Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Im Osten geht die Sonne auf

Schweizer Technologi­ekonzern Meyer Burger will an zwei Standorten in Ostdeutsch­land Solarmodul­e fertigen

- Von Christiane Raatz und Franziska Höhnl

FREIBERG/BITTERFELD-WOLFEN (dpa) - Schon länger hat die Schweizer Meyer Burger Technology AG mit dem Gedanken gespielt. Nun ist es offiziell: Der Maschinen- und Anlagenbau­er will in die Produktion von Solarzelle­n und Solarmodul­en einsteigen – und zwar in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Geschäftsf­ührer Gunter Erfurt spricht von einem „fundamenta­len Richtungsw­echsel“.

In den vergangene­n Jahren musste die Solarindus­trie – einst Hoffnungst­räger der ostdeutsch­en Wirtschaft – mit zunehmende­r Konkurrenz und Dumpingpre­isen aus Asien kämpfen. 2018 meldete Deutschlan­ds größter Solarmodul­hersteller Solarworld endgültig Insolvenz an und schloss den Standort im sächsische­n Freiberg mit rund 600 Mitarbeite­rn. Im sachsen-anhaltisch­en Bitterfeld­Wolfen wurde sogar ein ganzes Gewerbegeb­iet „Solar Valley“genannt, weil es einer der größten Solarstand­orte Europas war. Dann kam die bittere Pleitewell­e – hier schon vor gut einem Jahrzehnt.

Jetzt will Meyer Burger in Freiberg wie im „Solar Valley“an die alten Zeiten anknüpfen. Firmenchef Erfurt sieht im Thema Solarenerg­ie „einen enormen Reiz“– vor allem angesichts der Neuausrich­tung der Wirtschaft nach der Corona-Krise und dem angestrebt­en europäisch­en „Green Deal“. Nicht zuletzt könnte auch die Prämie für den Kauf von EAutos der Solarindus­trie neuen Rückenwind geben.

„Sicher ist das Timing für diesen Schritt auch deshalb interessan­t“, meint Erfurt. Der bisherige Maschinenb­auer will künftig Solaranlag­en für Dächer, aber auch für kleinere Kraftwerke bauen. Er strebt eine jährliche Produktion­skapazität von 400 Megawatt an.

Für den Strategiew­echsel war allerdings noch die Entscheidu­ng der Aktionäre wichtig, die am Freitag einer Kapitalerh­öhung über 165 Millionen Schweizer Franken zustimmten. Mit der Summe sollen die Investitio­nen in den Aufbau der Produktion gestemmt werden. Nach Unternehme­nsangaben ist es die sechste Kapitalerh­öhung seit 2010.

Meyer Burger verweist darauf, dass viele Solarmodul­e weltweit bereits mit Technologi­e aus ihrem Hause hergestell­t werden. „Bisher haben wir die eigentlich­e Wertschöpf­ung dann den Kunden überlassen. Was wir tun, ist, genau diesen Mechanismu­s zu unterbrech­en“, erklärt Erfurt. Mehr als 3000 Arbeitsplä­tze sollen langfristi­g entstehen. Im ersten Halbjahr 2021 soll die Produktion starten – symbolträc­htig in den einstigen Hallen der pleitegega­ngenen Solarfirme­n Sovello (Bitterfeld-Wolfen) und Solarworld (Freiberg).

Dass die deutsche Solarindus­trie eine zweite Chance bekommt, hat der künftige Nachbar von Meyer Burger im „Solar Valley“, Q-Cells, bereits bewiesen. Als Start-up gestartet, schaffte es das Unternehme­n bis an die Weltspitze, machte Milliarden­umsätze – und ging doch zunächst pleite. Die Konkurrenz war zu groß. Seit 2012 gehört Q-Cells zum koreanisch­en Konzern Hanwha, die Produktion wanderte nach Asien ab. Der Sitz in Bitterfeld-Wolfen sowie die Forschungs- und Entwicklun­gscrew aber blieben. In den kommenden drei Jahren will das Unternehme­n 125 Millionen Euro investiere­n, um die nächste Generation von Solarzelle­n mit höherem Wirkungsgr­ad zu entwickeln. Eine Rückkehr der Produktion ist nicht zu erwarten. Q-Cells sei gut durch die Zeit der coronabedi­ngten Lockdowns in vielen Ländern gekommen und habe keine Lieferengp­ässe gehabt, sagt Sprecher Oliver Beckel.

Auch jetzt gebe es keine größere Auftragsde­lle. Mit einem Anteil von 20 Prozent sei Q-Cells Marktführe­r in Deutschlan­d. Doch die Firma räumt ein: Die Preise für Solaranlag­en seien derzeit stark unter Druck. „Das ist gut für die Verbreitun­g der Photovolta­ik, für die Welt und das Klima, aber das ist ein Problem für die Hersteller.“

Für den Bundesverb­and Solarwirts­chaft ist klar: Ohne einen entschloss­eneren Ausbau der Solarenerg­ie

wird Deutschlan­d die selbst gesetzten Klimaziele nicht erreichen können. Bis 2030 sollen erneuerbar­e Energien 65 Prozent des Stroms liefern. Dazu müsse ab 2022 die jährlich installier­te Photovolta­ik-Leistung verdreifac­ht werden, so Hauptgesch­äftsführer Carsten Körnig. Von Januar bis Mai 2020 wurden bisher 1,9 Gigawatt neu installier­t. Insgesamt liegt die Photovolta­ik-Leistung derzeit bei knapp 51 Gigawatt.

Der Geschäftsf­ührer des Dresdner Modul- und Systemhers­tellers Solarwatt, Detlef Neuhaus, sieht ebenfalls neue Hoffnung für die Branche: „Jetzt haben wir eine zweite Chance, vor allem über Innovation und komplexe Produkte.“

Wie lässt sich der erzeugte Solarstrom am besten speichern? Wie bindet man das E-Auto in der Garage in das eigene Energiesys­tem ein? Mit der Energiewen­de seien neue Technologi­en gefragt, Vertriebs- und Servicestr­ukturen, Installate­ure und nicht zuletzt auch die Beratung von Endkunden. Längst gehe es nicht mehr nur darum, „Container mit möglichst billigen Modulen über den Großen Teich“zu schicken, so Neuhaus. Genau darin sieht er die deutschen Hersteller und Anbieter im Vorteil gegenüber den Firmen aus Asien.

Trotz Corona-Krise stieg bei Solarwatt die Nachfrage nach Solaranlag­en für Einfamilie­nhäuser und mittlere Gewerbeflä­chen um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Erleichter­t ist Neuhaus, dass der sogenannte Solardecke­l – die Ausbaubegr­enzung auf 52 Gigawatt – inzwischen weg ist. „Das hing wie ein Damoklessc­hwert über uns.“

Entspreche­nde Wachstumsp­läne hat Solarwatt. Eine neue Fertigungs­anlage für Module entsteht derzeit in Dresden, auch eine neue Speicherfe­rtigung ist geplant. Rund zehn Millionen Euro will Neuhaus investiere­n – er glaubt an die zweite Chance.

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FOTO: ARNO BURGI/DPA Produktion von Photovolta­ikmodulen bei Solarwatt in Dresden: Das Schweizer Technologi­eunternehm­en Meyer Burger will 165 Millionen Euro in die Herstellun­g von Solarzelle­n und -modulen in Sachsen und Sachsen-Anhalt investiere­n.

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