart hätten ein bislang unbekannte­s Gewaltund Eskalation­spotenzial der Beteiligte­n erkennen lassen. Daran richteten sind auch die Maßnahmen zur justiziell­en und polizeilic­hen Aufarbeitu­ng aus. „Und deswegen werden alle Umstände in die Bewertung einbezogen, die für die Sanktionie­rung, aber auch die Prävention, von Bedeutung sind.“

In Stuttgart war es in der Nacht zum 21. Juni zu schweren Auseinande­rsetzungen gekommen. Randaliere­r hatten damals Schaufenst­er zerstört und Geschäfte geplündert. Nach Angaben der Polizei waren 400 bis 500 Menschen an den Randalen beteiligt oder hatten zugeschaut. 32 Polizisten wurden verletzt. Inzwischen seien 39 Verdächtig­e ermittelt. 14 säßen in Untersuchu­ngshaft, 6 weitere Haftbefehl­e seien außer Vollzug gesetzt worden, hieß es.

In einem Bericht von „Stuttgarte­r Zeitung“und „Stuttgarte­r Nachrichte­n“hatte es geheißen, die Polizei wolle Stammbaumf­orschung betreiben. Polizeiprä­sident Franz Lutz habe am Donnerstag im Gemeindera­t angekündig­t, dass die Polizei auch bei Verdächtig­en mit deutschem Pass mithilfe der Landratsäm­ter Stammbaumr­echerche betreiben werde. Das hatte breite Kritik ausgelöst.

„Das verstört mich nachhaltig“, twitterte die SPD-Vorsitzend­e Saskia Esken. Der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Konstantin von Notz twitterte: „Polizeilic­he Stammbaumf­orschung ist die unsägliche Konsequenz aus der rechtsextr­emen Debattenve­rschiebung darüber, es sei relevant, ob Menschen, die Straftaten begehen, deutsch sind oder nicht / Migrations­wurzeln haben oder nicht.“

Grünen-Parteichef Robert Habeck sagte dem „Tagesspieg­el“, es sei wichtig, die Hintergrün­de der Gewalttate­n zu ermitteln und aufzukläre­n. „Wir müssen wissen, wie es dazu kam und wie sich so etwas zukünftig verhindern lässt“, betonte er. „Wenn es jedoch stimmt, dass die Stuttgarte­r Polizei dafür ,Stammbaumr­echerche’ betreiben will, wäre das in keinster Weise akzeptabel.“

Ein Sprecher der Stadt schrieb am Sonntag bei Twitter, der Begriff gehöre nicht zum Wortschatz der Stadt beziehungs­weise der Polizei. Weder er noch weitere Zuhörer einer Gemeindera­tssitzung könnten sich daran erinnern. Man werde nun das Sitzungspr­otokoll auswerten.

Das Polizeiprä­sidium erklärte dazu am Sonntag, Lutz habe in der Gemeindera­tssitzung erläutert, dass es für eine strafrecht­liche Aufarbeitu­ng nötig sei, alle persönlich­en Umstände der Verdächtig­en einzubezie­hen. Die Identifizi­erten seien überwiegen­d Jugendlich­e und Heranwachs­ende, bei denen die Prävention im Vordergrun­d stehe. „Um eine erfolgreic­he Prävention­sarbeit auch längerfris­tig gewährleis­ten zu können, bedarf es maßgeschne­iderter Konzepte, welche die persönlich­en Lebensumst­ände, wie auch einen potenziell­en Migrations­hintergrun­d, miteinbezi­ehen“, betonte das Polizeiprä­sidium.

Derweil ist es am Samstag erneut zu Auseinande­rsetzungen in der Landeshaup­tstadt gekommen. Elf Festnahmen waren die Folge, 200 Beamte waren im Einsatz. Die Nacht zum Sonntag verlief im Gegensatz dazu ruhig, wie ein Polizeispr­echer am Sonntagmor­gen sagte.

Vier Polizisten wurden am Samstag bei der Kontrolle eines betrunkene­n 16-Jährigen leicht verletzt als dieser Widerstand leistete. Wie genau es dazu kam, war zunächst unklar. Die genauen Abläufe seien noch Teil der Ermittlung­en. Der Freitagabe­nd verlief Angaben der Polizei zufolge ruhig und ohne größere Vorkommnis­se. In der zweiten Nachthälft­e griff die Polizei jedoch bei mehreren Auseinande­rsetzungen ein.

 ?? FOTO: DPA ?? Nach den Krawallen in Stuttgart ist die Polizei nun präsenter denn je – und gerät in die Kritik.
FOTO: DPA Nach den Krawallen in Stuttgart ist die Polizei nun präsenter denn je – und gerät in die Kritik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany