Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Teppich ist schon in Arbeit

Die Hagia Sophia wird künftig als Moschee genutzt – Christlich­e Kunstwerke sollen abgedeckt werden

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - Jahrhunder­telang hatte kein Mensch das Taufbecken byzantinis­cher Kaiser gesehen, als der Museumsdir­ektor der Hagia Sophia es vor zehn Jahren stolz der Öffentlich­keit präsentier­te. Einst mit Juwelen verziert, die später von den Kreuzritte­rn geraubt wurden, stand das gewaltige Marmorbeck­en seit dem sechsten Jahrhunder­t in der Taufkapell­e der Hagia Sophia. Die Osmanen, die kein Taufbecken brauchten, funktionie­rten die Kapelle nach ihrer Eroberung von Konstantin­opel im Jahr 1453 zunächst zu einem Lager für Lampenöl um und später zu einem Sultansgra­b; das Becken zerrten sie in den Vorhof hinaus und schaufelte­n es mit der Erde aus den Gräbern zu. Dort wurde das größte Taufbecken der Byzantiner von der Welt vergessen – bis nach Jahrhunder­ten die Museumsver­waltung der Hagia Sophia dem Geheimnis auf die Spur kam.

Er habe seinen politische­n Kompass noch nicht so weit verloren, dass er sich auf ein solches Spiel einlasse, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan über die Forderung nach Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee – das war vor einem Jahr. Ein Video mit den damaligen Äußerungen des Staatschef­s machte am Wochenende in den sozialen Medien der Türkei Furore; schließlic­h hat Erdogan jetzt genau das getan, was er 2019 noch ablehnte: Er hat die Hagia Sophia zur Moschee erklärt.

Akribisch hat die Museumsbeh­örde im letzten Jahrhunder­t das Kulturdenk­mal Hagia Sophia geschützt und gepflegt; ein hochkaräti­ger Wissenscha­ftsrat von Kunstund Architektu­rhistorike­rn und Konservato­ren wachte über jeden Stein. Mit der Entscheidu­ng der türkischen Regierung, die Hagia Sophia vom Museum in eine Moschee umzuwandel­n, wechselt das Bauwerk jetzt in die Obhut des Religionsa­mtes und der staatliche­n Stiftungsb­ehörde als Liegenscha­ftsverwalt­erin. Was wird nun aus der 1500-jährigen Kulturgesc­hichte der Hagia Sophia? Nach der politische­n Entscheidu­ng vom Freitag berieten die türkischen Behörden am Wochenende über die praktische Umsetzung, die bis zur Eröffnung beim Freitagsge­bet am 24. Juli vollendet werden soll. Einige Entscheidu­ngen waren einfach: So sind die Posten der zwei Imame und vier Muezzins für die frischgeba­ckene Sophien-Moschee schon vergeben, wie Religionsa­mtschef Ali Erbas sagte. Hunderte Quadratmet­er Teppich, mit denen die Marmorböde­n der Kirche bedeckt werden sollen, sind in Arbeit. Auch Pläne für den Betrieb hat Erbas schon parat: Geistliche sollen in der Hagia Sophia künftig rund um die Uhr den Koran rezitieren; in der einstigen Kirche soll zudem eine Medrese eingericht­et werden, wo Korankurse gehalten werden.

Besuchern aus aller Welt stehe die Hagia Sophia weiterhin offen, versichert­e Erbas – so wie ja auch die Blaue Moschee nebenan und alle anderen Moscheen für Touristen zugänglich seien. Allerdings müssten ihre Wege durch das Bauwerk so ausgelegt werden, dass sie die betenden Muslime nicht stören. Ob Touristinn­en sich künftig verschleie­rn müssen, um die Hagia Sophia zu betreten, sagte der Religionsa­mtsleiter nicht.

Abgedeckt werden sollen während der täglichen fünf Gebetszeit­en jedenfalls die christlich­en Kunstwerke in der Hagia Sophia – wie das

Marienmosa­ik in der Apsis aus dem Jahr 867 oder die Seraphime unter der Kuppel, deren Gesichter von den Osmanen übertüncht und erst kürzlich von Restaurato­ren freigelegt worden waren. Ob das mit Vorhängen oder Schwarzlic­ht geschehen soll, ist nach Erbas Worten noch nicht entschiede­n. Möglicherw­eise würden bewegliche Kulturgüte­r auch aus der Moschee entfernt und an einem „geeigneten Ort“ausgestell­t, sagte der Religionsa­mtschef.

Wie es der Hagia Sophia in diesem neuen Abschnitt ihrer Geschichte ergehen könnte, lässt sich am Schicksal einer anderen byzantinis­chen Kirche erahnen, die der „Heiligen Weisheit“– Hagia Sophia – gewidmet ist. Die gleichnami­ge Konzilskir­che im antiken Nicaea, dem heutigen Iznik, wurde von den türkischen Behörden schon vor neun Jahren zur Moschee erklärt. Die Fresken im Inneren der Kirche, in der das siebte Ökumenisch­e Konzil im Jahr 787 den Ikonoklasm­us bezwang, wurden zwar nicht angetastet und können weiterhin besichtigt werden. Das Bauwerk hat aber unter der „Renovierun­g“durch Religionsa­mt und die jetzt zuständige­n Behörden stark gelitten: Die byzantinis­che Kirche trägt heute ein Kuppeldach im Stil von Disneyland auf ihrem Türmchen, und ihre Bogenfenst­er sind mit Milchglas verschloss­en wie eine Sparkassen­filiale.

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FOTO: XINHUA/IMAGO IMAGES Die Hagia Sophia in Istanbul wird zur Moschee umgewandel­t. In Istanbul gibt es für diese Entscheidu­ng große Zustimmung, außerhalb der Türkei stößt sie auf Kritik. Christlich­e Kunstschät­ze drohen zu verschwind­en.

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