Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wirecard-Aufarbeitung kommt in Schwung
Eklatantes Versagen der Aufsicht soll Konsequenzen haben – Spionagevorwurf gegen Ex-Vorstand Marsalek
FRANKFURT - In die Debatte um das Aufsichtsversagen im Fall Wirecard kommt Bewegung. So hat Bundesfinanzmister Olaf Scholz am Freitag angekündigt, Gesetzesänderungen einzubringen, um die Finanzaufsicht in Deutschland zu stärken. Die deutsche Finanzaufsicht müsse jederzeit und schnell „forensische Untersuchungen“durchführen können, sagte der SPD-Politiker in Berlin nach Beratungen mit seinen EU-Amtskollegen.
Nach der Pleite des Finanzdienstleisters haben die beteiligten Aufsichtsinstanzen jeweils alle Schuld an dem Fall von sich gewiesen. Der Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, erklärte, Wirecard sei in Abstimmung mit Finanzaufsehern in Bundesbank und Europäischer Zentralbank nicht als Finanzholding einzustufen gewesen. Die Bafin sei nur für die Kontrolle der WirecardBank zuständig gewesen. Im Übrigen habe die Bafin gar nicht prüfen dürfen, bevor die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, kurz DPR, zum Abschluss ihrer Untersuchung gekommen sei. „Statt Ausreden für die vermeintliche Nichtzuständigkeit zu suchen, muss diese Behörde ihre bestehenden Kapazitäten nutzen und da, wo wirklich Aufsichtslücken bestehen, diese gegenüber der Politik lautstark kenntlich machen“, kritisierte Gerhard Schick, Gründer und Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende.
Die DPR jedenfalls wurde im Februar 2019 mit einer Prüfung der Bilanz von Wirecard beauftragt, allerdings hat sich in der Behörde offenbar nur ein Mitarbeiter um den Fall gekümmert, ein Ergebnis liegt bis heute nicht vor. Die Prüfstelle erklärt wiederum, das Aufspüren von Bilanzbetrug und Ermittlungen seien gar nicht Teil ihrer Aufgaben. Ein Jahrzehnt schließlich haben die Bilanzprüfer von EY, besser bekannt als Ernst & Young, die Bücher des Unternehmens kontrolliert und als makellos testiert. Erst vor wenigen Wochen hat EY zum ersten Mal seinen Stempel verweigert. Da war das 1,9 Milliarden tiefe Loch in der Wirecard-Bilanz nicht mehr zu leugnen. „Wenn es so ist, dass seitens der philippinischen Banken kurz und bündig gesagt wird, dass bestimmte Konten nicht existieren, stellt sich schon die Frage, warum die Abschlussprüfer nicht in der Lage waren, dort anzurufen und sich eine Bestätigung geben zu lassen“, sagte Aktionärsschützer Klaus Nieding.
Der Betrugsfall und die Insolvenz des Zahlungsdienstleisters Wirecard hat strukturelle und organisatorische Defizite in der Aufsicht offenbart, meint auch der Direktor des LeibnizInstitute for Financial Research an der Goethe-Universität in Frankfurt, Jan-Pieter Krahnen. Er schlägt eine gemeinsame europäische Aufsicht unabhängig von den bereits bestehenden Institutionen vor. „Ich würde diese europäische Aufsicht zu einer eigenen Behörde machen, die vielleicht so arbeitet wie der Bankenaufsichtsmechanismus SSM (Single Supervisory Mechanism)“, sagte Krahnen der „Schwäbischen Zeitung“. Der Finanzwissenschaftler plädiert also für eine Art europäische Börsenaufsicht für Großunternehmen. „Ich würde sagen, das sollte eigentlich das Herzstück des Projektes einer europäischen Kapitalmarktunion in den nächsten Jahren werden.“Denn nur so könne das nötige Vertrauen in den europäischen Kapitalmarkt sichergestellt werden. Das sieht auch „Finanzwende“so. Bisher komme insbesondere der Einsatz gegen die Finanzkriminalität und der Schutz der Verbraucher bei der Behörde Bafin zu kurz. Ein grundlegender Neustart sei nur mit einem personellen Neustart an der Spitze der Behörde möglich.
Bei Wirecard fehlen 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz. Deswegen musste der Dax-Konzern Insolvenz anmelden. Als Zahlungsabwickler wurde das Unternehmen nicht wie klassische Banken von der Finanzaufsicht erfasst. Auch das müsse sich ändern, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit Blick auf Technologiefirmen, die sich zunehmend auch in der Finanzbranche tummelten. Europa sollte in der Aufsicht im weltweiten Vergleich die „schärfsten Instrumente“haben.
Unterdessen werden die Geschichten um den flüchtigen Ex-Vorstand von Wirecard, Jan Marsalek immer abstruser. Über einen Mittelsmann soll Marsalek geheime Informationen aus dem österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Innenministerium an die rechtspopulistische FPÖ weitergegeben haben. Das berichtet die österreichische Tageszeitung „Presse“und beruft sich auf Insider. Das Innenministerium in Wien kündigte an, den Vorwürfen nachzugehen.
Marsalek war die rechte Hand des Unternehmesschefs Markus Braun und offenbar eine zentrale Figur in dem Skandal. Er steht im Verdacht, maßgeblich an der Konstruktion von Scheingeschäften und Luftbuchungen beteiligt gewesen zu sein.