Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Das Schweinesystem
Ein Mitarbeiter eines rumänischen Subunternehmens berichtet über Drohungen und Geld in der Fleischindustrie
WIEN - Der Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies Anfang Juni hat wieder einmal Licht auf die schlechten Arbeitsbedingungen von osteuropäischen Arbeitern geworfen. Nun reden immer mehr Menschen über die Zustände bei Tönnies und die Machenschaften beteiligter Subunternehmen. Ein Arbeiter erzählt von leeren Versprechungen und Erpressung.
Wenn sie abgeworben werden, sind sie noch voller Hoffnung und Erwartung – umso größer ist später die Enttäuschung. Jene Arbeiter aus Rumänien, die von Personalvermittlungsfirmen angeheuert werden, kommen oft aus Dörfern in der Walachei, dem armen Süden von Rumänien. Viele sind wenig gebildet und die meisten sehen in den Versprechungen der Headhunter die Chance ihres Lebens.
Die „Schwäbische Zeitung“hat mit einem Rumänen gesprochen, der seit Jahren als Fahrer für eines der Subunternehmen arbeitet, die für das Schlachtunternehmen Tönnies die Metzger aus Osteuropa ankarrt. Der 35-Jährige Mihail K., der seinen vollen Namen aus Angst vor Klagen der Subunternehmen nicht öffentlich machen will, erzählt, dass nur wenige der rumänischen Metzger „von dem Trauma erzählen werden, das sie durchgemacht haben“. Sie hätten Angst, verklagt zu werden. „Und sie schämen sich“, so Mihail K. Einerseits, weil sie kein Deutsch können und Verträge unterschrieben haben, ohne nachzuhaken und andererseits, weil sie zu Hause in Rumänien ihren Familien nicht erzählen wollen, wie es ihnen wirklich ergeht.
Einige der Anwerber-Firmen kommen aus Brasov und Târgoviste. In Târgoviste, ehemals die Hauptstadt der Walachei, sind die Löhne sehr niedrig, die Lebenshaltungskosten aber sehr hoch. Der Durchschnittslohn beläuft sich auf 400 Euro im Monat, die Miete einer Wohnung in der Stadt, in der im Jahr 1989 Diktator Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena erschossen wurden, beläuft sich auf 200 Euro. Da bleibt nicht mehr viel zum Leben. Eher einfachen Menschen kann leicht eingeredet werden, dass ein Verdienst von 1 500 Euro bei Tönnies so etwas wie das Paradies bedeutet.
Doch für viele kommt es anders. Bereits im März und April seien einige der rumänischen Arbeiter krank geworden, erinnert sich Mihail K. „Kranke Kollegen blieben zu Hause und die Gesunden kamen zur Arbeit, aber als diejenigen, die arbeiteten, nach Hause kamen, nahmen sie Kontakt mit den Kranken auf“, erzählt er über die unzureichenden Vorsichtsmaßnahmen. „Es gab Fälle, in denen Kranke 14 Tage lang ohne Quarantäne zur Arbeit kamen“, versucht er, die rasche Ausbreitung des Coronavirus bei dem Unternehmen zu erklären. Die Subunternehmer wiederum wollten Metzger nicht für krank erklären, weil sie Sorge hatten, die Verträge mit Tönnies zu verlieren, sagt Mihail K. Deshalb sei von den Subunternehmern auch nicht die Einhaltung der Quarantäne-Regeln eingefordert worden. Ab einem gewissen Zeitpunkt
seien einfach zu viele Leute krank gewesen.
Die Unterkünfte in Deutschland, die ebenfalls von den Subunternehmern organisiert werden, würden „normalerweise weit weg von den Städten gewählt werden“, so Mihail K., „damit die Rumänen, die die Sprache nicht kennen, sich nicht mit der Polizei in Verbindung setzen und nicht mit den Rumänen, die Deutsch sprechen können, zusammen sind. Sie sind wie gefangen, entweder bei der Arbeit oder in diesen Unterkünften.“Sobald die Leute nach Deutschland kommen, würden die rumänischen Headhunter ihre Dokumente wegnehmen, sagt K.. „Das geschieht unter dem Vorwand, dass man sie anmelde, eine Krankenversicherung und eine Bankomatkarte besorge. Aber in Wahrheit würden die Leute damit erpresst. Denn sie wagen nicht mehr, die Arbeit zu beenden. Ihnen wird gesagt: ,Wenn du jetzt gehst, dann siehst du gar kein Geld.’“Im ersten Monat würden die Leute meist noch ein volles Gehalt bekommen, dann aber werde der Betrag auf dem Lohnzettel immer kleiner. „Wenn die Leute nachfragen, heißt es von den
Subunternehmern oft, das sei die Schuld des Buchhalters.“
Für die Unterkünfte würden jeweils zwischen 150 und 250 Euro einbehalten, meistens würden zwei bis vier Personen in einem Zimmer leben. Und selbst wenn ein Arbeiter nur zehn Tage in so einer Unterkunft bleibe, werde ihm das Geld für den gesamten Monat abgezogen. Ursprünglich seien die Gehälter, die von Tönnies an die Subunternehmer gezahlt werden, recht gut. Doch bei den Metzgern kommt fast nichts mehr an. Mihail K. schickt als Beweis einen Kontoauszug eines rumänischen Metzgers. Unter der Rubrik Auszahlungsbetrag steht: 588,06 Euro.
500 Euro vom Gehalt des Metzgers behält der Subunternehmer ein – das Wort „Abschlag“wird dazu verwendet. Tönnies wiederum habe an die Subunternehmer Prämien gezahlt und Extrageld für Sonntage oder Feiertage. Bloß dieses Geld erreiche die Arbeiter häufig nicht, erzählt Mihail K. Dabei gebe es unter den Metzgern durchaus das Bewusstsein, dass die Vorgehensweise nicht rechtmäßig sei. „Die Arbeiter sprachen miteinander darüber, dass das nicht richtig ist, was passiert“, sagt K.. „Aber ihr Mund wurde immer durch Drohungen von Subunternehmern geschlossen.“Auch in Rumänien wird seit Wochen über die Praktiken der Subunternehmer rund um Tönnies berichtet. Vielen ist bewusst, dass es die rumänischen Headhunter sind, die ihre Landsleute gnadenlos ausbeuten.
Die Menschen selbst, die diese unmenschlichen Arbeitsverhältnissen kennenlernen, „kehren enttäuscht und verängstigt zurück vor dem, was in Deutschland passiert“, sagt Mihail K. „Und von ihrem Traum, reich zu werden, bleibt nur der Wunsch, dass sie wenigstens zu Hause und gesund sind.“